Royce ist ehrenamtliche Krankenpflegerin. Bis vor kurzem musste sie sieben Kilometer zu Fuß zurücklegen, um ihre drei Patienten zu besuchen. Seitdem sie ein Fahrrad besitzt, kann sie sich an einem Tag um 18 Patienten kümmern.
Joe ist Schweisser, sein Werkstoff Metall. Bisher hat er einen Großteil seines Einkommens in den Transport seines Rohmaterials investiert – mit dem Bus in die nächstgelegene Stadt und wieder zurück. Jetzt hat er ein Fahrrad und damit sein eigenes Transportmittel.
Oder Tamara. Ihr Schulweg: vier Kilometer auf unwegsamem Terrain. Und bevor sie sich auf den langen Fußweg machen kann, stehen noch die täglichen Pflichten an: kochen, putzen, Wasser holen und Geschirr spülen. Seit Juli saust Tamara zusammen mit 100 SchülerInnen und LehrerInnen der Kabulanga Primary School auf dem Fahrrad zur Schule.
In vielen ländlichen Regionen in afrikanischen Ländern gibt es kaum Infrastruktur und der Weg zum nächsten Brunnen, zur Schule oder in eine größere Stadt ist oft sehr weit. Vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen müssen alle Wege zu Fuß zurücklegen. Doch ein eigenes Fahrrad kann hier viel verändern und ein direkter Zugang zu lebenswichtiger Versorgung und Bildung sein. Denn mit einem verlässlichen Rad lassen sich Distanzen schneller überwinden und Waren in kürzerer Zeit von A nach B transportieren.
World Bicycle Relief – NGO und Social Business in Einem
Möglichst viele Menschen mit dem Fahrrad zu mobilisieren und damit eine Verbesserung ihrer Lebensumstände zu ermöglichen – das hat sich World Bicycle Relief vorgenommen. Die NGO hat dazu ein innovatives Organisationsmodell entwickelt, das humanitäre Hilfsprogramme mit einem unternehmerischen Ansatz verbindet.
Wie das genau aussieht? Die Fahrräder werden nicht nur im Rahmen bestimmter Programme an lokale Gemeinschaften als Spende übergeben, sondern können in Kenia, Malawi, Südafrika, Sambia und Simbabwe auch gekauft werden. Die Gewinne aus dem Verkauf werden zu 100 Prozent in die Programme investiert und ermöglichen es der NGO, mehr Fahrräder pro Spende auszuliefern und so die Wirkung der Programme zu erhöhen.
Angefangen hat alles 2005 nach dem Tsunami in Sri Lanka. Frederick K. Day und sein Bruder, zwei der Köpfe des Fahrradteile-Herstellers Sram in Chicago, spendeten damals zusammen mit anderen 24.000 Fahrräder an betroffene Dörfer, um so den Wiederaufbau zu beschleunigen. Was als einmalige Spendenaktion geplant war, ist mittlerweile eine sehr erfolgreiche internationale Hilfsorganisation mit einem eigenen Social Business geworden, die mit dem Know-how der Fahrradindustrie im Rücken ein spezielles Lastenfahrrad entwickelt hat. Seit seiner Gründung 2005 hat WBR mehr als 300.000 Schüler, Krankenpfleger und Kleinstunternehmer in den ländlichen Gegenden Afrikas, Südamerikas und Südostasiens mit seinen stabilen Fahrrädern mobilisiert.
Buffalo-Bike: Der Drahtesel wird zum Büffel und ein Weg aus der Armut
Damit das Rad mehr kann, als seinen Fahrer von A nach B zu transportieren, ist aus dem klassischen Drahtesel ein Drahtbüffel geworden: Day und sein großes Team haben speziell an die Bedürfnisse vor Ort angepasste Räder entwickelt; das Buffalo-Bike ist robust und kann Lasten bis zu 100 Kilo tragen, ist kompatibel mit sämtlichen Ersatzteilen und lässt sich als Transportvehikel modifizieren, da der Rahmen aus Stahl ist. Hergestellt werden die Räder in Asien, montiert werden sie in fünf afrikanischen Ländern von eigens ausgebildeten Monteuren. Außerdem stellt die NGO in über die Länder verteilten Shops Ersatzteile und Serviceleistungen. Bisher konnte WBR so 1.700 Mechaniker für Montage und Wartung ausbilden – und wächst immer weiter.
Gekauft werden die Räder von Kleinstunternehmern, wie z.B. Milchbauern, von größeren Unternehmen, die diese ihren Mitarbeitern zur Verfügung stellen, um z.B. Wege auf Plantagen schneller zurückzulegen, vor allem aber von anderen NGOs, die ein solides Fahrrad den qualitativ minderwertigeren Rädern aus China und Indien vorziehen, so Lena Kleine-Kalmer von World Bicycle Relief im Gespräch mit RESET. So z.B. Path: Unter anderem in Sambia ist die internationale Organisation im Einsatz gegen Malaria unterwegs und bringt Medikamente und Krankenpflegepersonal – mit dem Drahtbüffel. „Sambia hat die Größe von Texas, aber nur halb so viele Einwohner“, sagt Todd Jennings, der für Path dort arbeitet. „Vor allem in der Regenzeit ist das Straßennetz sehr beschränkt.“ Das solide Fahrrad ist da eine echte Alternative. 23.000 der Fahrrädern sind nun Teil der Ausrüstung der freiwilligen Gesundheitshelfer.
Fest im Sattel für eine andere Zukunft
In seiner aktuellen Spendenkampagne „Gemeinsam voran“ setzt WBR ganz auf Bildung und stellt Kindern, insbesondere Mädchen, Fahrräder zur Verfügung, um so deren Chancen auf einen Schulabschluss zu erhöhen. Damit das Rad seinem Fahrer auch wirklich zu einer besseren Bildung verhilft, werden die Buffalos nicht einfach verschenkt, sondern die Schüler müssen einen kleinen Deal eingehen: Sie dürfen das Fahrrad nur dann behalten, wenn sie es mindestens zwei Jahre lang für den Schulweg nutzen. Laut World Bicycle Relief sind so mehr als 120-000 Schülerinnen und Schüler mittlerweile mobil geworden.
Dass der Ansatz von World Bicycle Relief funktioniert, zeigen diese Zahlen: In Gegenden, in die Buffalo Bikes ausgeliefert wurden, steigt die Anwesenheitsrate von Schülern um 28 Prozent, Krankenpfleger können 45 Prozent mehr Patienten besuchen und Milchbauern erhöhen ihre Milchlieferungen um 25 Prozent. Außerdem konnte die NGO interessante Nebeneffekte nachweisen: So hat sich z.B. in Gegenden, die mit einem Buffalo-Bike mobilisiert wurden, die Impfquote bei Kindern erhöht. Ein Rad ist ein Rad ist ein Rad – und eben auch viel mehr!
Gemeinsam voran from World Bicycle Relief on Vimeo.