Tubesolar: Können röhrenförmige Solarmodule das Dilemma der Agro-Photovoltaik lösen?

Die Kombination von Strom aus Solarenergie und Landwirtschaft - Agro-Photovoltaik - bringt Vorteile, aber auch Herausforderungen mit sich. Kann ein neuer Ansatz die Probleme lösen?

Autor Mark Newton:

Übersetzung Sarah-Indra Jungblut, 08.06.22

Wer heute auf dem Land spazieren geht, sieht auf den Feldern mehr als nur Getreide und weidende Tiere. Zunehmend werden auch traditionelle landwirtschaftliche Flächen in die nächste Generation der großen Solarparks umgewandelt. Das ist zwar gut für die Erzeugung erneuerbarer Energie, hat aber auch einige potenzielle Schattenseiten. Vor allem können auf einem Feld mit Solarpanels nicht so viele Pflanzen angebaut oder Tiere gehalten werden. Diesen Zwiespalt will ein neuer Ansatz der Agro-Photovoltiacs überbrücken.

Der deutsche Agrovoltaik-Entwickler Tubesolar hat ein röhrenförmiges Photovoltaiksystem entwickelt, das auf bestehende Kulturen aufgebaut werden kann und möglicherweise sogar den Ernteertrag erhöht. Bei dem System werden flexible PV-Streifen in Glasröhren in einem Gitter angeordnet und über Pflanzen oder anderen Objekten positioniert. Die röhrenförmige Struktur bedeutet, dass Licht, Wasser und Luft weiterhin die darunter liegenden Pflanzen erreichen kann, während gleichzeitig Strom erzeugt wird. Nach eigenen Angaben erzeugt das System von Tubesolar etwa die gleiche Menge an Strom wie herkömmliche Paneele – etwa 1 MW pro Hektar.

Das Design, das in Zusammenarbeit mit dem Phototronik-Unternehmen Osram entwickelt wurde, hat noch weitere Vorteile. Die Röhren können in verschiedenen Höhen angeordnet werden, so dass darunter Platz für die Ernte und andere Arbeiten bleibt. Die röhrenförmige Beschaffenheit der Photovoltaikanlagen bedeutet auch, dass sie aus leichten Materialien gebaut werden können, was die Konstruktion, die Kosten und die Logistik erleichtert. Ihre gewölbte Oberfläche ermöglicht außerdem eine Selbstreinigung, was den Arbeitsaufwand im Vergleich zu herkömmlichen Paneelen verringert.

Die röhrenförmigen Paneele können sogar den Pflanzen selbst helfen. Sie spenden kühlenden Schatten, was in trockenen Umgebungen nützlich sein kann, und begrenzen die Sonneneinstrahlung. Darüber hinaus können sie die Pflanzen auch vor starkem Regen, Hagel oder Vogelschäden schützen. Tubesolar gibt an, dass all das dazu führt, dass die Oberflächenerosion verringert, Wasser erhalten und die Wüstenbildung verhindert wird – und das alles bei gleichzeitiger Erzeugung sauberer erneuerbarer Energie.

Die Vor- und Nachteile der Agro-Photovoltaik

Wenn es um den Bau großer Solarparks geht, ist der Standort vielleicht wichtiger, als es auf den ersten Blick scheint. Es geht nicht nur darum, einen Park auf einer sonnigen Wiese zu errichten; um einen hohen Wirkungsgrad zu gewährleisten, müssen auch andere Umweltbedingungen stimmen. So kann zum Beispiel auch ein zu heißes Gebiet die Effizienz von Solarmodulen verringern.

Aus diesem Grund haben sich landwirtschaftliche Flächen zu einem bevorzugten Standort für Solaranlagen entwickelt. Landwirtschaft wird in der Regel in feuchten Gebieten betrieben, was zu kühlenden Dämpfen führt, die den Wirkungsgrad von Solarmodulen erhöhen. Außerdem sind die Felder der Landwirte in der Regel weit und offen und haben keine Strukturen, die die Sonnenstrahlen blockieren. Das Potenzial für die Energieerzeugung ist hier also enorm. In einer Studie wurde geschätzt, dass es ausreichen würde, weniger als ein Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen der Welt mit herkömmlichen Solaranlagen zu bedecken, um den gesamten derzeitigen Strombedarf der Welt zu erzeugen – wenn man von idealen Bedingungen ausgeht.

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Die großflächige Entwicklung von Solaranlagen in ländlichen Gebieten führt jedoch zu Befürchtungen, dass die Nahrungsmittelproduktion beeinträchtigt werden könnte. Dies ist umso kritischer, als die Bevölkerung wächst und der Bedarf an Nahrungsmitteln in Zukunft steigen wird. Allerdings können auf Feldern angebrachte Solarmodule in einigen Fällen den Ertrag steigern. In einer Studie aus dem Jahr 2016 wurde berichtet, dass landwirtschaftliche Betriebe, die schattenresistente Pflanzen unter Solarmodulen anbauen, einen 30 Prozent höheren wirtschaftlichen Wert haben als konventionelle Betriebe. Dies ist wahrscheinlich auf das von den Modulen erzeugte Mikroklima zurückzuführen, das einigen Sommerkulturen zugute kommt. Durch den Einsatz von Solarmodulen kann auch die Wasserverdunstung verringert werden, wodurch die für die Bewässerung benötigte Wassermenge reduziert wird. Auf Weidetiere haben Solarmodule nur geringe Auswirkungen und können ihnen auch Schatten und Schutz bieten.

Allerdings gibt es auch erhebliche Nachteile. Nur bestimmte schattenresistente Kulturen, wie Gurken und Salate, werden positiv beeinflusst. Diese machen allerdings nur einen kleinen Prozentsatz der landwirtschaftlichen Produktion aus. Weizen zum Beispiel benötigt direktes Sonnenlicht und ist ein schlechter Kandidat für die Agro-Photovoltaik. Solarmodule erhöhen wahrscheinlich auch die Luftfeuchtigkeit und das Potenzial für die Ausbreitung von Krankheiten und verbrauchen zudem mehr Platz. Andere Studien haben ergeben, dass innovativere Agro-Photovoltaik-Konstruktionen, wie zum Beispiel Gewächshäuser, die Erträge erheblich beeinflussen. In einem Fall sanken die Ernteerträge um 64 Prozent und die Energieerzeugung um 84 Prozent bei Gewächshäusern, deren Dach zur Hälfte mit Paneelen bedeckt war.

Auch die Kosten der Anlagen sind nicht zu unterschätzen. Agro-Photovoltaikanlagen, die über Kulturen angebracht werden, sind mit zusätzlichen Kosten für den Bau sowie mit höheren Versicherungskosten verbunden, da die Wahrscheinlichkeit von Schäden besteht. Außerdem müssen die Landwirt*innen zunehmend komplexe Anlagen reparieren oder Fachleute hinzuziehen. In vielen Ländern wäre die Agrophotovoltaik daher für die wenigsten Landwirt*innen wirtschaftlich, vor allem, wenn keine staatlichen Zuschüsse und Subventionen zur Verfügung stehen.

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