Die Netze aufgespannt, die Harpunen nachgeladen: Japan jagt wieder Wale. Zum 1. Januar hat die Inselnation den Austritt aus der Internationalen Walfangkommission (IWC) bekanntgegeben, um ab Mitte 2019 vor ihren Küsten wieder kommerziellen Walfang betreiben zu können. Der Beschluss ist kein gutes Signal für den Schutz der Meeressäuger, von denen nach wie vor eine Vielzahl vom Ausstreben bedroht ist. Neben Walen sind auch viele andere Meeresbewohner betroffen. Einer der Gründe hierfür ist Überfischung.
Überfischung in Zahlen
„Wir verspielen unsere wichtigste Nahrungsquelle, da sich weltweit etwa 2,6 Milliarden Menschen hauptsächlich von Fisch ernähren“, warnt Achim Steiner, Direktor des UNO-Umweltprogramms. Vor allem in Küstenregionen ernähren sich Menschen hauptsächlich von Fisch. Ein Kollaps der Bestände hätte also nicht nur Auswirkungen auf das Ökosystem, sondern ebenfalls dramatische Folgen für die Ernährungssicherheit großer Bevölkerungsteile Afrikas und Asiens.
Etwa 30 Prozent der kommerziell genutzten Fischbestände gelten als überfischt, 60 Prozent der Fischbestände sind maximal befischt. Nur 10 Prozent der globalen Fischbestände sind noch nicht an der Belastungsgrenze befischt. Das geht aus dem Bericht über den Zustand der Weltfischbestände und der Aquakultur der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hervor. Sollte sich an dieser Situation nichts ändern, werden die meisten Fischbestände in den Ozeanen laut Prognose des UN-Umweltprogramms UNEP bis zum Jahr 2050 kollabiert sein – ein kommerzieller Fischfang wäre damit nicht mehr möglich.
Der MSC (Marine Stewardship Council) hat eine interaktive Analyse zum Thema Überfischung und Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung veröffentlicht.
Von Fischhunger und Profitgier
Mit dem weltweiten Fischhunger lässt sich viel Geld verdienen. An die 60 Millionen Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt mit Fischerei oder Aquakultur. Die Politik versucht der intensiven Fischerei mit Fangquoten Einhalt zu gebieten. Bei der Festlegung der jährlichen Fangquoten werden die Empfehlungen der Wissenschaft jedoch regelmäßig ignoriert.
Wie stark sich wissenschaftliche Empfehlung und politische Entscheidung unterscheiden, wird am Fall des Blauflossen-Thunfischs deutlich. Laut Robert Mielgo, einem ehemaligen Thunfisch-Händler, kollabierte dessen Bestand bereits im Jahr 2007. 61.000 Tonnen Blauflossen-Thunfisch wurden 2006 gefangen. Eine Zahl, die zweimal so groß ist wie die damalige offizielle Fangquote der EU und der ICCAT (International Commission for the Conservation of Atlantic Tunas) vorgaben und viermal so groß, wie die Zahl, die von Wissenschaftlern für eine nachhaltige Befischung empfohlen wurde. Heute, etwa zehn Jahre später, ist der pazifische Blauflossen-Thunfisch vom Aussterben bedroht und wurde deshalb von der Weltnaturschutznation in die Rote Liste der gefährdeten Tierarten aufgenommen. Gerade bei den Japanern ist der Thun für Zubereitung von Sushi beliebt: Für einen einzelnen Blauflossen-Thunfisch werden heute mehr als 100.000 US-Dollar auf dem japanischen Fischmarkt bezahlt.
Aufgrund der Tatsache, dass EU-Staaten und andere Länder ihre Nachfrage nach Fisch nicht mehr in den eigenen Gewässern stillen können, handelt die EU vor allem mit westafrikanischen Staaten wie dem Senegal regelmäßig Fischereiabkommen aus. Diese Internationalen Fischereiabkommen machen es möglich, den europäischen Bedarf an Fisch in den Gewässern Afrikas, der Karibik oder den Pazifischen Ländern zu stillen. Mit dramatischen Folgen für die lokalen Fischer und die Küstenbevölkerung, denen die Fischbestände durch ausländische Nationen leergefischt werden und damit um ihre Nahrungsgrundlage beraubt werden. Die hierfür erbrachten Kompensationszahlungen nutzen dabei häufig nur den Eliten der Länder.
Durch den Aufkauf der Fischfangquoten anderer Staaten wird das Problem der Überfischung also über die EU-Grenzen hinaus exportiert. Die kommerzielle Überfischung bedroht nicht nur das gesamte Ökosystem Meer, sondern gefährdet auch die Ernährungssicherheit vor allem in West- und Nordafrika. Doch auch anderen Länder sind betroffen, darunter Bangladesch, Kambodscha, Äquatorialguinea, Französisch-Guayana, Gambia, Ghana, Indonesien und Sierra Leone.
High-Tech-Fischfang
Radar, Sonar, Hubschrauber, Aufklärungsflugzeuge. Das erinnert viel mehr an ein Kriegsszenario, denn an Fischerei auf hoher See. Über zwei Millionen Schiffe befinden sich derzeit auf den Weltmeeren auf Beutezug. Rund 23.000 davon sind industrialisierte Trawler, die mit 3D-Sonargeräten und Satellitennavigation Fischgründe aufspüren und befischen.
Fischfang ist mittlerweile hochtechnologisch – metergenau können die Fischer heutzutage die Position von Fischschwärmen bestimmen und so die Bestände leerfischen. Ein Teufelskreis: Je stärker die Bestände zurückgehen, desto größer werden die Netze und moderner die Ausrüstungen. Der verlockende Ruf des Geldes führt außerdem zu massiven Überkapazitäten der Fangflotten und so zu hohem Druck auf die verbleibenden Fischbestände.
Illegales Piratenfischen
Mit der zunehmenden Nachfrage aus Europa und Asien und sinkenden Fangquoten in den europäischen Gewässern wächst auch der Anreiz vieler Fischtrawler ohne Genehmigung in fremden Gewässern zu fischen. 500.000 Tonnen illegal gefangener Fische kommt laut Expertenschätzungen jedes Jahr in der EU auf den Teller. Laut Schätzungen der IUCN wird rund ein Fünftel des weltweit gefangenen Fisches mit einem Marktwert von 23,5 Milliarden US-Dollar illegal aus dem Meer gezogen.
Ins Visier geraten dabei zunehmend die Gewässer von Entwicklungsländern: Diese verfügen nur selten über ausreichende Möglichkeiten, ihre Gewässer vor Piraten-Fischern zu schützen. Die illegale Fischerei hat dabei nicht nur direkte Auswirkungen auf die lokalen Fischer vor Ort, sie wirkt sich auch verheerend auf die Entwicklung der verbleibenden Fischbestände aus, da Fänge nicht verbucht und künftige Quoten aus den (falsch) vermuteten Beständen errechnet werden.
Außerdem entreißt die Überfischung den lokalen Fischern – es gibt mehr als zehn Millionen – ihre Arbeit und letztendlich die Lebensgrundlage, da unabhängig arbeitende Fischer nicht mit den hochmodernen fabrikgleichen Fisch-Trawlern konkurrieren können und auch der Fisch in ihren Gewässern immer weiter dezimiert wird. So weisen der EED und der NRO seit Jahren darauf hin, dass verarmte Kleinfischer sich in Somalia zunehmend kriminellen Banden anschließen, da ihre Gewässer von den Hochseetrawlern leer gefischt wurden und der eigene Fang nicht mehr zum Überleben reicht.
Beifang: Mitgefangen, mitgehangen
Das Leerfischen der Meere hat noch einen weiteren, bitteren Nebengeschmack: Beifang. Durch unselektive Fangmethoden und mehr als 100 km lange Angelschnüre und Schleppnetze gehen jährlich mehr als 27 Millionen Tonnen Fisch und andere Meerestiere als Beifang in die Netze der Hochseetrawler, das entspricht in etwa einem Drittel der Menge des gesamten gefangenen Fischs. Auch Seevögel, Wale, Rochen, Schildkröten und Delphine sind Opfer des Hochseefischens mit Netzen und werden schließlich als „Abfall“, tot oder sterbend, wieder zurück in das Meer geworfen.
Beifang ist nach Angaben des WWF eine der Hauptursachen für das Verschwinden von 89 Prozent der Hammerhaie und 80 Prozent der Weißen Haie aus dem Nordostatlantik. Über 300.000 Wale, Delphine und Tümmler sterben jedes Jahr als Beifang in Netzen und an den Haken der Leinen. Auch Albatrosse, Sturmvögel, Sturmtaucher und Pinguine werden Opfer. Der WWF schätzt, dass jährlich 300.000 Vögel ertrinken, weil sie nach Ködern tauchen. Mehr zum Beifang im Artikel Mitgefangen, mitgehangen: Beifang und Rückwurf in der Fischerei.
Was tun? Lachs aus der Aquakultur?
Wer die Ausbeutung der Ozeane stoppen möchte, der sollte sich nicht auf den politischen Willen verlassen, sondern wissen, dass es sich bei der Schillerlocke um den bedrohten Dornhai handelt und so einige Fischarten wie Schwertfisch, Seeteufel oder Kabeljau bzw. Dorsch definitiv nicht mehr auf Teller und Speisekarte gehören.
Auch sollte der bewusste Fischgenießer wissen, dass die Umweltbilanz einer Aquakultur bedeutend schlechter ausfällt, als viele meinen. Denn auch in Bio-Aquakulturen braucht es für ein Kilo Lachs bis zu vier Kilogramm Futterfische. Um die von den Fischern erbeuteten Wildfische zu züchten bräuchte man somit die vierfache Menge Fisch als Futter aus dem Meer, insgesamt gewaltige 320 Millionen Tonnen jährlich! Außerdem geht diese Form der Kultivierung von Nahrungsmitteln mit hohen Emissionen in der ökologischen Umgebung einher, wie die Verschmutzung der Gewässer durch den Einsatz von Medikamenten und Düngemitteln oder der Schaffung eines Aquakulturgebietes in einem Terrain, das aufgrund hoher Artenvielfalt und Wasserqualität eher für ein Reservat genutzt werden sollte.
Dass sich ein Bestand erholen kann, wenn man ihn lässt, zeigt das Beispiel des Nordseeherings. In den 1960ern kollabierten die Bestände innerhalb weniger Jahre. Daraufhin wurde die Heringsfischerei zwischen 1977 und1981 komplett verboten: der Bestand erholte sich, bis es Mitte der 1990er zur erneuten Krise kam, als viele junge Fische als Beifang ins Netz gingen und damit weniger Tiere zur Geschlechtsreife heranwachsen konnten. 1997 wurde die Fangmenge mitten im Fischereijahr erneut stark gedrosselt, woraufhin sich der Bestand erholte.
Nachhaltige Projekte gegen Überfischung
Die schlechte Ökobilanz von Aquakulturen lässt sich indes durch Aquaponik verbessern. Hierbei wird ein geschlossener Wasser- und Nährstoffkreislauf durch die Kombination von Aquakulturen (Fischzucht) und Hydrokulturen (Gemüseanbau ohne Erde) hergestellt. Der „Tomatenfisch“ ist ein prominentes Beispiel, aber auch Projekte aus Südostasien machen auf sich aufmerksam: Wie Fische in den Bergen Indonesiens beim Gemüseanbau helfen.
Hoffnung machen Projekte wie Unterwasserfarmen, die dabei helfen, Versauerung, Verschmutzung und Überfischung zu verringern. Bei einer vertikalen Unterwasserfarm wird die gesamte Wassersäule, vom Meeresboden bis zu Oberfläche, genutzt, um Algen-, Jakobs- und Miesmuscheln anzubauen. Fische können die Kombination aus Algen und Meeresfrüchten als Nahrungsmittel nutzen.
Das Projekt FishFace arbeitet an einer Lösung, die im großen Stil zum Schutz der weltweiten Fischbestände beitragen könnte. Die statistische Datenerfassung von Fischen soll anhand einer Gesichtserkennung der Tiere verbessert werden – per Fotokamera. Mithilfe von künstlicher Intelligenz werden Bilddatenbanken von Fischbeständen erstellt, die langfristig Informationen über den Anteil verschiedener Fischarten am Fischfang sammeln, um so zum Schutz der weltweiten Fischbestände beizutragen.
Es gibt sie also, die Ideen, die kleinen Hebel, die dabei helfen können, gleichzeitig den globalen Hunger nach Fisch zu stillen, der Überfischung der Meere entgegenzuwirken und ein Artensterben zu stoppen. Jetzt gilt es nur noch, sie in die Welt zu tragen.
Erste Veröffentlichung: Rima Hanano, 2010; letzte Aktualisierung: Januar 2019 (RESET-Redaktion/ Thorge Jans)