Wie “PerPlant Farming” mit Farm-Robotern und KI beim umweltschonenden Anbau unterstützt

Der Anhänger von Ecorobotix ermittelt mithilfe von KI punktuell den Bedarf an Pflanzenschutzmitteln und verteilt sie präzise.

KI, Machine Learning und Robotik eröffnen neue Möglichkeiten in der Landwirtschaft - die umweltschonende Bekämpfung von Unkraut und Schädlingen ist eine davon.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 02.09.24

Unkrautbeseitigung und Schädlingsbekämpfung zum Schutz von Nutzpflanzen beschäftigt sowohl städtische Gärtner:innen als auch als auch Landwirt:innen mit Tausenden von Hektar Land. Während die einen das Unkraut aus kleinen Kräuterfeldern zupfen und Schnecken vom Salat pflücken, werden auf großen landwirtschaftlichen Nutzflächen meistens Chemikalien eingesetzt, die von Traktoren oder sogar von Flugzeugen versprüht werden. Das großflächige Vorgehen hat jedoch fatale Folgen für Böden, Biodiversität und Menschen. Die versprühten Pestizide werden vom Wind verweht und können sich auf Nutzpflanzen ausbreiten, die später geerntet werden. Und sie werden in den Boden und die Wasserwege gespült. Zudem schädigen einige der Pflanzenschutzmittel Bienen und andere Insekten – eine Katastrophe für die natürliche Bestäubung von Pflanzen. Es braucht also neue Lösungen, um Unkraut und Schädlinge auf umweltfreundlichere Art zu beseitigen. Neben nachhaltigen Anbaupraktiken, die komplett auf Giftstoffe verzichten, entwickelt sich auch die Präzisionslandwirtschaft – und mit ihr Farm-Roboter – weiter.

Unkrautvernichtung – Sprühstoß für Sprühstoß

Er heisst ARA und verteilt über kleine Düsen Mikrodosen von Pflanzenschutzmitteln auf unerwünschten oder von Schädlingen befallenen Pflanzen. Die betroffenen Pflanzen erkennt der spezielle Anhänger mithilfe von Kameras und Bilderkennung. Das Schweizer Unternehmen Ecorobotix hat ARA mit dem Ziel entwickelt, den Chemikalieneinsatz in der Landwirtschaft zu reduzieren. Das ARA-Sprühgerät wird vor allem zur Unkrautbekämpfung in Hochgemüsekulturen eingesetzt. Es ist aber auch möglich, damit andere Pflanzenschutzmittel gezielt einzusetzen. Seit 2021 ist ARA auf dem Markt und wird in EU-Ländern, Kanada, Süd- und Mittelamerika sowie in den USA verkauft.

Der Anhänger ARA im Einsatz auf dem Feld. Der Anhänger ARA im Einsatz auf dem Feld.

Nach eigenen Angaben kann mit dem präzisen Sprühgerät der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln um bis zu 95 Prozent reduziert werden. Auch Landwirt:innen, die ARA einsetzen, bestätigen die Ergebnisse. „Wir haben 20 Hektar mit insgesamt 227 Litern besprüht. Normalerweise würden wir etwa 3.785 Liter verwenden, um das gesamte Feld abzudecken“, sagt zum Beispiel Cody Anderson von L & L AG PRODUCTION aus den USA.

Kleine Farm-Roboter erobern die Felder

Auch Small Robot will die Landwirtschaft mit Hilfe von Robotern und KI neu gestalten. Dabei setzt das Unternehmen auf kleine, autonome Roboter. Schon im Einsatz ist Tom. Der orangene Farm-Roboter auf vier Rädern digitalisiert mithilfe einer Kamera und Bilderkennung das Feld selbstständig. Dabei identifiziert, lokalisiert und protokolliert Tom einzelne Unkräuter und Nutzpflanzen. Diese Informationen werden dann durch einen komplexen KI-Algorithmus geleitet, um eine „Behandlungskarte“ zu erstellen, die den Landwirt:innen genau anzeigt, wie viel Pflanzenschutzmittel sie einsetzen sollen und wo sie es ausbringen müssen.

Die Behandlungskarten lassen sich in Sprühgeräte integrieren, um gezielt Düngemittel mit variabler Dosierung auszubringen und Pestizide punktuell zu applizieren. Damit macht die sogenannte PerPlant-Ansicht den flächendeckenden Einsatz von Chemikalien hinfällig.

Nach eigenen Angaben sollen mithilfe der Karten von Tom bis zu 90 Prozent weniger Pestizide und 24 Prozent weniger Düngemittel benötigt werden. Dazu kommt, dass die Bodenverdichtung, wie sie durch den Einsatz von schweren Traktoren entsteht, deutlich reduziert wird.

„Unser Roboter Tom kann jede aufkommende Pflanze, jedes Wassertröpfchen, jede Wurmhöhle und jeden frühen Krankheitsausbruch erkennen und hilft den Landwirten, genau zu wissen, was sie wann behandeln müssen, und das bei minimalem Einsatz von Chemikalien”, sagt Ben Scott-Robinson, CEO der Small Robot Company. Das sei eine Weltpremiere für die wissenschaftliche Forschung und könnte die Pflanzenwissenschaft grundlegend verändern, davon ist Robinson überzeugt.

Unkraut ist relativ

Als „Unkraut“ wird oft jede Pflanze bezeichnet, die dort wächst, wo man sie nicht haben will. Tatsächliches Unkraut ist aber enger definiert. Rund drei Prozent aller bekannten Pflanzen – etwa 8.000 Arten – werden als Unkraut bezeichnet. Diese Pflanzen sind für die Landwirtschaft problematisch, weil sie sich rapide vermehren und ihre Samen lange überleben.

Das sogenannte Unkraut hat in der Natur oft positive Effekte. Die Pflanzen stabilisieren Böden und bieten Lebensraum und Futter für Wildtiere und Insekten.

In Zukunft soll in die intelligenten Farm-Roboter auch die elektrische Unkrautvernichtung von Rootwave integriert werden, um gänzlich auf umweltschädliche Pflanzenschutzmittel verzichten zu können.

RootWave “zappt” das Unkraut weg

Das britische Startup RootWave arbeitet an einer post-chemischen Zukunft für Landwirt:innen. Dazu setzt das Unternehmen auf die Unkrautvernichtung mithilfe von Elektrizität.

Das Prinzip der Technologie von RootWave ist einfach: Anstatt mit umweltschädlichen Pestiziden die Unkräuter abzutöten, werden ihnen zielgerichtete Stromschläge verpasst. Durch den elektrischen Widerstand der Pflanze wird der Strom in Wärmeenergie umgewandelt – wodurch das Wasser in den Pflanzenzellen „zum Kochen“ gebracht wird. Die Pflanze zersetzt sich von innen heraus und gibt ihre Nährstoffe an den Boden zurück. RootWave bezeichnet diesen Vorgang seiner Technologie als „Zapping“.

„Viele Unkrautsorten werden immer resistenter und die chemischen Mittel dagegen weniger wirksam“, erklärt der Geschäftsführer von RootWave Andrew Diprose gegenüber RESET. Außerdem würden die zunehmenden Regulierungen zur Nutzung von Pestiziden und die Bedenken der Verbraucher:innen die Dringlichkeit, eine umweltfreundlichere Lösungen zu finden, verstärken. Da die elektrische Unkrautvernichtung nicht chemisch ist und den Boden nicht beeinträchtigt, ist sie sowohl mit biologischen als auch regenerativen Anbausystemen kompatibel.

Mehr Nachhaltigkeit durch “Farm to Fork”-Strategie der EU

Die Nachfrage nach Unkraut-Robotern und anderen Möglichkeiten, Pestizide einzusparen, könnte sich stark erhöhen, denn auch auf politischer Ebene kündigen sich Änderungen an. Die am 20. Mai 2020 von der Europäischen Kommission im Rahmen des European Green Deals veröffentlichte Landwirtschafts- und Lebensmittelstrategie – auch

unter dem Arbeitstitel „Farm to fork (F2F)“ bekannt – zielt darauf ab, die Nahrungsmittelsysteme der EU nachhaltiger zu gestalten.

Ein zentrales Element ist das EU-Reduktionsziel für Pestizide. Bis 2030 sollen der Gesamteinsatz und das Risiko chemischer Pestizide um 50 Prozent und der Einsatz besonders gefährlicher Pestizide um weitere 50 Prozent reduziert werden.

Open-Source-Roboter für kleine Betriebe

Sowohl ARA als auch TOM sind bereits auf Feldern unterwegs. Allerdings sind die Farm-Roboter nicht für alle Landwirt:innen erschwinglich. Die Preise für die Hardware variieren je nach Land. ARA wird je nach Land für 200.000 bis 300.000 US-Dollar verkauft. Dazu kommt eine jährliche Abonnementgebühr für die Nutzung der KI-Technologie. Auch wenn ARA nach eigenen Angaben damit im Vergleich zu anderen Präzisionstechnologien recht erschwinglich ist, ist die Eintrittsschwelle nicht unerheblich. Förderungen, die es in einigen Ländern gibt, können das nicht immer ausgleichen.

Projekte wie der Acorn von Taylor Alexander versuchen, moderne Farm-Roboter auch für Kleinstbetriebe verfügbar zu machen. Alexander setzt dabei auf Open-Source-Software und günstige Komponenten wie Einplatinencomputer und Elektromotoren. Diesen verkauft Alexander nicht etwa selbst, sondern Landwirt*innen können mithilfe der frei zugänglichen Baupläne den Agrarroboter nachbauen. Der Code lässt sich über die Plattform Github beziehen, die benötigten Teile bietet beispielsweise Twisted Fields, eine US-amerikanische Forschungs-Farm, zum Kauf an. Acorn hat übrigens noch eine weitere Besonderheit: Er sieht aus wie ein Tisch auf vier Rädern – und kann mit Solarzellen bedeckt werden.

Eine nachhaltige Landwirtschaft braucht umfassende Ansätze

Es besteht also Hoffnung, dass die neue Generation an Farm-Robotern dabei unterstützt, die Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten. Ob in Zukunft vor allem autonome Roboter nach dem Vorbild von Tom auf unseren Feldern unterwegs sein werden oder uns Traktoren mit ausgefeilten Anhängern erhalten bleiben, wird sich noch zeigen. Bei Ecorobotix ist zumindest noch alles offen. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben das ARA-Sprühgerät als Anhänger entwickelt, da das Anbausystem dem ähnelt, was Landwirt:innen bereits kennen. Das soll den Übergang zu neuen Technologien erleichtern. Vielleicht kommen auch hier die kleineren Roboter …

Aber natürlich sind neue Technologien nicht die alleinige Lösung. Wesentliche Stellschrauben für die Reduktion von Pestiziden auf dem Acker sind die schlaue Planung von Fruchtfolgen, der bio-dynamische Anbau und nachhaltige Ansätze wie Permakultur.

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