So vielseitig Glas auch sein mag, es ist nicht biologisch abbaubar. Und obwohl es sich hervorragend für das Recycling eignet, landet viel zu viel davon auf Mülldeponien, wo es Jahrtausende lang verweilen kann – einigen Quellen zufolge sogar bis zu einer Million Jahre.
Das Problem ist, dass die traditionell zur Glasherstellung verwendeten Materialien – Sand, Soda, Kalkstein – in der Umwelt nicht auf natürliche Weise abgebaut werden können. Jede Lösung würde daher eine Änderung der Materialzusammensetzung von Glas erfordern, die seit Tausenden von Jahren mehr oder weniger konstant geblieben ist.
Vor kurzem ist es Forschenden am Institut für Verfahrenstechnik der Chinesischen Akademie der Wissenschaften jedoch gelungen, Glas aus Aminosäuren und Peptiden zu entwickeln. Beide Verbindungen können von organischen Stoffen abgebaut werden. Labortests, bei denen kleine Kügelchen des biologisch abbaubaren Glases in verschiedenen Umgebungen Enzymen ausgesetzt wurden, haben vielversprechende Ergebnisse erbracht: Das aus Aminosäuren hergestellte Glas war bereits nach zwei Tagen abgebaut, während das auf Peptiden basierende Glas etwa fünf Monate dafür brauchte.
Biologisch abbaubares Glas macht aus ökologischer Perspektive auf jeden Fall Sinn, denn es hilft, den Rohstoffverbrauch zu reduzieren und verringert die Abhängigkeit von energieintensiven Recyclingverfahren. Doch wie bei vielen neuartigen Entwicklungen ist der Erfolg eine Frage der Skalierbarkeit. In dieser Hinsicht müssen wir unsere Erwartungen dämpfen. „Das Konzept des biomolekularen Glases, das über die kommerziell genutzten Gläser oder Kunststoffe hinausgeht, könnte eine umweltfreundliche Technologie für eine nachhaltige Zukunft darstellen“, so Professor Xuehai Yan, der die Forschungsgruppe leitet. „Allerdings befindet sich das biomolekulare Glas derzeit noch im Laborstadium und ist weit von einer groß angelegten Vermarktung entfernt.“
In großem Maßstab hat das „grüne“ Glas zahlreiche potenzielle Anwendungsmöglichkeiten, zum Beispiel als umweltfreundlichere Verpackung für Lebensmittel, Getränke und Kosmetika sowie nachhaltige Lösungen für medizinische Implantate, Arzneimittelverabreichungssysteme und Einwegartikel im Gastgewerbe. Darüber hinaus könnte es in der Landwirtschaft und im Gartenbau für Pflanzgefäße und Mulchmaterialien verwendet werden, die sich mit der Zeit zersetzen und so den Abfall reduzieren. In einer perfekten Kreislaufwirtschaft wäre es auch möglich, Sonnenkollektoren mit Bio-Glas auszustatten.
Eine größere Herausforderung ist die Verwendung von biologisch abbaubarem Glas in industriellen Anwendungen wie dem Bauwesen, der Automobilherstellung und der Elektronik. Das Letzte, was man will, sind Mikroorganismen, die sich an der Fassade eines Wolkenkratzers zu schaffen machen und so die Sicherheit von Fahrzeugscheiben gefährden oder den Ausfall elektronischer Geräte durch den Abbau von Schutzglaskomponenten verursachen.
Dennoch ist der Durchbruch ermutigend. In der Vergangenheit war die Entwicklung eines nachhaltigen Bio-Glases aufgrund seiner geringen thermischen Stabilität, die dazu führt, dass es bei der Glasherstellung bei hohen Temperaturen zerfällt, eine ständige Herausforderung. Bei dieser Variante hat das IPE-Team die Aminosäuren und Peptide chemisch modifiziert, um ein neuartiges biomolekulares Glas zu erhalten, das wesentlich haltbarer ist als seine Vorgänger und wünschenswerte Eigenschaften von Standardglas – wie Formbarkeit und Haltbarkeit – beibehält.
Da auf unserem Planeten jährlich mehr als 200 Millionen Tonnen Glas anfallen ist es an der Zeit, etwas davon wieder in den Boden zu bringen.