Die Welt macht eine Vollbremsung. Geschäfte, Schulen und Kitas schließen, Veranstaltungen werden abgesagt, Büros und Produktionshallen stehen leer. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie greifen massiv in unserer aller Leben ein. Auch wenn das für viele in der aktuellen Lage vielleicht zynisch klingen mag: Für unseren Planeten könnte diese Ausnahmesituation eine Chance sein.
In China zum Beispiel sollen durch die Krise und die damit einhergehenden Maßnahmen bereits etwa ein Viertel der landesweiten CO2-Emissionen eingespart worden sein. Das geht aus einer Studie von Laria Myllyvirta vom Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) der Universität Helsinki hervor.
Weltweit bleiben Flugzeuge am Boden, Kreuzfahrtschiffe im Hafen und Autos in der Garage. Laut Aussagen des Weltverbands der Fluggesellschaften IATA verzeichnet die Flugbranche aufgrund der Reisebeschränkungen durch die Corona-Pandemie den niedrigsten Anstieg von Einnahmen pro Passagierkilometer seit 2010. Damit liegt der durchschnittliche Treibhausgasausstoß für 2020 laut Christian Mihatsch von Klimareporter bis zu 59 Millionen Tonnen unter dem Wert, der für dieses Jahr ursprünglich erwartet wurde.
Interessant ist nun, dass dieser Durchschnittswert nicht nur für dieses, sondern auch für die folgenden Jahre entscheidend sein wird. Denn laut dem 2016 beschlossenen Corsia-Mechanismus soll der Durchschnitt der CO2-Emissionen, die 2019 und 2020 ausgestoßen wurden, als Maßstab für die künftigen Klimaschutz-Maßnahmen von Fluggesellschaften gelten. Alle CO2-Emissionen, die nach 2020 über diesen Maßstab hinausgehen, sollen laut dem Beschluss der internationalen Zivilflugfahrtorganisation ICAO mithilfe von CO2-Zertifikaten an Klimaschutzprojekte abbezahlt werden. Da die Zahlen dieses Jahr durch die Corona-Krise nun deutlich geringer sein werden, als zunächst erwartet, wird zukünftig also auch die Nachfrage nach CO2-Zertifikaten steigen.
Dieser Richtwert kann auch nicht mehr geändert werden, wie Reimund Schwarze, Klimaökonom am Helmholtz Institut für Umweltforschung, gegenüber RESET erklärte. Regelungen zu möglichen Schlupflöchern wie der Anrechnung alter CO2-Zertifikate oder auch der doppelten Anrechnung sind jedoch noch nicht in Stein gemeißelt, können also, insbesondere in Anbetracht der aktuellen Krise, durchaus noch von der ICAO gelockert werden.
Erhöhter CO2-Ausstoß durch Streaming und Video-Konferenzen?
Durch die weltweit getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie verlagert sich ein Großteil des Arbeits- und Sozialleben ins Internet. Berufliche Meetings finden per Video-Konferenz statt. Lesungen, Konzerte und Sportkurse und nicht zuletzt Angebote von Plattformen wie Netflix oder YouTube werden online gestreamt. Laut dem größten deutschen Internetknotenpunkt DE-CIX wird in Deutschland dadurch ein Anstieg des Datenvolumens von etwa 30 Prozent erwartet. Wird durch das Streamen und Skypen nun also auch der Stromverbrauch und damit der Ausstoß von CO2-Emissionen steigen?
„Bezogen auf die Rechenzentren wird man sicher einen steigenden Verbrauch und entsprechende Emissionen sehen. Der Effekt auf die Gesamtwirtschaft wird aber gering sein“, erklärte Clemens Rohde, Energieexperte am Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung, gegenüber RESET. Auch in privaten Haushalten betrage der Anteil der Nutzung von Online-Angeboten am Gesamtstromverbrauch nur unter zehn Prozent. „Selbst wenn das Datenvolumen nun also steigen sollte, ist das im gesamten Energiebudget privater Haushalte kaum erkennbar“, betont Rohde.
Laut Rohde ist der größte Treiber des Internetdatenverkehrs die Video-Nutzung. Durch das Ausfallen großer Sportveranstaltungen würde jedoch auch Energie eingespart, die sonst für Streamings von Sportevents angefallen wäre. Weiter seien Video-Konferenzen im Gegensatz zu Streaming-Diensten vergleichsweise sehr energiesparend. Dadurch, dass viele Menschen nun nicht mehr zu ihren Meetings fahren oder sogar fliegen, werden ebenfalls weniger Treibhausgase ausgestoßen. „Was das Thema Videokonferenzen anbelangt, sieht die CO2-Bilanz hier also sogar sehr positiv aus“, sagt Rohde. „Die Ausfälle, die wir in der Produktion haben, werden diese Zahlen weit überkompensieren. Was den Energieverbrauch angeht, sind die Effekte hier viel stärker.“
CO2-Einsparungen in Gewerbe und Industrie
Wie stark die Energieeinbußen durch die Corona-Krise in Gewerbe und Industrie in Deutschland sein werden ist schwer vorauszusehen. Nachdem nun aber auch große Industrien, wie beispielsweise die Automobilproduktion, stillgelegt wurden, ist damit zu rechnen, dass hier insgesamt deutlich weniger Energie verbraucht wird.
Die Geschichte zeigt jedoch auch, dass nach wirtschaftlichen Krisen mithilfe von Konjunkturprogrammen oftmals versucht wurde, Energieeinsparungen wieder ein- oder sogar aufzuholen. Nach der Finanzkrise 2008, während der die Emissionen in China drastisch zurückgingen und sich auch die Luftqualität deutlich verbessert hatte, startete die Regierung beispielsweise massive Konjunkturprogramme, um die eigenen Wachstumsziele einhalten zu können. Damit stiegen auch die CO2-Emissionen wieder an.
Dennoch: Deutschlands Klimaziele für 2020 können nun vermutlich, anders als erwartet, doch eingehalten werden. Auch hier warnt Bundesumweltministerin Svenja Schulze jedoch vor zu voreiliger Freude: „Es hilft uns nicht, wenn ein Jahr die Emissionen runtergehen und ihm nächsten wieder hoch.“
Was wir langfristig aus dieser Krise mitnehmen können
Klar ist: In einer Welt nach der Corona-Pandemie werden die Emissionen mit Sicherheit wieder ansteigen. Aber vielleicht kann die aktuelle Krise ja langfristige Bewusstseinsveränderungen anstoßen – mit einem positiven Effekt auf Umwelt und Klima. Wenn die Menschen jetzt sehen, dass berufliche Besprechungen auch gut per Videokonferenz funktionieren, könnte es sein, dass sie auch nach Ende dieser Krise öfter auf eine Autofahrt oder einen Flug verzichten und damit langfristig das Klima weniger belasten. Diese Chance sieht auch Rohde: „Da die Ausstattung für Online-Kommunikation nun sowieso erweitert wird, kann sie auch danach noch weiter genutzt werden.“
Außerdem könnte die aktuelle Entwicklung mehr Menschen dazu bewegen, sich für alternative Wirtschaftsmodelle zu interessieren. Bei der Degrowth-Idee wird beispielsweise gefordert, nur so viel zu produzieren, wie es Menschen und Umwelt vertragen. In einer Gesellschaft, die damit weniger von der industriellen Produktion abhängig ist, soll dann auch das Wohlergehen der Bevölkerung steigen. Unternehmen könnten in Hinblick auf zukünftige Krisen wie dieser außerdem Vorteile darin sehen, vermehrt wieder lokal zu produzieren, um Risiken der Abhängigkeit von internationalen Produktionsketten zu vermeiden und somit das Klima schonen. Gleichzeitig zeigt die aktuelle Krise auch deutlich, wie vernetzt die Welt ist und wie abhängig einzelne Länder von internationalen Produktions- und Lieferketten sind. Hält das Bewusstsein darüber bis nach der Krise an, könnte damit auch das Verantwortungsbewusstsein einzelner Branchen und Unternehmen für Produktionsbedingungen (für Menschen und Umwelt) in anderen Ländern steigen.
Die aktuelle Krise zu bewältigen ist eine Herkulesaufgabe für uns alle und vieles wird danach anders sein. Die Pandemie reißt uns aus unseren gewohnten Handlungsmustern heraus. Vieles, was uns bisher selbstverständlich war, funktioniert nicht mehr, und wir sind gezwungen, neue Wege und Lösungen zu finden, um unseren (Arbeits-)Alltag zu bewältigen. Aber genau darin steckt auch die Chance, persönlich genauso wie als Gesellschaft wieder intensiver über die Frage zu reflektieren und diskutieren, welche Erkenntnisse wir in eine Zukunft mitnehmen können, in der wir das Ruder herumreißen und dem Klimawandel Taten entgegensetzen.