Gerade Menschen im globalen Süden sind am stärksten von den menschengemachten Klimaveränderungen betroffen. Und sie sind genauso auch Aktivist*innen, Pädagog*innen und Entscheidungsträger*innen für den Wandel. Sie engagieren sich für eine bessere Welt, sie sind innovativ und inspirieren andere, die Probleme anzugehen, mit denen wir als Menschheit konfrontiert sind. Doch in den Medien fehlt es oft an Vielfalt, wenn es um ihre Stimmen und Erfahrungen geht. Mit dieser Interview-Reihe mit Umwelt- und Klima-Aktivist*innen aus Lateinamerika, Afrika und Asien wollen wir dazu beitragen, dieses Ungleichgewicht zu beheben und unterrepräsentierten Stimmen innerhalb der Klimabewegung Gehör verschaffen.
China emittiert mehr Treibhausgase als jedes andere Land der Erde. Die Städte des Landes sind bekannt für ihre extreme Umweltverschmutzung und ihren Smog. Und obwohl das Land angekündigt hat, bis 2060 kohlenstoffneutral werden zu wollen und bei der Kapazität erneuerbarer Energien führend ist, investiert es weiterhin in Kohle – und die CO2-Emissionen steigen kontinuierlich. Und während in anderen Ländern auf der ganzen Welt Millionen junger Menschen auf die Straße gingen, um von den Regierungen schnellere Maßnahmen gegen den Klimawandel zu fordern, gab es in China keine Streiks. Bis Howey Ou auftauchte. Bekannt als Chinas „erste Klimastreikende“, schwänzte Howey Ou im Mai 2019 für eine Woche den Unterricht, um vor Regierungsbüros im südchinesischen Guilin zu protestieren. Greta Thunberg nannte sie eine „wahre Heldin„, und ihre Geschichte wurde in den sozialen Medien innerhalb und außerhalb Chinas verbreitet. Ihr Protest wurde jedoch von der Polizei beendet, sie wurde von Beamten der öffentlichen Sicherheit verhört, und sie sagt, ihr sei die Rückkehr in die Schule verwehrt worden, bis sie ihren Aktivismus aufgegeben habe.
Während sie darauf wartete, in die Schule zurückkehren zu können, startete sie die Initiative „Plant for Survival“, mit der sie junge Menschen in ganz China ermutigte, mehr Bäume zu pflanzen, und initiierte Baumpflanzungsprojekte in und um Giulin. Sie reist auch durch das Land, um sich mit gleichgesinnten Aktivist*innen und Umweltschützer*innen zu treffen. Kürzlich wurde sie in Shanghai nach einem Klimastreik, den sie zusammen mit anderen in der chinesischen Hauptstadt organisiert hatte, von der Polizei festgenommen.
Es ist daher vielleicht nicht überraschend, dass dieses jüngste Interview in unserer Serie eine lange Vorbereitungszeit hatte. Die Kommunikation mit Howey war eine Herausforderung, da sie ihre Antworten auf unsere Fragen als Sprachnachrichten über eine verschlüsselte Messaging-App an uns senden musste, die wir dann transkribierten und aufschrieben. Um so spannender ist, was sie erzählt.
Wie bist du zum ersten Mal auf das Thema Klimawandel aufmerksam geworden?
Von der Klimakrise habe ich zum ersten Mal erfahren, als ich 16 Jahre alt war. An meinem Geburtstag lud ich meine Eltern und einige meiner Verwandten ein, den Dokumentarfilm „An Inconvenient Truth“ von Al Gore zu sehen. Dieser Film machte mir klar, dass dies die größte Bedrohung für die menschliche Zivilisation und auch für das Ökosystem Erde. Davor kannte ich die Klimakrise nur in sehr vagen Worten. Ich wusste nicht, wie sie sich auf unser Leben auswirkte.
Die meisten meiner Altersgenossen verstehen die Situation ebenfalls nicht, weil sie in der Schule nicht darüber unterrichtet wurden. Weil auch unsere Lehrer in der Schule nicht darüber unterrichtet werden. Man findet selten alarmierende Beiträge in Zeitungen oder im Radio über den klimatischen Notstand oder den ökologischen Kollaps.
Ich glaube, die Beamten in der Regierung kennen die Situation nicht. Sie haben auch keine Umwelterziehung erhalten. Die meisten Menschen wissen einfach nicht, dass es sich um eine Krise handelt, und wir alle stehen vor einem Notfall.
Denn jedes Mal, wenn es eine Überschwemmung, einen Taifun oder eine Naturkatastrophe im Zusammenhang mit der Klimakrise gibt, schreiben die Zeitungen immer etwas darüber, dass die Polizisten in die betroffenen Gebiete fahren. Nur selten beschreiben sie die Naturkatastrophen oder bieten Umwelterziehung über die Naturkatastrophen an. Sie sprechen nur darüber, wie tapfer und gut die Truppen sind, die sich für die Menschen einsetzen.
Wie hat das Coronavirus deinen Protest beeinflusst?
Vor dem Coronavirus bin ich jeden Freitagmorgen auf Blumen- und Baummärkte gegangen. Ich pflanzte mit Freunden Bäume an nahe gelegenen Flussufern oder in der Einöde, oder ich ging nachmittags allein dorthin. Normalerweise gieße ich die Bäume jeden Tag, wenn die Orte, an denen ich Bäume gepflanzt habe, in der Nähe meines Hauses liegen. In der ersten Hälfte dieses Jahres habe ich mir etwas Zeit genommen, um mich zu erholen, denn von November letzten Jahres bis März diesen Jahres war meine Stimmung nicht gut. Ich hatte nicht viel Energie für Aktionen, weil unsere Aktionen von Millionen Chinesen kritisiert wurden. Ich habe mir einige Monate Zeit genommen, um mich zu erholen, indem ich mich zurückzog, mich wieder mit der Natur verband und jeden Tag meditierte.
Anfang des Jahres feierten wir den einjährigen Jahrestag von Chinas Klimastreikbewegung. Elf Aktivisten aus sechs Städten Chinas beteiligten sich daran. Die meisten von ihnen haben zur Feier des Ereignisses etwas online gemacht, wie zum Beispiel Bilder von Tieren oder der Erde gezeichnet und über sie geschrieben und sie dann ins Internet gestellt. Ich denke, dass solche Dinge eine sehr gute Möglichkeit sind, die Erkenntnisse der Wissenschaft zu teilen und auch mehr Menschen die Möglichkeit zu geben, sich zu engagieren und etwas zu tun, bei dem es nicht nur um Streiks oder Proteste geht.
Und wie sieht es mit deiner Beteiligung an den Schulstreiks aus? Was war deine Motivation, dich zu beteiligen?
Ich habe Ende 2018 zum ersten Mal von Greta Thunberg gehört. Damals hatte ich nur ein kleines Murmeln im Herzen, dass sie etwas Entscheidendes tut. Aber zuerst war mir die Aggressivität, die sie in ihren Reden zeigte, unangenehm.
Im März 2019 erhielt ich einen Newsletter von Al Gore’s Climate Reality Project und darin stand, dass am 15. März ein weltweiter Schulstreik für das Klima stattfinden würde. Das war das erste Mal, dass ich wirklich dachte, dass ich vielleicht die Bewegungen aus China organisieren oder an ihnen teilnehmen könnte. Bald darauf schaute ich einfach auf ihrer Website und bei Wikipedia nach und fand heraus, dass der 24. Mai der zweite globale Schulstreik war. Ich fragte mich dann, ob ich es wagen sollte, aufzustehen und etwas zu unternehmen.
Ich versuchte, mit der FFF International Kontakt aufzunehmen, aber damals wusste ich noch nicht, wo ich sie finden konnte. Also fragte ich meine ausländischen Freunde über englischsprachige Apps, ob sie wüssten, wie ich mich mit der Bewegung in Verbindung setzen könnte. Schließlich habe ich an diesem Tag einfach einen Twitter-Account eingerichtet. Ich stellte fest, dass es sehr einfach ist, sich über ein VPN mit den Bewegungen zu verbinden. Später konnte ich dann mit vielen verschiedenen Gruppen in Kontakt treten, die sich der Bewegung weltweit anschlossen.
Meine Motivation, mich zu beteiligen, war, dass ich im März 2019 feststellte, dass sich mehr als 120 Länder der Bewegung angeschlossen hatten, darunter Hongkong, Macao und Taiwan, aber nicht das chinesische Mutterland. Wir sind das Land mit der größten Bevölkerung und auch den höchsten Kohlenstoffemissionen, deshalb müssen wir Stellung beziehen und diese Verantwortung übernehmen. Und wenn das sonst niemand tut, dann werde ich als eine der Ersten handeln und nicht nur als Beobachterin zuschauen.
Die Proteste scheinen viel Aufmerksamkeit zu erhalten – aber das bedeutet nicht, dass viel gegen den Klimawandel unternommen wird. Was ist deiner Meinung nach der Hauptgrund dafür?
Ich denke, dass die Fridays for Future-Bewegung in China zwar viel Aufmerksamkeit erhalten hat, aber im Vergleich zu den großen Konzernen und den Menschen an der Macht viel weniger Wirkung hat. Sie verwalten und regulieren die Presse, das Radio und die Zeitungen.
Es gibt nicht viele Medien, die über unsere Proteste berichten, und sie sind nicht so mächtig wie die anderen. Deshalb glaube ich leider nicht, dass es ein allgemeines Verständnis für die Klimakatastrophe und unseren Protest gibt.
Was steht auf deinem Plakat, wenn du es hochhältst und wer sollte es sehen?
Auf die Plakate schreibe ich: „Die Klimakrise ist die größte Bedrohung für die menschliche Zivilisation“ und „Wir brauchen dich, um zu handeln. Schließt euch uns an!“. Ich habe meine Plakate zum ersten Mal am 24. Mai und erneut vom 26. bis 31. Mai letzten Jahres hochgehalten. Ich möchte, dass die Passanten erkennen, dass dies die größte Bedrohung für uns alle ist. Ich möchte auch, dass sie wissen, dass es in China Menschen gibt, die sich der Bewegung angeschlossen haben – damit auch sie sich anschließen können. Ich wollte, dass es eine Inspiration für diejenigen ist, die darüber nachdenken, sich der Bewegung anzuschließen.
Wir hoffen, dass wir genug Druck auf die Unternehmen und die Regierung ausüben können, damit sie endlich handeln und wir eine Klimakatastrophe vermeiden.
Gibt es sonst noch etwas, was du unseren Leser*innen mitteilen möchtest?
Ich habe den Menschen, die sich gerne engagieren würden, etwas zu sagen. Wie wäre es, mit etwas Kleinem anzufangen, etwas, womit ihr euch wohlfühlt: zum Beispiel mit euren Eltern zu reden, mit euren Freunden und Klassenkameraden, Präsentationen in der Schule zu machen, zu versuchen, einige Projekte dazu zu machen. Natürlich könnt ihr auch Fridays for Future über soziale Medien verfolgen und euch einer lokalen Gruppe anschließen.
Wenn ihr nicht bei diesen lokalen Gruppen mitmachen könnt, dann könntet ihr auch die Informationen aus diesen Bewegungen aufschreiben und sie mit euren Klassenkameraden und anderen Menschen teilen. Vielleicht haben die sogar die gleiche Idee und ihr führt gemeinsam einige wöchentliche Proteste durch.
Wenn ihr für das, was ihr sagt, angegriffen werdet oder ihr von den Rückmeldungen der Menschen offline oder online überwältigt werdet und ihr euch Tag für Tag darüber ärgert, dann schlage ich vor, dass ihr in Wälder oder Parks geht, um wieder eine Verbindung zur Natur herzustellen. Versucht, die Dinge loszulassen, mit denen ihr euch nicht wohlfühlt. Allein in der Natur zu meditieren hilft wirklich, sich daran zu erinnern, die Liebe und Dankbarkeit, die ihr für die Erde empfindet, mit jedem Menschen, dem ihr begegnet, und mit jedem Wort, das ihr sprecht, zu teilen.
Howeys Protest, ihre Gedanken, ihre Reise, ihre Demonstrationen und Auseinandersetzungen mit den Behörden könnt ihr über ihr Twitter-Profil und auch über ihren Instagram-Account verfolgen. Unter Howeys Führung gibt es jetzt eine Fridays for Future-Bewegung in China, die auch auf Instagram zu finden ist. Unter dem Hashtag #LetChinaStrikeForClimate setzt sich eine internationale Bewegung für mehr Freiheit für Klimaproteste in China ein, hier kannst du auf Twitter folgen.
Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Sarah-Indra Jungblut. Das Original erschien zuerst auf unserer englischsprachigen Seite.