Zooniverse: Eine Million Freiwillige erforschen Tiere, transkribieren Aufzeichnungen und beobachten das Wetter

Ob Pinguine zählen, historische Aufzeichnungen entziffern oder den Sternen lauschen - auf Zooniverse können sich Freiwillige an der Forschung beteiligen und helfen, riesige Datensätze zu entschlüsseln.

Autor*in Mark Newton, 30.08.21

Übersetzung Mark Newton:

Es gibt unzählige wissenschaftliche Forschungsprojekte mit den unterschiedlichsten Ausstattungen, sowohl finanziell als auch praktisch. Heute können selbst kleine Teams mithilfe neuster Technologien große Datenmengen sammeln – manchmal vielleicht sogar zu viele. Denn die Durchsicht der Unmengen an Informationen auf Fotos, Satellitenbildern oder in historischen Aufzeichnungen würde für kleine Forschungsgruppen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, in Anspruch nehmen. Verstärkung kommt von einer Online-Plattform für Citizen Science, die den Forschungsteams ermöglicht, mit Tausenden von freiwilligen Helfer*innen in Kontakt zu treten, die bestimmte Aufgaben übernehmen.

Der Ansatz der kollaborative Plattform Zooniverse ist eigentlich ganz einfach: Die Nutzer*innen stellen ihre Zeit zur Verfügung, um online verschiedene Datensätze zu einem breiten Spektrum von Forschungsthemen zu bearbeiten, vom Klimaschutz bis hin zu Geschichte und Literatur.

Die Freiwilligen benötigen keine Vorkenntnisse, sondern arbeiten sich anhand einer einfachen Anleitung durch die Daten, transkribieren Informationen oder beantworten einfache Fragen. Das gesamte Projekt funktioniert nach dem Konzept der „Weisheit der Vielen“, das besagt, dass die Genauigkeit zunimmt, je mehr Menschen sich mit einem bestimmten Datensatz beschäftigen. Sobald genügend Beiträge eingegangen sind, kann die Zooniverse-Plattform auch Schätzungen über die Wahrscheinlichkeit von Fehlern abgeben, was zur weiteren Verfeinerung des Prozesses beiträgt. Zooniverse bietet auch zusätzliche Kommunikationskanäle für die Forschenden und Mitarbeitenden, zum Beispiel Foren, um sicherzustellen, dass sie auf Fragen reagieren können.

Mittlerweile konnten über die Zusammenarbeit von über einer Million Nutzer*innen auf Zooniverse schon Hunderte von Forschungsarbeiten eingereicht werden, insbesondere in den Bereichen Weltraumforschung und biologische Vielfalt. Doch es gibt auch eine Vielzahl an Projekten, die zur Klimakrise und dem Umwelt- und Klimaschutz forschen, wie zum Beispiel der Globe Cloud Gaze der NASA, das Projekt Old Weather und Penguin Watch.

NASA Globe Cloud Gaze

Obwohl Satellitenbilder einen guten Überblick über Wettersysteme bieten, können sie durchaus noch weiter verfeinert werden. Im Rahmen des von der NASA unterstützten Projekts Cloud Gaze werten Freiwillige Fotos des Himmels nach der Menge und Art der Wolkenbedeckung aus. Die Ergebnisse werden dann zum Vergleich mit anderen Datenquellen von Satelliten, Wetterberichten von der Oberfläche oder sogar Wetter- und Klimamodellen herangezogen.

Das Wetter aus vergangenen Zeiten untersuchen

Die Beurteilung des heutigen Klimawandels hängt weitgehend von zuverlässigen Informationen über Wettersysteme in der Vergangenheit ab. Leider zeichnen Menschen diese Informationen erst seit dem 19. Jahrhundert genauer auf. Diejenigen, die sich am meisten um die Aufzeichnung des Wetters kümmerten, waren häufig Seeleute auf Walfängern, Militär- oder Zivilschiffen. Das Projekt Old Weather versucht, diese historischen Wetteraufzeichnungen mithilfe Freiwilliger zu entschlüsseln, um den Zustand der Meere besser zu verstehen. Gegenwärtig werden die Aufzeichnungen der US-Marine während des Zweiten Weltkriegs durchforstet. Zuvor wurden bereits Walfänger des 19. Jahrhunderts und arktische Expeditionen untersucht.

Pinguine beobachten

Pinguine zu beobachten ist nicht immer einfach, vor allem, weil sie sich gerne auf abgelegenen Inseln und in unwirtlichen Regionen sammeln und nisten. Das Projekt Penguin Watch bittet Freiwillige, Tausende von Fotos aus automatischen Fotofallen auszuwerten, die an 100 Orten im Südpolarmeer und auf der arktischen Halbinsel aufgestellt wurden. Insgesamt entstehen so 8.000 Fotos pro Jahr, auf denen es von Pinguinen wimmeln kann. Das Team ist auf die Unterstützung von Freiwilligen angewiesen, die auf den Fotos Pinguine zählen und sie nach Eiern, Küken oder leere Nestern durchsuchen.

Künstliche Intelligenz vs. Gehirnleistung

In einigen Fällen werden die Ergebnisse auch zum Training von künstlicher Intelligenz verwendet, denn die intelligenten Algorithmen können sehr schnell große Datenmengen analysieren. Komplett ersetzen kann künstliche Intelligenz die Arbeit der Freiwilligen jedoch vorerst nicht, denn die menschliche Gehirnleistung hat in vielen Bereichen noch immer unverzichtbare Vorteile. Eine KI kann zwar Muster erkennen und Schlussfolgerungen ziehen, ist aber immer noch sehr stark auf ihr ursprüngliches Lernen beschränkt und kann nicht so vernetzt denken wie wir Menschen.

Tauchen unerwartete Variablen auf, kann ein intelligenter Algorithmus sie oft nicht berechnen, während Menschen sie in den Kontext einordnen und verstehen können. Außerdem ist die Einrichtung einer großen KI-Plattform nicht billig. Zwar gibt es eine wachsende Zahl kostenloser Open Source-KI, aber eine maßgeschneiderte KI kann zwischen 6.000 und 300.000 USD kosten, was das Budget kleinerer Forschungsteams wahrscheinlich sprengt.

© RESET

Projekte wie Zooniverse scheinen also weiter unverzichtbar zu bleiben, wenn es um eine qualitative Auswertung großer Datenmengen geht. Und das ist auch gut so, denn Citizen Science-Projekte sind nicht nur eine große Hilfe für Big Data-Analysen, sondern sie schaffen zudem eine fruchtbare Schnittstelle zwischen Forschenden und Laien. Dabei verhelfen die Bürgerwissenschaftler*innen zu neuen Erkenntnissen und bekommen Einblicke, wie Forschung ganz praktisch funktioniert. Und indem sie direkt in wissenschaftliche Entwicklungen miteinbezogen werden, gibt es einiges zu Lernen über den jeweiligen Forschungsbereich.

Der Artikel ist Teil des Dosssiers „Civic Tech – Wege aus der Klimakrise mit digitalem bürgerschaftlichen Engagement“. Alle Artikel des Dossiers findest du hier: Dossier Civic Tech

Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers über zwei Jahre zum Thema „Chancen und Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung“ erstellen. Mehr Informationen hier.

Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Sarah-Indra Jungblut und erschien im Original zuerst auf unserer englischsprachigen Seite.

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