Trägt die Digitalisierung wirklich zum Klimaschutz bei?

Aktuell sorgt die Zunahme der Datenströme nicht für einen niedrigen Energie- und Ressourcenverbrauch insgesamt.

Die Digitalisierung in ihrer aktuellen Form trägt wenig zum Klimaschutz bei, das zeigt das Projekt CliDiTrans des Borderstep Instituts deutlich. Doch es gibt Stellschrauben.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 21.02.22

Übersetzung Mark Newton:

Im Projekt „Klimaschutzpotenziale der Digitalen Transformation (CliDiTrans)“ haben sich Forschende aufgemacht, die tatsächlichen Klimawirkungen der Digitalisierung zu erkunden. Mit an Bord waren das Borderstep Institut, das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und der Zweckverband Kommunale Datenverarbeitung Oldenburg (KDO). Die Ergebnisse des Projektes, die Ende Januar in einem Abschlussbericht veröffentlicht wurden, sind deutlich: Die Digitalisierung in ihrer aktuellen Form hat kaum positive Wirkungen auf das Klima. Damit sich das ändert, muss sie aktiv gesellschaftlich und politisch gestaltet werden.

Schauen wir einmal genauer hin.

Bisherige Studien greifen zu kurz

Viele in den letzten Jahren veröffentlichte Studien bescheinigen der digitalen Transformation das Potenzial, sowohl den CO2-Ausstoß von Wirtschaft und Gesellschaft zu reduzieren als auch wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand zu unterstützen. Allerdings greifen viele der Analysen zu kurz, da sie sich meist auf die Analyse der Angebotsseite und nur theoretisch abgeleitete Prognosen beschränken, so die Autor*innen des CliDiTrans-Berichts. Sowohl die von der Digitalisierung ausgelösten Verhaltensänderungen und Reboundeffekte als auch nationale und internationale Produktionsverlagerungen würden dabei vernachlässigt. Zu den Verhaltensänderungen gehört zum Beispiel, dass die Nachfrage nach vielen Produkten und Dienstleistungen steigt, weil diese gleichzeitig qualitativ besser und preiswerter werden. Zum anderen verschieben digitale Tools und Services nationale und internationale Produktionsprozesse, da diese weniger standortgebunden sind.

Im Rahmen des Projekts CliDiTrans haben die Forschenden daher einen anderen Ansatz gewählt: Mithilfe von makroökonomischen Analysen wurden die Zusammenhänge zwischen zunehmender Digitalisierung und dem Energiebedarf der Wirtschaft untersucht und mittels mikroökonomischer Evidenz auf nationaler Ebene überprüft. Zusätzlich wurden nationale und internationale Produktionsverlagerungen und Änderungen in der Nachfrage genauer betrachtet. Der Fokus lag dabei auf den Bereichen Virtualisierung, Cloud Computing, Videokonferenzen und Online-Zusammenarbeit in Unternehmen und der Internet- und Mediennutzung in privaten Haushalten.

Aktuelle Situation gibt wenig Grund für Optimismus

Das Projekt liefert eine Reihe von wenig optimistischen Erkenntnissen. So konnten die Forschenden belegen, dass der Energiebedarf der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt nicht zurückgegangen ist, sondern im Gegenteil im Jahr 2020 um etwa 1 Mrd. kWh höher war als 2010. Auch wenn es leichte Energieeinsparungen bei den Endgeräten gibt – durch den höheren Energiebedarf der digitalen Infrastrukturen insgesamt wurden diese wieder aufgezehrt.

Dabei zeigt sich deutlich, dass sich der Stromverbrauch von den Endgeräten hin zu Netzen und Rechenzentren verschiebt, also Endgeräte werden immer effizienter, ihre intensive Nutzung führt aber zu wachsendem Verbrauch in Netzwerk und Cloud. Bedenklich daran ist vor allem, dass davon auszugehen ist, dass der weltweite CO2-Fußabdruck der Digitalisierung in den kommenden Jahren weiter massiv ansteigen wird.

Bei der Frage, inwieweit digitale Technologien Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch voneinander entkoppeln könnten, stellt das Autorenteam fest, dass auch dieser Zusammenhang wissenschaftlich bisher nicht nachgewiesen werden konnte. So hat sich gezeigt, dass mit der zunehmende Digitalisierung der Energiebedarf der Wirtschaft sinkt – jedoch nur geringfügig. Und dieser positive Effekte lässt sich vor allem auf die Verlagerung von energieintensiven Produktionsprozessen in Länder mit geringeren Energiekosten zurückführen und nicht auf Effizienzsteigerungen durch IKT. Allerdings sind Ergebnisse, in denen der Energiebedarf der gesamten Wertschöpfungskette einbezogen wird, mit vorsichtig zu genießen, da diese Daten nur schwer zu erfassen sind.

Auf Ebene einzelner Unternehmen konnten die Forschenden durchaus Klimaschutzpotenziale durch digitalisierte Produktionsprozesse erkennen. Die Zusammenhänge waren aber viel schwächer, als bisher in Schätzungen angenommen. Das heißt, dass digitale Technologien im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland zwar zu mehr Energieeffizienz führen können. Dieser Effekt ist jedoch so gering, „dass nicht davonauszugehen ist, dass die Klimaschutzpotentiale von digitalen Technologien, falls vorhanden, im betrachteten Zeitraum genutzt wurden“.

Ähnlich gemischt ist die Bilanz beim Cloud Computing und der Virtualisierung in Unternehmen. Einerseits steigern diese Anwendungen die Energie- und Ressourceneffizienz deutlich. Andererseits belegen die Forschenden mit den untersuchten Fallbeispielen, dass die Lösungen auch verstärkt genutzt werden. „Digitale Innovationen erhöhen hier also deutlich die Effizienz, die Energie- und Ressourceneinsparungen werden aber auf Ebene eines einzelnen Anwenders teilweise durch eine intensivere Nutzung wieder ausgeglichen.“ Dennoch: Auf Ebene einzelner Unternehmen kann eine verstärkte Nutzung von Virtualisierung und Cloud Computing durchaus zu empfehlen sein, da Energie- und CO2 eingespart werden.

Bleibt noch die Frage nach der privaten Internet- und Medien-Nutzung ungeklärt. Die schlechte Nachricht: Auch hier konnten im Projekt CliDiTrans keine positiven Effekte der Digitalisierung auf den Klimaschutz festgestellt werden. Auch wenn energieeffizientere Geräte zwar für einen Rückgang der CO2 Emissionen während der Nutzung sorgen, werden die Einsparungen durch das Verlangen nach neuen Geräten wieder Wett gemacht. Damit verlagern sich die Einsparungen von der Gerätenutzung in die Herstellphase.

Zudem sorgt die Tatsache, dass immer mehr Menschen immer mehr Zeit mit digitalen Medien verbringen, für ein stetig wachsendes Datenvolumen, dass durch unsere digitalen Netze geschickt werden muss. Und das führt wiederum zu einem steigenden Energiebedarf und zunehmenden CO2-Emissionen, insbesondere in den Rechenzentren.

Keine Eigendynamik im Klimaschutz

Aus ihren Ergebnissen folgern die Autor*innen, dass die Klimaschutzpotenziale der Digitalisierung nur mit einer entschlossenen Politik entfaltet werden können. Am überraschenden Durchbruch von Videokonferenzen lässt sich das gut illustrieren:

Auch wenn zwischen 2000 und 2019 Telefon- und Videokonferenztechnik immer besser und leichter verfügbar wurde, stieg gleichzeitig die Zahl der Menschen an, die geschäftlich mit Auto oder Flugzeug kreuz und quer durch die Welt reisten. Die Kehrtwende brachte erst der harte Lockdown zu Beginn der Corona-Pandemie. Viele Unternehmen stellten zwangsläufig auf Online-Konferenzen und -Meetings um – und erlebten unmittelbar die Vorteile. Schon acht Monate später (und nach 16 Monaten noch immer) ist eine repräsentative Gruppe von Geschäftsreisenden davon überzeugt, dass etwa jede dritte Dienstreise vermeidbar ist. In diesem Fall haben also klare Regelungen die Win-Win-Situationen sichtbar gemacht und dabei geholfen, die ökologischen und ökonomischen Potenziale digitaler Lösungen auch sinnvoll zu nutzen.

Im Rahmen des CliDiTrans -Projekts wurden auch die Klimaschutzeffekte in der Industrie 4.0 genauer unter die Lupe genommen, konkret die Produktion von Elektroautos sowie serielles Sanieren. Auch dabei hat sich gezeigt, dass neue technische Möglichkeiten allein nicht für eine effizientere Produktion sorgen. So stellen die Forschenden fest, dass es vor allem starke ordnungsrechtliche Vorschriften der EU als auch die zahlreichen Ankündigungen von Regierungen, Verbrenner-Fahrzeuge von den Straßen zu verbannen, dafür verantwortlich sind, dass seit 2015 immer mehr schadstoffarme und energieeffiziente Fahrzeuge hergestellt werden.

Damit zeigt die Analyse deutlich: Die Digitalisierung hat kaum positive Effekte auf den Klimaschutz, überlässt man sie ihrer Eigendynamik. Daher fordern die Autor*innen ganz klar, dass „eine aktivere politische und gesellschaftliche Gestaltung des Digitalisierungsprozesses notwendig ist, um IKT für die globale ökologische Nachhaltigkeit wirksam zu machen.“

3-Säulen-Politik einer klimafreundlichen Digitalisierung

Wie aber kann der Digitalisierung Richtung Klimaschutz und Nachhaltigkeit gelenkt werden? Die Forschenden des Vorhabens CliDiTrans haben dazu das Konzept der „3-Säulen-Politik einer klimafreundlichen Digitalisierung“ entwickelt. Die drei Säulen sind: „Klimaschutzwirkungen transparent machen“, „Synchronisation von Diffusion und Exnovation“ und „Grundsätzliche Spielregeln“.

• Klimaschutzwirkungen transparent machen

Wie die Forschenden belegen konnten, werden die Potenziale der Digitalisierung für den Klimaschutz regelmäßig massiv überschätzt, weil komplexe Systemveränderungen durch die Digitalisierung bisher nicht oder nur unzureichend betrachtet werden. An den Beispielen Flatsharing oder stationsungebundenen Carsharing zeigt sich deutlich, dass durch unerwartete Verhaltensänderungen (Reisen nehmen zu und Kurzstrecken werden mit Carsharing statt ÖPNV zurückgelegt) erwünschte bzw. erwartete Nachhaltigkeitswirkungen nicht eintreten.

Daher fordern die Autor*innen, dass systematische wissenschaftliche Untersuchungen mit hohem Anspruch die tatsächlichen Wirkungen der Digitalisierung transparent machen sollten. Dazu gehört, die Entwicklungen und die Verbreitung neuer, digitaler Produkte und Verhaltensweisen wissenschaftlich zu untersuchen, begleitet von einer wirksamen Kommunikation der Forschungsergebnisse in Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit.

• Diffusionsförderung durch Synchronisation von Diffusion und Exnovation

Mit digitalen Lösungen kann an vielen Stellen durchaus die Energie- und Ressourceneffizienz verbessert werden. Doch diese Potenziale bleiben bisher größtenteils ungenutzt, da sich nachhaltig-digitale Lösungen nur langsam verbreiten. Der Corona-bedingte Umstieg auf Videokonferenzen, deren Stromverbrauch im Vergleich zu den CO2-Emissionen bei Dienstreisen niedrig ausfällt, ist das beste Beispiel dafür. Ähnliche Beispiele sind die nur schleppende Verbreitung klima-freundlicher digitaler Lösungen in der Gebäudetechnik, die nachweislich die Energieeffizienz von Gebäuden erhöhen. Ohne fördernde Regelungen ist jedoch kaum mit einer schnellen flächendeckenden Einstieg in die Technik zu rechnen.

Die Autor*innen fordern daher, dass die Verbreitung digitaler Technologien, die tatsächlich hohe Klimaschutzpotenziale haben, gezielt vorangetrieben werden muss. Dies gelingt am besten durch eine Politik, die alte, nicht nachhaltige Produkte und Verhaltensweisen zurückdrängt und dadurch Platz für die Förderung des Neuen schafft, zum Beispiel durch klare Preissignale wie die CO2-Abgabe, eine Citymaut oder besonders hohe Steuern auf Kerosin.

• Grundsätzliche Spielregeln

Eine weitere große Herausforderung ist die hohe Innovationsdynamik der Digitalisierung und der globale Markt. Nachdem zum Beispiel China 2021 Krypto-Mining im eigenen Land verbot, verlagerten sich die Mining-Kapazitäten sehr schnell in andere Länder. Spielregeln sollten daher idealerweise auf europäischer oder internationaler Ebene gesetzt werden. Als ein sinnvolles Instrument werden im Bericht die internationale Normung und Standardisierung empfohlen.

Grundsätzlich appellieren die Forschenden an die Politik, sich nicht davor zu scheuen, in klimaschädliche Entwicklungen der Digitalwirtschaft wirksam einzugreifen – auf Basis fundierter Erkenntnisse: „Nachhaltigkeit und Klimaschutz müssen zum Mainstream der Digitalisierung werden. Sie müssen in die DNA der Digitalbranche und auch der Digitalpolitik hinein. Unsere Gesellschaft sollte mittlerweile aus der Phase heraus sein, wo sie große Branchen und klimabelastende Massenphänomene unbedacht entstehen lassen kann, ohne auf deren Beitrag zur Wohlfahrt und ihre klimapolitische Verantwortung zu achten.“

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