Weltweit leben etwa eine Milliarde Menschen ohne zuverlässigen Zugang zu Elektrizität. Die überwiegende Mehrheit davon lebt in kleineren, ländlichen Gemeinden, die oft vom Hauptenergienetz abgeschnitten sind. In einigen Ländern des globalen Südens liegt die Zahl der Menschen, die ohne Strom leben, bei bis zu 75 Prozent. Diese Gemeinden könnten zwar mit konventionellen Methoden, wie etwa Dieselgeneratoren, mit Strom versorgt werden. Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen streben jedoch den Zugang zu erschwinglichen, nachhaltigen und modernen Formen der Stromversorgung an – für ländliche Gemeinden ist das oft Solarenergie. Die Einführung von Sonnenenergie in abgelegenen Dörfern und Städten bringt jedoch einige Herausforderungen mit sich.
Dank neuer Technologien wird dieser Prozess nun einfacher, effizienter und damit hoffentlich auch wirtschaftlicher. Village Data Analytics (VIDA), eine neue Software, nutzt die Leistungsfähigkeit von Satellitenbildern und künstlicher Intelligenz, um genau festzustellen, wo solarbetriebene Mini-Grids am dringendsten benötigt werden. Entwickelt wird VIDA von einem internationalen Team von TFE Energy mit Sitz in München und Kapstadt. Unterstützt wird VIDA von der Europäischen Weltraumorganisation sowie von der deutschen KI-Initiative appliedAI.
Im Gespräch mit RESET sagte Nabin Gaihre, CCO von TFE Energy, dass es keine einfache Lösung aus einer Hand für die Entwicklung von Mini-Grids für jede ländliche Gemeinde gebe. Faktoren vor Ort, wie Bevölkerung, Bebauungsdichte, kommerzielle Aktivitäten und Infrastruktur wirken sich alle auf die Machbarkeit und die Kosten der Installation von Solaranlagen aus. Traditionell werden diese Informationen über Erhebungen und Inspektionen durch Personal vor Ort oder anhand häufig überholter Informationen zusammengetragen. Dies ist also eine langsame, fehlerhafte und kostspielige Angelegenheit, zumal in einem Gebiet oft Hunderte von kleineren Dörfern elektrifiziert werden müssen. Der schiere Umfang dieser Erhebungen sowie sprachliche und logistische Probleme haben zur Folge, dass sie oft auf bestimmte Gemeinden beschränkt sind und andere übersehen werden.
Die berechtige Frage, die man sich stellen müsse, so Nabin Gaihre: „Es gibt mehr als eine Milliarde Menschen, die keinen Zugang zu Elektrizität haben. Wie können wir eine Milliarde Menschen erreichen?“ Und weiter:
„Eines der Hauptprobleme des Off-Grid-Sektors ist, dass man nicht genau weiß, wo sich geeignete Off-Grid-Dörfer befinden. Es fehlen wichtige Informationen zu den Dörfern, wo sie liegen, wie groß sie sind, wie viel Strom sie brauchen, ob sie ihn überhaupt bezahlen können, und so weiter. Wir glauben, dass dieser Mangel an Transparenz eines der, wenn nicht sogar das wichtigste Hindernis für die Elektrifizierung abgelegener Dörfer im großen Maßstab ist.“
Netzferne Dörfer der Welt vom Weltraum aus entdecken
Auf Grundlage von Satellitenbildern der NASA und der Europäischen Weltraumorganisation ESA ist die VIDA-Software in der Lage, netzferne Dörfer automatisch zu identifizieren und einen Überblick über die demografischen und sozioökonomischen Aspekte ländlicher Gemeinden auf der ganzen Welt zu ermitteln. Daraus kann sie ein vierstufiges Verfahren erstellen: identifizieren, extrahieren, vorhersagen und erstellen einer Rangfolge, um die Dörfer zu finden, die am meisten von Elektrifizierungsprogrammen profitieren werden.
Während der Identifizierungsphase können die KI-Algorithmen selbst kleine ländliche Gemeinden erkennen, die vielleicht abseits der üblichen Verkehrswege liegen. Indem die VIDA-Software lernt, Gebäude, Straßen und bewirtschaftete Felder zu erkennen, kann sie eine aktuelle und vollständige Übersicht über die Gemeinden liefern. Einmal identifiziert, kann die Software zusätzlich wichtige Informationen extrahieren, die dabei helfen, das Profil eines solchen Dorfes zu erstellen. Gibt es zum Beispiel eine Schule oder ein Krankenhaus? Gibt es einen zentralen Markt? Ist ein ganzjähriger Zugang zu Wasser vorhanden? Gibt es eine vorhandene Elektrifizierung? Wie viel Landwirtschaft findet in der Umgebung des Dorfes statt? Ist das Dorf durch Straßen mit einem nahegelegenen Markt verbunden?
Mit diesen Informationen kann VIDA nun auch Vorhersagen über die Kosten und Effizienz der Elektrifizierung bestimmter Gemeinden treffen. Oft fällt dies in eine von drei Kategorien: die Erweiterung des bestehenden Stromnetzes bis zur Gemeinde, die Schaffung eines autarken Mini-Grid-Inselsystems oder die Installation individueller Haussolarsysteme auf Gebäuden. Für verstreut liegende ländliche Gemeinden sind die beiden letztgenannten Optionen oft am praktikabelsten. Schließlich werden diese Informationen in eine Rangfolge gebracht, um netzunabhängigen Unternehmen einen klaren Überblick über ihre Möglichkeiten in einem bestimmten Gebiet zu geben.
VIDA wird bereits von großen Institutionen im Bereich der Entwicklungsfinanzierung (einschließlich der Weltbank und PACT), von Regierungsbehörden und von netzunabhängigen Elektrifizierungsunternehmen für Projekte auf drei Kontinenten eingesetzt. In den meisten Fällen wird VIDA verwendet, um festzustellen, ob sich die Programme oder Projekte langfristig als wirtschaftlich erweisen können. VIDA liefert nicht nur die nötigen Informationen für netzunabhängige Unternehmen, sondern reduziert auch das Gesamtrisiko der Vorhaben und treibt so hoffentlich die Elektrifizierung in den Ländern voran, die am dringendsten Bedarf haben.
Die Technologie selbst ist jedoch nicht darauf beschränkt, einen schnelleren und effizienteren Zugang zur Stromversorgung zu ermöglichen. Die Fähigkeiten der KI von VIDA, Gemeinden zu erfassen und genaue Informationen dazu bereitzustellen, könnten auch für eine breite Palette anderer Anwendungen genutzt werden. Das VIDA-System wurde beispielsweise bereits eingesetzt, um die Bekämpfung des Coronavirus in Nigeria durch die Identifizierung von Gesundheitszentren und Infrastruktur zu bewerten. Nabin Gaihre glaubt außerdem, dass VIDA künftig einen Überblick über den Warentransfer zwischen Dörfern geben, neue effizientere Handelsverbindungen schaffen und sogar Transparenz in Bezug auf nachhaltig produzierte Produkte wie Kakao und Kaffee schaffen könnte.
Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Lydia Skrabania. Das Original erschien zuerst auf unserer englischen Seite.
Dieser Artikel ist Teil des Dosssiers „Satelliten und Drohnen – Wertvolle Helfer für eine nachhaltige Entwicklung“. Alle Artikel des Dossiers findest du hier: Dossier Satelliten und Drohnen
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