Urbaner Bergbau? Forschende verdampfen Elektroschrott bis auf seine Edelmetalle

Forschende haben einen Weg gefunden, Edelmetalle umweltschonend aus Elektroschrott zu extrahieren und so eine der am schnellsten wachsenden Gefahren für unser Klima und unsere Gesundheit bekämpft.

Autor*in Christian Nathler:

Übersetzung Sarah-Indra Jungblut, 29.11.21

Jedes Mal, wenn du ein iPhone wegwirfst, vergießt die Erde eine Träne. Das ist keine Übertreibung: Elektroschrott ist heute die weltweit am schnellsten wachsende Form des Hausmülls. Jährlich werden bis zu 50 Millionen Tonnen ausgedienter Elektrogeräte weggeworfen, und da weniger als ein Fünftel davon ein zweites Leben erhält, wird unsere Nachfrage nach digitalen Produkten den Planeten weiter belasten.

Doch es gibt Hoffnung. Kürzlich haben Forschende der Rice University einen neuen Weg gefunden, um aus all dem Technikschrott, der sich in unseren Schubladen und auf unseren Mülldeponien anhäuft, einen Wert zu gewinnen. Das Verfahren heißt Flash-Joule-Heating oder vereinfacht ausgedrückt, etwas sehr schnell sehr heiß machen. Dabei wird zum Beispiel eine Leiterplatte mit 3000 °C heißem Strom durchgeschüttelt, wodurch die giftigen Komponenten verdampfen und die Edelmetalle isoliert werden. Die Ausbeute ist nicht unbedeutend: Ein durchschnittlicher Röhrenfernseher, wie er noch in vielen Wohnung steht, liefert fast ein Pfund Kupfer, mehr als ein halbes Pfund Aluminium und sogar 0,02 Unzen Gold nach der Verdampfungsabscheidung.

Noch beeindruckender ist der Nutzen für die Umwelt. Die Rückgewinnung von Edelmetallen aus Elektroschrott, das so genannte „Urban Mining„, ist bis zu 500 Mal energieeffizienter als das herkömmliche Schmelzen (Erz in einen Ofen werfen), und der zurückbleibende Abfall ist weniger giftig. Darüber hinaus weist die Studie darauf hin, dass „die Konzentrationen einiger Edelmetalle im Elektroschrott höher sind als in Erzen, und ihre Gewinnung könnte bis zu 13 Mal billiger sein. „Dadurch wird es nicht mehr nötig sein, überall auf der Welt an abgelegenen und gefährlichen Orten nach Erzen zu schürfen, wobei die Erdoberfläche ausgebeutet und Unmengen an Wasser verbraucht werden“, so James Tour, Hauptautor der Studie. „Der Schatz liegt in unseren Müllcontainern.“

Die Arbeit von Tour und seinen Kolleginnen zeigt das erste Mal, dass Flash-Jouling zum Abbau von Elektronik verwendet werden kann. Das Verfahren wird auch eingesetzt, um billige Kohlenstoffquellen in hochwertiges Graphen oder Diamant zu verwandeln. In beiden Fällen erfolgt die Umwandlung von Schrott in wertvolles Material in weniger als einer Sekunde. Vergleicht man das mit dem Zeit- und Energieaufwand, der nötig ist, um eine Schmelze zu befeuern und am Kochen zu halten, ist es kein Wunder, dass die Rice-Forscherinnen die Flash-Joule-Erhitzung als skalierbar betrachten, mit dem Potenzial für baldige Anwendungen außerhalb des Labors. „Wir könnten die FJH-Spannung und/oder die Kapazität der Kondensatorbank erhöhen, wenn wir die Probenmasse vergrößern“, so die Forschenden. Mit anderen Worten: Je mehr Schrott, desto höher die Hitze.

Elektro-Müll an der Quelle stoppen?

Natürlich sollten Lösungen wie diese nicht von der Notwendigkeit eines systemischen Wandels ablenken. Die eigentliche Herausforderung beim Thema Elektroschrott besteht nämlich nicht darin, herauszufinden, was man mit ihm machen soll, sondern wie man ihn von vornherein vermeiden kann.

Die Last ist nicht gleichmäßig verteilt. Die weltweit größten Pro-Kopf-Produzent*innen von Elektroschrott sind allesamt wohlhabende Länder (oder, wie es scheint, Länder, deren Flagge rot, weiß und/oder blau ist). Vielleicht sollten wir unsere Beziehungen zu Verbraucher*innen so angehen wie unsere romantischen Beziehungen, in denen wir reparieren, was kaputt ist, anstatt alles wegzuwerfen, und in denen wir besser darin sind, nicht immer auf das neueste Modell hereinzufallen. Auf der Verkaufsseite fängt es damit an, dass Hersteller*innen Geschäftsstrategien wie die geplante Obsoleszenz aufgeben, bei der künstliche verkürzte Lebensspannen Teil des Produktdesigns sind. Modulare Smartphones, deren verschiedene Komponenten unabhängig voneinander aufgerüstet oder ausgetauscht werden können, sind nur ein Beispiel dafür, wie diese Bemühungen ineinander übergehen können.

Realistischerweise werden wir unsere iPods in nächster Zeit nicht gegen Gold eintauschen können. Dennoch ist es ein Gewinn für die Kreislaufwirtschaft, wenn aus dem Friedhof der alten Geräte neue Elektronik entsteht.

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