Ingenieur*innen lassen sich bei der Konstruktion von Flügeln von Eulen inspirieren. Die Überlegung: Da Eulen mit ihren Flügel nahezu geräuschlos durch die Luft gleiten, könnten sie als Vorbild für leisere Windturbinen und sogar Flugzeuge dienen. Sollte das gelingen, wäre das ein Gewinn für alle Lebewesen mit Ohren. Und unter den NIMBY-Menschen könnten sich deutlich mehr Befürworter*innen von Windparks finden.
Biomimikry – also Lösungen aus der Natur auf menschliche Designprobleme zu übertragen – hat schon viele Innovationen hervorgebracht. Neoprenanzüge sind eine Nachahmung von Biberfellen, die natürliche Vorlage des Klettverschlusses waren Kletten und das Geheimnis der U-Boot-Tarnung ist in der Haut von Tintenfischen zu finden. Außerdem haben wir auf Reset über einen der Haut von Haifischen nachempfundene Beschichtung berichtet, die zu Kerosineinsparungen bei Flugzeugen führen könnte.
Und zurück zur Windkraft: Einige der aerodynamischsten Windturbinenkonstruktionen sind von Walflossen inspiriert. Allerdings: Aerodynamisch bedeutet nicht unbedingt leise.
Kamm an der Vorderseite, Fransen an der Rückseite
Bei der Kopie von Eulenflügeln geht es darum, den Lärm zu unterdrücken, der entsteht, wenn die über und unter einem Objekt strömende Luft an der Hinterkante des Objekts zusammentrifft. Wissenschaftlich wird dies treffend als „Hinterkantengeräusch“ bezeichnet. Am besten verstehen lässt sich dieser Effekt, wenn man sich eine Fahne vorstellt, die im Wind flattert. Das Geräusch, das dabei entsteht, entsteht nicht durch Luft, die sich am Mast teilt, sondern durch die Luft-Kollision an der Hinterkante der Fahne. Für Eulen in der freien Wildbahn würde solch eine Aerodynamik das Überleben fast unmöglich machen, da ihre Beute schon beim Anflug gewarnt wäre. Daher haben Eulenflügel einen Schalldämpfungsmechanismus entwickelt: asymmetrische Hinterkantenzacken. Oder, einfacher ausgedrückt, gefranste Federn am hinteren Teil des Flügels. Der vordere Rand des Flügels ist dagegen wie ein Kamm geformt, der die Luft sanft in die Fransen leitet.
Genau auf diese Kamm-Fransen-Kombination setzte Siemens bei der Entwicklung eines Flügelzusatzes, mit dem bestehende Anlagen nachgerüstet werden können. Das war im Jahr 2017. Jetzt untersuchen Forscher*innen, wie sie das gezackte Schaufeldesign weiter verbessern können – und unternehmen dabei zudem auch das erste Mal den Versuch, die Lärmminderung zu quantifizieren, die sich aus solchen Designs ergibt.
Eulen sind nach wie vor ein federleichtes Rätsel
Genau zu benennen, wie viel leiser die Turbinen wären, wenn sie Eulenflügeln nachempfunden wären, ist schwierig. Nach Angaben von Siemens haben die Messungen im Windkanal und bei Feldversuchen eine „erhebliche Verringerung der Geräusche von Windkraftanlagen bei allen Windgeschwindigkeiten“ ergeben. Unter Berufung auf den 2020 erschienenen Annual Review of Fluid Mechanics berichtet das Magazin Smithsonian, dass solche von Eulen inspirierten Flügel den Lärm um bis zu 10 Dezibel reduzieren können. Das entspricht in etwa dem Geräuschunterschied eines vorbeifahrenden Lkws im Gegensatz zu einem vorbeifahrenden Pkw.
Auf jeden Fall gibt es aber noch mehr zu tun. Wie das Smithsonian hervorhebt, wissen wir noch immer nicht genug über speziellen Eigenschaften von Eulenflügeln. Dazu gehört zum Beispiel auch die Rolle, die die individuelle Federmorphologie bei der Lärmreduzierung spielt. Und was wäre, wenn wir diesen Prozess doch verstehen würden? Die Entwicklung eines stationären Anhängsels wie das sogenannten „DinoTail“ von Siemens ist eine Sache, die Konstruktion von Turbinen mit flatternden Federn eine andere (trotz des Namens gibt Siemens an, dass das DinoTail-Design von Eulen inspiriert wurde).
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Wachsende Unterstützung für den Bau von Windparks
Obwohl die Belastung durch Lärm nicht die gleiche Aufmerksamkeit erhält wie die Luftverschmutzung, hat sie doch erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität vieler Lebewesen. Erhöhter Stress und Schlafstörungen gehören zu den häufigsten Nebenwirkungen von dauerhaften Geräuschen, die sich in der Umwelt ausbreiten. Und das gilt nicht nur für den Menschen. Es hat sich auch gezeigt, dass anthropogener Lärm auch natürliche Lebensräume verkleinert, zerstückelt oder verschlechtert, die Fortpflanzungszyklen von Tieren stören und das Aussterben bestimmter Arten beschleunigen kann. Offshore-Windparks zum Beispiel erzeugen Schalldruck und akustische Partikelbewegungen im Wasser und auf dem Meeresboden und können damit der Meeresfauna schaden. Da der Bau von Offshore-Windparks in Zukunft weltweit zunehmen wird, ist es daher also dringend nötig, wildtierfreundliche Turbinen zu entwickeln.
Zudem könnte die Entwicklung leiserer Turbinen die Akzeptanz der Windenergie in der Öffentlichkeit erhöhen. Die Sorge um die Lärmbelästigung durch Windräder ist zwar in den meisten Fällen unbegründet, behindert aber immer wieder den dringend nötigen Ausbau der Windenergie für eine umfassende Energiewende. Aber wenn irgendwann vielleicht noch als einziges Gegenargument bleibt, dass Windparks hässlich sind, dann können wir uns sicherlich bei der Natur nach Schönheitstipps umsehen.
Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Sarah-Indra Jungblut und erschien im Original zuerst auf unserer englischsprachigen Seite.
Dieser Artikel gehört zum Dossier „Energiewende – Die Zukunft ist vernetzt“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.
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