Wie die Digitalisierung Nachbarschaften beim Strom teilen unterstützen kann

Mehr Akteure auf dem Markt sind der Schlüssel, um die Abkehr von fossilen Brennstoffen voranzutreiben - und die Digitalisierung spielt dabei eine wichtige Rolle. Allerdings sind auch die digitale Technologien selbst energiehungrig. Doch es gibt Möglichkeiten, den zusätzlichen Energieverbrauch gering zu halten.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 31.07.23

Übersetzung Lana O'Sullivan:

Mehr als ein Drittel der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland entstehen in öffentlichen Kraftwerken bei der Strom- und Fernwärmeerzeugung sowie bei der Produktion von Kohle- und Mineralölprodukten. Die deutschen und europäischen Klimaziele können daher nur mit einer raschen Energiewende hin zu 100 Prozent erneuerbaren Energien erreicht werden.

Wind, Sonne, Biomasse und Wasserkraft sind bereits wichtige Energiequellen; ihr Beitrag zur Stromerzeugung stieg laut Umweltbundesamt von nur 6,5 Prozent im Jahr 2000 auf 41,1 Prozent im Jahr 2021. Ohne eine stärkere Dezentralisierung der Energiequellen und die Beteiligung weiterer Akteure am Markt ist der Ausbau der erneuerbaren Energien jedoch schwierig. Daher sind Konzepte der kommunalen Energieversorgung und der gemeinsamen Nutzung von Energie vielversprechend. Bei diesen Projekten entwickeln Bürger*innen Wind- oder Solarkraftwerke in ihrer Nachbarschaft und erhalten dann den erzeugten Strom zu einem reduzierten Preis. Dadurch wird die Energiewende nicht nur dem Willen von Politik und Energiewirtschaft überlassen, sondern privates Engagement und Kapital in den Transformationsprozess eingebunden. Der Prozess könnte nicht nur den Ausbau beschleunigen, sondern auch die Akzeptanz für Veränderungen erhöhen, denn: Warum sollte ich „NIMBY“ (not in my backyard) rufen, wenn ich von einem Windrad oder einer Solaranlage direkt finanziell profitieren kann?

Simulationen und Modellierungen von gemeinsamen Energieversorgungsmodellen haben gezeigt, dass diese Ansätze – auch Prosumer-Modelle genannt – nicht nur erhebliche wirtschaftliche Vorteile bieten, sondern auch ein großes Potenzial haben, die Energiewende in der EU voranzutreiben. Nach einer Analyse des IÖW (Wiesenthal et al., 2022) könnte Energie-Sharing in Deutschland zu dem in den Ausbauzielen der Bundesregierung für 2030 vorgesehenen Zubau von 42 Prozent (75 GW) an erneuerbaren Kapazitäten beitragen.

Eine Schlüsselrolle bei der Dezentralisierung und Flexibilisierung der Energieerzeugung und -versorgung spielt die Digitalisierung. Sie dient vor allem als Enabler für ein dezentrales, erneuerbares Energiesystem, indem sie die notwendige Infrastruktur schafft. Neue, intelligente Mess- und Kommunikationstechnologien ermöglichen es, Informationen über Stromerzeugung, -transport, -speicherung und -verbrauch in Echtzeit zu erfassen, auszuwerten und Stromflüsse auf dieser Basis zu steuern. Zudem kann der Verbrauch flexibilisiert werden, indem beispielsweise die Wärmepumpe eingeschaltet oder ein Elektroauto genau dann betankt wird, wenn die Wind- oder Solarstromproduktion auf Hochtouren läuft. All diese Anwendungen setzen jedoch voraus, dass die Verbraucher*innen mit intelligenten Zählern ausgestattet sind.

Intelligente Zähler in Energiegemeinschaften

Intelligente Zähler sammeln nicht nur in regelmäßigen Abständen Verbrauchsdaten und geben diese Informationen an die Verbraucher*innen weiter, sondern sie können diese auch automatisch übermitteln und Zugangsrechte verwalten. Durch die Verbindung von Energieversorgern, Verbrauchergeräten und dem Stromnetz können sie eine wichtige Schnittstelle für die Steuerung dezentraler Stromerzeuger wie Photovoltaik- oder Windkraftanlagen sowie für die Organisation von Energiegemeinschaften oder den gemeinsamen Eigenverbrauch bilden. Darüber hinaus können Smart Meter zur Einführung flexibler Stromtarife genutzt werden, die Preisschwankungen, Netzbelastung und Strombedarf berücksichtigen.

Das 1,5-Grad-Ziel ist ohne eine echte Transformation unseres Energiesystems unerreichbar. Aber wie kann sie gelingen? Was sind die Energiequellen der Zukunft? Welche digitalen Lösungen stehen bereit und wo sind Innovationen gefragt? Und wie kann die Transformation vorangetrieben werden?

Das RESET-Greenbook „Energiewende- Die Zukunft ist vernetzt“ stellt digitale, innovative Lösungen vor und beleuchtet die Hintergründe.

In der Passivhaussiedlung Newtonprojekt im Berliner Stadtteil Adlershof wurde beispielsweise bereits ein wegweisendes Mieterstromprojekt umgesetzt. Das Projekt umfasst Solaranlagen auf den Hausdächern und an den Fassaden, eine solarthermische Anlage zur Warmwasserversorgung, Batteriespeicher für Stromüberschüsse und eine Einspeisung in ein Fernwärmenetz, falls zu viel Wärme produziert wird. Darüber hinaus stehen den Bewohner*innen 17 Ladestationen für Elektroautos und E-Bikes zur Verfügung, an denen die Elektrofahrzeuge mit lokal erzeugtem Strom aufgeladen werden.

Um die Stromerzeugung und -nutzung optimal aufeinander abzustimmen und eine möglichst hohe Stromautarkie zu erreichen, hat der Ökostromanbieter des Projekts ein lokales Stromnetz mit intelligenten Zählern und Tarifen installiert. Mit einem Zwei-Tarif-Modell werden die Bewohner*innen motiviert, möglichst viel des vor Ort erzeugten Stroms zu nutzen. Für den Strom vom eigenen Dach zahlen sie einen reduzierten Mieterstromtarif. „Durch die Erfassung der Stromerzeugung und des Verbrauchs mit intelligenten Zählern – für jede Erzeugungs- und Verbrauchsstelle – erhalten die Bewohner einen individuellen Strompreis, der sich aus dem Anteil des selbst genutzten Stroms und dem Anteil des Netzstroms zusammensetzt. Das heißt, ein möglichst hoher Direktverbrauch wird direkt über den Strompreis belohnt“, erklärt Florian Henle, Geschäftsführer des Ökostromanbieters Polarstern.

Intelligente Netze? Verloren im Ordnungsrahmen

Doch auch wenn einzelne Pilotprojekte den Weg weisen: In Deutschland sind die wesentlichen Voraussetzungen für intelligente, dezentrale Netze und die Integration und Flexibilisierung aller Akteure noch nicht geschaffen und die bestehenden Strukturen erschweren den Aufbau von Energiegemeinschaften. Die EU hat 2019 die Energiegemeinschaft in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie verankert, in Deutschland ist der Rechtsrahmen dafür aber längst überfällig. Zudem stehen wir erst am Anfang der Digitalisierung auf der Ebene der Haushalte und Verbrauchsgemeinschaften.

Auch wenn das deutsche Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende das Ziel verfolgt, eine digitale Infrastruktur für den Messstellenbetrieb im Strom- und Gasbereich zu schaffen, sind wir noch weit davon entfernt, das Ziel zu erreichen. Mit dem Gesetz zur Wiederbelebung der Digitalisierung der Energiewende des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz soll der Rollout nun aber beschleunigt werden. Doch damit Prosumership in der Energieversorgung zunimmt, müssen sich weitere Akteure und Dienste beteiligen. Es braucht engagierte Menschen, die mehr Energie-Communities gründen und auch mehr Dienstleister, die die Abrechnung von Peer-to-Peer-Transaktionen und den Energie-Communities übernehmen.

Aber nicht überall haben es Energiegemeinschaften so schwer wie in Deutschland. Österreich zum Beispiel hat bereits erkannt, dass Energiegemeinschaften ein wesentlicher Bestandteil einer nachhaltigen Energiewirtschaft sind. Und in Ländern wie Italien oder Frankreich sind Smart Meter bereits fast überall installiert.

Abwägung der negativen Auswirkungen der Digitalisierung

Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass digitale Technologien selbst auch energiehungrig sind. Jeder Prozess, der digitalisiert wird, benötigt zunächst Ressourcen – Sensoren, Prozessoren, Datenleitungen – und Energie für Programmierung und Schulung und später im Betrieb. Aber auch die Herstellung und Entsorgung der Hardware trägt zum großen Fußabdruck der Digitalisierung bei. Vergleicht man beispielsweise ein modernes Messgerät wie ein integriertes Managementsystem (IMS) (ohne Smart-Meter-Gateway) mit einem klassischen Ferraris-Zähler (gängiges Zählermodell in Haushalten), so verursacht die Herstellung eines IMS 91 Kilo CO2-Äquivalente, während die eines Ferraris-Zählers etwa 8 Kilo CO2-Äquivalente verursacht, wie eine Studie von Germanwatch berechnet.

Darüber hinaus steigt der Stromverbrauch durch den Betrieb eines IMS, sobald ein Smart-Meter-Gateway hinzugefügt wird. Ein intelligenter Zähler mit sekundengenauer Aufzeichnung einschließlich Geräteerkennung stößt laut der Studie in einem Jahr etwa 17 Kilo CO2-Äquivalente aus, einschließlich aller Vorlaufkosten (Aretz et al., 2022). Darüber hinaus wurde in der Studie berechnet, dass etwa 40 Kilowattstunden pro Jahr eingespart werden müssten, um die zusätzlichen Treibhausgasemissionen zu kompensieren, die durch die Herstellung und den Betrieb eines intelligenten Zählers entstehen.

Das bringt uns – wie so oft, wenn es um nachhaltige Entscheidungen geht – in eine Zwickmühle. Einerseits kann die für die Erreichung der Klimaziele unverzichtbare Transformation unseres Energiesystems ohne die Digitalisierung der Netze kaum gelingen. Die Einführung intelligenter Zähler ist eine wesentliche Voraussetzung, um die Energieversorgung effizienter und flexibler zu gestalten und allen Bürger*innen die Teilhabe zu ermöglichen. Andererseits haben Smart Meter und Co. auch negative Umweltauswirkungen.

Es gibt aber Gestaltungsspielräume, um den zusätzlichen Energie- und Ressourcenverbrauch eines Smart-Meter-Rollouts so gering wie möglich zu halten. Insbesondere ein flächendeckender Rollout könnte den Smart-Meter-Rollout effizient gestalten, da die Gateways in Mehrfamilienhäusern von mehreren Zählern gemeinsam genutzt werden können. Darüber hinaus könnte die Häufigkeit der Datenerfassung so festgelegt werden, dass nur so wenige Daten wie nötig erfasst werden. So könnten die Daten normalerweise wöchentlich und nur bei Bedarf, wie bei einem flexiblen Tarif, im 15-Minuten-Takt ausgelesen werden. Dies würde sich im Übrigen auch positiv auf den Datenschutz auswirken.

Den Weg für eine nachbarschaftliche Energieversorgung ebnen

Um die dezentrale Energiewende voranzutreiben und nachhaltig zu gestalten müssen auf politischer Ebene die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Dazu gehören der Abbau bürokratischer Hürden für die Gründung von Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften, die Flexibilisierung der Energietarife, um den Verbrauch an die Verfügbarkeit von erneuerbarem Strom zu koppeln, und die Förderung von Bürgerbeteiligung und Mitgestaltung, um die Akzeptanz zu erhöhen. Dazu sollte den Bürger*innen die Möglichkeit gegeben werden, in erneuerbare Energiesysteme zu investieren, Strom direkt zu beziehen, aber auch in der Nachbarschaft zu teilen. Es ist davon auszugehen, dass diese Veränderungen zu mehr Bürgerbeteiligung führen.

Gleichzeitig muss die technische Infrastruktur geschaffen werden, damit sich ein vernetztes, intelligentes und effizientes Energiesystem entwickeln kann. Dazu gehört auch der flächendeckende Ausbau der Netzdigitalisierung und der Einbau intelligenter Zähler für alle Haushalte. Darüber hinaus muss die Digitalisierung selbst nachhaltig gestaltet werden und Klima- und Ressourcenschutz, Datenschutz und soziale Gerechtigkeit berücksichtigen. Um diese Ziele zu erreichen, braucht es einen geeigneten politischen Rahmen und Leitplanken.

Dieser Artikel ist gemeinsam mit Astrid Aretz (IÖW) entstanden und wurde zuerst in der Publikation „Shaping Digital Transformation for a Sustainable Society“ veröffentlicht. Der Band versammelt Beiträge aus der Bits & Bäume-Community, die 2022 bereits zum zweiten Mal zu einer Konferenz für Digitalisierung und Nachhaltigkeit in Berlin zusammenkam.

© Torge Petersen
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