Maite Verleulen schreibt für das niederländischen Online-Medium „De Correspondent“. Schon im Studium beschäftigte sie sich mit den Problemen von Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze (durchschnittlich 1,90 oder weniger US-Dollar pro Tag) leben. Dabei wollte sie nicht, wie viele andere Medien, davon berichten, dass es diesen Umstand gibt, sondern zeigen, welche konkreten Möglichkeiten zur Hilfestellung es gibt. Ihr Fokus dabei: Die Hilfe darf nicht das Wohltätigkeits-Gefühl der Spender bedienen, sondern muss an die realen Bedürfnisse der Empfänger angepasst sein. Sie fragte daher nach: Was wünschen sich Menschen, die der Armutsspirale entkommen wollen, eigentlich am meisten?
Mit Struktur und Sicherheit raus aus der Armut
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, reiste Vermeulen 2016 nach Haiti und beschreibt ihre Erlebnisse anschließend in einem Artikel im Correspondent. Haiti ist eines der ärmsten Länder in der westlichen Hemisphäre. Zusätzlich erlitten im Jahr 2010 etwa 3 Millionen Menschen große Verluste verschiedener Art durch ein katastrophales Erdbeben. Mehrere Millionen Euro internationaler Katastrophenhilfe flossen anschließend in das Land, um den Menschen, die teilweise alles verloren hatten, zu helfen. Doch wurde ihnen tatsächlich geholfen?
Sony Lebrun, einer ihrer Gesprächspartner, lebt zur Zeit ihres Interviews und sechs Jahre nach dem Beben, noch immer am Existenzminimum. Auf die Frage: „Wenn Sie eine Sache nennen könnten, die wirklich Ihr Leben verändern würde, was wäre das?“ antwortet er nicht etwa mit den erwarteten Dingen wie einem größeren Haus, einem Ausbildungsplatz für seine Kinder oder besserer ärztlicher Versorgung. Er sagt: „Was würde mir am meisten helfen? Ein Liegenschaftsamt.“
Bürokratie – Schlüsselelement für wirtschaftlichen Aufschwung?
Ein Liegenschaftsamt? „Eine Agentur, die offiziell anerkennt, dass das Land, auf dem jemand ein Haus baut oder sein Essen anpflanzt, tatsächlich sein eigenes ist. Lebrun würde gerne ein Backsteinhaus bauen, sagt er. Er will für die Materialien sparen. Aber was, wenn jemand eines Tages vor seiner Tür steht und behauptet, das Land, auf dem er wohnt, zu besitzen? Seine Ersparnisse wären auf einen Schlag dahin.“ (Auszüge aus dem Artikel des Correspondent)
Vermeulen erkennt, dass genau das, was uns hierzulande häufig kolossal nervt, eigentlich eines der wichtigsten Instrumente für Sicherheit und langfristige Planbarkeit ist: Bürokratie.
Ihre Erkenntnis formuliert Vermeulen im Interview mit dem deutschen Online-Medium perspective daily wie folgt: „Bei dem Erdbeben auf Haiti wurden rund 1,5 Millionen Menschen auf einen Schlag obdachlos. Wenn die Menschen dort die Möglichkeit bekommen, ihren Grund und Boden bei einem Katasteramt zu registrieren, könnten sie darauf stabile Backsteinhäuser bauen anstelle der wackligen Hütten, die beim nächsten Erdbeben wieder wie Kartenhäuser zusammenklappen. Außerdem ist ein Katasteramt notwendig, um Steuern einzutreiben.“
Demnach hilft eine gut organisierte Bürokratie armen Staaten nicht nur dabei, einzelnen Menschen Planungssicherheit für die Zukunft zu verschaffen, sondern sorgt auch für wirtschaftlichen Aufschwung des gesamten Landes. Gesetzt dem Fall, dass die Regierung das Geld auch sozial einsetzt, kann dies beispielsweise ein wichtiger Grundstein für soziale Grundsicherungen sein – und somit ein weiteres Element im Kampf gegen die Armut in der Bevölkerung.
Den gesamten Artikel von Maite Vermeulen im Correspondend gibt es auf Englisch unter diesem Link. Das deutsche Interview der Journalistin mit der Plattform online-perspective hier. Wer lieber schaut statt liest: in diesem TED-Talk beschreibt Vermeulen ihr Erkenntnisse in 15 Minuten.