TATENDRANG: Mit Hilfe der Sonne überall keimfrei operieren

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Weder Strom noch sauberes Wasser, das ist Realität in vielen Krankenstationen in Entwicklungsländern. Operationsbesteck bekommt man so natürlich niemals keimfrei. Die Folgen sind fatal. Drei junge Männer aus Kassel haben einen Rucksack entwickelt, der die Lösung sein könnte – und suchen für ihre Crowdfunding-Kampagne weitere Unterstützer. Wir sprachen mit Martin Reh, einem der Gründer.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 25.11.14

Laut WHO infizieren sich in vielen Regionen mehr als zwei von drei Patienten bei Operationen mit Infektionskrankheiten. Besonders hoch sind die Zahlen in ländlichen Entwicklungsregionen. Deutlich niedriger fielen de Zahlen aus, würde mit keimfreien Operationsbesteck operiert. Doch herkömmliche Sterilisationsgeräte, wie wir sie kennen, sind nicht nur teuer in der Anschaffung, sondern benötigen Strom und hochreines Wasser. Beides fehlt oft in Entwicklungsregionen, operiert werden muss trotzdem, irgendwie.

Die Lösung: Eine mobile Sterilisationseinheit

Die drei Gründer Raphael Schönweitz, Philipp Odernheimer und Martin Reh haben mit ihrem jungen Startup Rucksackspende einen mobilen, medizinischen Rucksack entwickelt, der mit Hilfe einer eigenen Wasseraufbereitungsanlage Operationsbesteck sterilisiert. Den nötigen Strom liefert die Sonne.

Wie der Rucksack funktioniert? Am Einsatzort angekommen werden die Solarkollektoren heruntergeklappt. Danach wird Wasser aus einem Fluss, einem See oder der Wasserleitung in den Rucksack gepumpt. Dieses Wasser wird im Rucksack filtriert und destilliert – so wird sogar verkeimtes Fluss- oder Seewasser zu hochreinem Wasser. Sobald der Rucksack genug Sonnenenergie abbekommen hat, beginnt die Reinigung und Desinfektion von verunreinigtem Operationsbesteck. Anschließend erfolgt die Sterilisation. Ist der Vorgang beendet, steht das sterile Operationsbesteck in einer Box für die nächste OP zur Verfügung.

www.Rucksackspende.de from Benjamin Pfitzner on Vimeo.

Durch Erfahrungen von Ärzten vor Ort konnte der Rucksack speziell auf die Nutzer angepasst werden. Die technische Machbarkeit ist nachgewiesen und der Rucksack hat bereits mehrere Preise erhalten. Nun geht es darum, den ersten Prototypen fertigzustellen. Mit der aktuell laufenden Crowdfunding-Kampagne sollen die dafür nötigen finanziellen Mittel zusammen kommen. Von dem positiven Feedback sind selbst die drei Gründer überrascht. Wir sprachen mit Martin Reh über die Entstehung der Idee und Pläne für die Zukunft.

Die drei Gründer Philipp Odernheimer, Raphael Schönweitz und Martin Reh.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, euch dem Problem mangelnder medizinischer Hygiene in Entwicklungsländern anzunehmen?

Unsere Geschichte begann vor ungefähr zweieinhalb Jahren. Raphael und Philipp lernten sich in Nordhausen kennen, wo sie während des Ingenieursstudiums eine spezielle solarbetriebene Wasseraufbereitungsanlage entwickelten – und die heute das Herzstück des medizinischen Rucksackes bildet. Um weiter zu forschen und zu entwickeln, wechselten die beiden an die Universität Kassel, wo sie den Masterstudiengang Regenerativen Energien absolvierten. Über einen Aushang am „schwarzen Brett“ stieß ich zufällig zu den beiden, da sie einen Wirtschaftler suchten, der die Nutzung der solarbetriebenen Wasseraufbereitungsanlage vorantreiben sollte. Bei Gesprächen über unsere Erfahrungen bei Auslandsaufenthalten in Afrika lag die Idee plötzlich auf der Hand: Die solarbetriebene Wasseraufbereitungsanlage in einen medizinischen Rucksack zu integrieren, um dort „saubere“ Operationen zu ermöglichen, wo es weder dauerhaft Strom noch entsprechende Geräte zur Sterilisation gibt. Um unsere Vision vom angepassten medizinischen Rucksack umzusetzen haben wir zuerst in einer Garage angefangen, die ersten Teile zu entwickeln. Seit dem erfolgreichen Abschluss unseres Studiums können wir in Vollzeit an unserem Projekt arbeiten, aus der Garage ist eine richtige Werkstätte geworden.

Warum ein Rucksack? Ist die Mobilität der „Sterilisationsstation“ tatsächlich so wichtig? 

Die Idee eines mobilen Rucksacks ist, dass das Gerät im Notfall überallhin mitgenommen werden kann. Damit können Menschen in entlegenen Regionen im Himalaya genauso unter sterilen Bedingungen operiert werden wie auch im Krisenfall schnell alles nötige mitgenommen werden kann.

Oftmals werden Krankenstationen hochspezialisierte Geräte gespendet, doch sobald diese kaputt sind findet sich weder jemand, der die Reparatur machen könnte noch lassen sich die nötigen Ersatzteile auftreiben. Wie robust wird euer Rucksack werden?

Bis jetzt konnten wir das Problem noch nicht zu 100 % lösen, aber sind uns darüber natürlich bewusst. Wir haben bei der Entwicklung darauf geachtet, dass z.B. keine Pumpen und andere höchst störanfällige Komponenten verwendet werden, um die Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten zu verringern. Außerdem arbeiten wir mit Standardkomponenten, die sehr wahrscheinlich auch vor Ort aufzutreiben sind. Unser Rucksack ist High-Tech in dem Sinne, dass er einfach gehalten wird. Außerdem ist uns besonders wichtig, dass er optimal an die jeweiligen Bedingungen angepasst ist. Daher wird es Ende nächsten Jahres auch einen Feldtest geben um zu sehen, wie die Nutzer damit umgehen können.

Der Rucksack wird in der Anschaffung bestimmt nicht ganz günstig sein und gerade die Menschen, an die sich das Angebot richtet, werden nicht das nötige Geld haben; wie soll er trotzdem verbreitet werden?

Im Moment zielen wie darauf ab, dass Unternehmen, Vereine, Hilfsorganisationen und Privatpersonen die Rucksäcke finanzieren. Mittelfristig sehen wir aber Potential, dass auch die Menschen vor Ort die Rucksäcke finanzieren, da v.a. die Mittelschicht in Afrika stetig wächst und selbst ein großes Interesse daran haben könnte, die Entwicklung ihres Landes voranzutreiben. Bei der Vergabe der Rucksackspenden werden wir dann mit größeren Organisationen zusammenarbeiten. Wir freuen uns sehr über das positive Feedback: Schon jetzt haben sich Unternehmen bei uns gemeldet, die Rucksäcke spenden wollen und gerade Ärzte unterstützen unsere Crowdfunding-Kampagne.

Wovon habt ihr die bisherige Entwicklung finanziert?

Als eine Gründung aus der Uni heraus haben wir ein Stipendium von der Bundesregierung bekommen, wovon wir bis jetzt leben und sogar eine eigene Entwicklungsstätte aufbauen konnten. Mit dem Geld aus der Crowdfunding-Kampagne wollen wir dann den ersten Prototypen herstellen, der wie ein Rucksack auf dem Rücken überall dort hingetragen werden kann, wo er gebraucht wird.

Kann man euch neben Geldspenden noch anderweitig unterstützen?

Ja, klar. Wir können eigentlich in vielen Bereichen Unterstützung gebrauchen, z.B. in der Kommunikation oder mit der Technik.

Dir gefällt das Projekt? Hier geht´s zur Crowdfunding-Kampagne: Rucksackspende

Ausführliche Informationen findest du auch auf der Webseite rucksackspende.de.

TATENDRANG ist das Interviewformat von RESET. Wir wollen wissen, wie unsere Interviewpartner zu ihren spannenden, innovativen und einzigartigen Projekten und Ideen aus den Bereichen Umwelt und globale Gerechtigkeit kamen, warum sie sich für genau das Thema einsetzen und wie schwer oder einfach sich das Projekt durchführen ließ. Damit wollen wir Ideen streuen, Projekte präsentieren und zu Aktionen anregen. Wir denken: Die Welt verändern kann jeder! Alle Interviews findest du hier: TATENDRANG

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