Denkt man an Solarenergie, assoziiert man den Begriff zunächst mit der Sonne und dann mit großen, starren Photovoltaikanlagen auf Freiflächen oder Hausdächern, die die Sonnenstrahlung in elektrische Energie umwandeln. Doch die Forschung schreitet voran – was die Technik sowohl effizienter macht als auch ihre Einsatzmöglichkeiten vergrößert.
Forschende der Helmholtz-Gemeinschaft wollen mit innovativen, druckbaren Solarpaneelen sämtliche Fassadenflächen von Gebäuden für die sogenannte “Multi-Benefit-Photovoltaik“ erschließen. „Um die Ziele der Bundesregierung für den Ausbau der Photovoltaik in den nächsten Jahren zu erreichen, werden wir in Deutschland die Installationen massiv ausbauen müssen […] Allein in Deutschland müssen wir dafür Tausende von Quadratkilometern an Flächen für die Photovoltaik erschließen. Da sind Konflikte vorprogrammiert. Daher möchten wir für die Photovoltaik Flächen nutzbar machen, welche bereits für andere Funktionen verwendet werden, und bei denen die Photovoltaik noch weitere Vorteile bringt“, berichtet Prof. Ulrich Lemmer vom Karlsruher Institut für Technologie, der am Projekt beteiligt ist.
Dafür sollen zum einen neue Technologien entwickelt oder bereits bestehende optimiert werden und zum anderen ein einfacher Zugang für die Industrie, Gesellschaft und Verbraucher*innen über die Innovationsplattform Solar TAP geschaffen werden.
Welche Photovoltaik-Technologien stehen im Fokus?
Anders als bei der klassischen Silizium- und Dünnschichtphotovoltaik konzentrieren sich die Wissenschaftler*innen in diesem Projekt auf Emerging-Photovoltaik-Technologien. Die entsprechenden Systeme setzen dabei auf synthetisierte Halbleiter – zu denen organische und Perowskit-Halbleiter gehören. Diese konnten in den letzten fünf bis zehn Jahren ihre Lichtkonversionseffizienz drastisch steigern und zu Silizium aufschließen. Zum Vergleich: Unter Laborbedingungen liegt die Spitzeneffizienz von Silizium-Solarzellen bei etwa 26,7 Prozent, die von Perowskit-Systemen bei rund 25,7 Prozent und die von organischen Solarzellen bei etwa 20 Prozent.
Der große Vorteil der neuen Photovoltaik-Technologien gegenüber den bereits etablierten Systemen besteht darin, dass sie den Forschenden großen Spielraum bei der Anpassung der Solarzellen an ihre Einsatzgebiete geben. „Sie können spezifisch angepasst werden, zum Beispiel für farblich-attraktive, gebäudeintegrierte Photovoltaik oder die ideale Lichttransmission für das Wachstum von Nutzpflanzen“, erklärt Prof. Christoph Brabec vom Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg. Und es gibt noch weitere Vorteile: „Die modernen organischen und Perowskit-Halbleiter sind defekt-tolerant und können leicht aus der Lösung prozessiert werden. Man kann die Solarzellen daher drucken. Das erlaubt kostengünstige Herstellungsverfahren mit hohem Durchsatz, auch auf flexiblem Untergrund“, so Prof. Eva Unger vom Helmholtz-Zentrum Berlin.
Die Wissenschaftler*innen der Helmholtz-Gemeinschaft sind sich einig, dass die neuen Emerging-Photovoltaik-Technologien zwar aktuell noch Verbesserungsbedarf aufweisen, aber deren enormes Potenzial den Forschungsaufwand wert ist.
Multi-Benefit-Photovoltaik der Zukunft
Es gibt bereits erste Firmen, die organische und Perowskit-basierte Solarzellen über die Plattform Solar TAP kommerzialisieren und entsprechende Produkte in der Praxis testen. Diese mehr als 45 Industriepartner*innen bestehen aus einer sehr heterogenen Gruppe von Unternehmen, die von kleinen Startups bis hin zu Großunternehmen reichen. Innerhalb der Innovationsplattform profitieren also beide Seiten – die Helmholtz-Gemeinschaft auf der Seite der Forschung und die Unternehmen auf der Seite der Praxisanwendung – durch einen stetigen Wissensaustausch.
Gebäude sind ein CO2-Schwergewicht: Das Bauen, Wärmen, Kühlen und Entsorgen unserer Häuser hat einen Anteil von rund 40 Prozent an den CO2-Emissionen Deutschlands. Unsere Klimaziele erreichen wir nur, wenn diese Emissionen massiv gesenkt werden.
Wie aber gelingt die nachhaltige Transformation der Gebäude und welche Rolle spielen digitale Lösungen dabei? Das RESET-Greenbook gibt Antworten: Gebäudewende – Häuser und Quartiere intelligent transformieren
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So sind aus der Zusammenarbeit bereits erste Ergebnisse hervorgegangen. Ein Beispiel ist das im September 2021 in Betrieb genommene Reallabor für bauwerkintegrierte Photovoltaik am Helmholtz-Zentrum in Berlin-Adlershof. Das Gebäude wurde mit 360 Solarmodulen ausgestattet, von denen jedes Modul eine Leistung von etwa 135 Watt hat. Insgesamt beträgt die Peak-Leistung damit knapp 50 Kilowatt. Zusätzlich wurde das Gebäude mit umfangreicher Sensortechnik ausgerüstet, um die Solarzellen-Leistung unter realen Witterungsbedingungen zu messen. Schaut man sich das Praxisbeispiel für Dünnschicht-Photovoltaik an, würde man im ersten Moment nicht vermuten, dass es sich um Solarmodule handelt. Erst auf den zweiten Blick und mit entsprechender Kenntnis offenbart die modern anmutende Fassade ihre Funktion.
Neben der Integration von Solarzellen in Fassaden liegt der Fokus der Multi-Benefit-Photovoltaik auf der Agrivoltaik – der Kombination von Landwirtschaft und Photovoltaik. Und wer weiß, eventuell lassen sich diese beiden Bereiche sogar miteinander kombinieren. Vielleicht wird es in Zukunft so möglich sein, bei modernen Gebäuden gleich drei Dinge miteinander zu vereinen: Wohnen, die Gewinnung von nachhaltiger Sonnenenergie und das vertikale Anpflanzen von Obst und Gemüse hinter den semitransparenten Solarmodulen – denn wer nascht nicht gerne frische Himbeeren und Brombeeren im Sommer?
Dieser Artikel gehört zum Dossier „Gebäudewende – Häuser und Quartiere intelligent transformieren“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.