Werden die Gebäude der Zukunft aus Pilzen gebaut?

Wie wäre es, wenn wir landwirtschaftliche Abfälle in ein billiges, nachhaltiges und biologisch abbaubares Baumaterial umwandeln könnten? Mycelium zeigt, dass es möglich ist.

Autor Christian Nathler:

Übersetzung Sarah-Indra Jungblut, 28.08.23

Die Bauindustrie ist aufgrund steigender Anforderungen einem wachsenden Druck ausgesetzt, nicht-konventionelle Materialien zu integrieren. Traditionelle Materialien wie Holz, Mauerwerk, Faserzement und Metall können mit dem derzeitigen Tempo des weltweiten Bevölkerungswachstums nur schwer mithalten. Außerdem verursachen sie negative Umweltauswirkungen. Eine Lösung ist, Kreislaufbauweisen einzuführen, die auf die Verwendung nachhaltiger Materialien und Recycling setzen – beispielsweise biologisch abbaubares Glas oder recycelte Autoreifen – und so Abfälle verringert werden.

Eine weiterer innovativer Ansatz ist Myzel als Baumaterial für Ziegel und Verkleidungen. Das fadenförmige Myzel – also der eigentliche Pilz ohne Fruchtkörper zur Vermehrung – und darauf basierende Materialien sind biologisch abbaubar, verbrauchen wenig Energie und haben eine geringe CO2-Bilanz. Außerdem sind sie relativ preiswert und bieten eine gute Brand-, Wärme- und Schalldämmung. Können wir also damit rechnen, dass unsere Häuser demnächst aus Pilzen gebaut werden?

Ein superstarkes, leichtes Baumaterial

Myzel, ein verzweigtes Netz von Pilzfäden, kann als zuverlässiges industrielles Material mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten genutzt werden. Das Verfahren besteht darin, Myzel aus landwirtschaftlichen Abfällen und Myzelkulturen zu züchten und es dann in vielseitige Formen wie Ziegel, Platten und Blöcke zu verwandeln. Um diese festen Materialien herzustellen, wird das Myzel mit organischem Material vermischt, das als nährstoffreiches Substrat dient. Während sich das Myzel ausbreitet, verdaut es die organischen Bestandteile und bildet eine dichte und vernetzte Struktur. Dieser Prozess bindet die Mischung zu einer festen Masse. Das so entstandene Material wird in die gewünschten Formen gebracht und wächst weiter, wodurch seine Festigkeit verstärkt wird.

Umweltfreundliche Verpackungen, Möbel, Kunstinstallationen und Textilien werden schon heute aus myzelhaltigen Materialien hergestellt – und in zunehmendem Maße können auch Schlüsselkomponenten unserer Gebäude daraus hergestellt werden.

Sicherere und sauberere Verkleidungen für Wohntürme

Ziegelsteine sind das offensichtlichste Strukturelement, das von einem neuen Pilz profitieren könnte. Schließlich ist Beton bekanntermaßen ressourcenhungrig – so sehr, dass Forschende hoffen, seine Herstellung aus Windeln könnte die Sandknappheit lindern. Doch obwohl Myzel im Vergleich zu Beton ein besseres Verhältnis von Festigkeit zu Gewicht aufweist, liegt seine Druckfestigkeit mit 30 psi deutlich unter der von Beton mit 4000 psi.

Wenn es um Gebäude geht, scheinen sich daher Verkleidungen vielleicht am besten für Myzel zu eignen. Kürzlich haben Forschende in Australien Fortschritte bei der Verwendung von Pilzen zur Herstellung eines umweltfreundlichen, feuerfesten Außenbaumaterials gemacht. Das Team setzt erneuerbare organische Materialien ein, um dünne, auf Myzel basierende Platten zu züchten, die bei Flammeneinwirkung Schutzschichten bilden und so Feuer und Wärmeübertragung wirksam widerstehen.

Gebäude sind ein CO2-Schwergewicht: Das Bauen, Wärmen, Kühlen und Entsorgen unserer Häuser hat einen Anteil von rund 40 Prozent an den CO2-Emissionen Deutschlands. Unsere Klimaziele erreichen wir nur, wenn diese Emissionen massiv gesenkt werden.

Wie aber gelingt die nachhaltige Transformation der Gebäude und welche Rolle spielen digitale Lösungen dabei? Das RESET-Greenbook gibt Antworten: Gebäudewende – Häuser und Quartiere intelligent transformieren

Im Gegensatz zu herkömmlichen Brandschutzmitteln, die schädliche Chemikalien enthalten, verbrennt das auf Myzel basierende Material sauber und setzt dabei nur Wasser und CO2 frei. Ziel ist es, gefährliche Aluminiumverkleidungen zu ersetzen, die in Gebäuden wie dem Grenfell Tower verwendet werden.

Pilze als Alternative zu ressourcenfressenden Materialien

Gebäude tragen zu rund 40 Prozent am globalen CO2-Fußabdrucks bei. Innovative Alternativen sind daher entscheidend. Für eine Branche, die nach umweltfreundlichen Lösungen sucht, haben sich Myzelmaterialien als potenzieller Wegbereiter im Bauwesen herauskristallisiert. Ihre natürliche Selbstorganisation, gepaart mit ihrer Leichtigkeit und ihren biologisch abbaubaren Eigenschaften, bietet eine nachhaltige Alternative zum ressourcenintensiven Status quo.

Allerdings gibt es noch einige Herausforderungen. Zwar wurde Myzel schon in innovativen architektonischen Projekten eingesetzt, doch die strukturelle Stabilität und die gleichbleibende Qualität bei verschiedenen Anwendungen bleiben eine Hürde. Außerdem ist die Möglichkeit, landwirtschaftliche Abfälle zu recyceln und Arbeitsplätze zu schaffen vielversprechend, doch für eine breitere Akzeptanz in der Industrie sind Verfeinerung und Standardisierung erforderlich. Doch ohne Frage zeigt Myzel inmitten dieser Herausforderungen einen Weg zu umweltfreundlicherem Bauen auf.

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Dieser Artikel gehört zum Dossier „Gebäudewende – Häuser und Quartiere intelligent transformieren“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.

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