TATENDRANG: Frischer Fisch von nebenan? Europas größte Stadtfarm macht´s möglich!

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Christian Echternacht mit selbstgezogenen Hauptstadtbarschen.

Warum bauen wir eigentlich unsere Lebensmittel nicht da an, wo sie gebraucht werden? Dass das geht will ECF Farmsystems mit dem Bau von Europas größter innerstädtischer Aquaponik-Farm in Berlin zeigen. Wir sprachen mit Christian Echternacht, einem der Gründer, über die Stadtfarm.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 03.07.14

Bald kann es losgehen: Die Finanzierungsphase ist abgeschlossen, bis Ende 2014 soll die 1800 m2 große Aquaponik-Farm stehen. Und dann pro Jahr ca. 25 t Fisch und 35 t hochwertiges Gemüse produzieren, die direkt an Verbraucher und Gastronomen abgegeben werden. Innovativ macht die Farm nicht nur ihre Lage mitten in Berlin, sondern vor allem das vom Leibniz-Institut (IGB) in Berlin entwickelte und patentierte Aquaponiksystem  “ASTAF-PRO”, in dem Pflanzen und Fische gemeinsam aufwachsen.

So soll sie aussehen, die Berliner Aquaponik-Farm.

Mit dem Bau der Aquaponik-Farm kommen die Gründer der ECF Farmsystems GmbH, Christian Echternacht und Nicolas Leschke, ihrer Vision, Menschen einen Zugang zu nachhaltig erzeugten Lebensmitteln zu ermöglichen, ein großes Stück näher. Während Echternacht und Leschke den Aufbau ihres Unternehmens seit 2012 zunächst aus eigener Tasche zahlten, konnten sie im März 2014 eine siebenstellige Gesamtfinanzierung durch das Investment der IBB Beteiligungsgesellschaft mbH und eines Privatinvestors sichern. Und auch Lorbeeren hat ECF Farmsystems eingeheimst: 2013 erhielt das Startup bei den „Cleantech Open“, dem weltweit größten Startup Event im amerikanischen Silicon Valley, 2 Oscars und wird aktuell von Climate-KIC gefördert. Wie sind gespannt, wie es weitergeht!

Eure Containerfarm in der Malzfabrik in Berlin gibt es nun schon seit einigen Jahren, jetzt kommt der nächste große Schritt: die Übertragung dieses Modells auf Europas größte innerstädtische Aquaponik-Farm. Worum geht es bei einem Aquaponik-System und was ist das zukunftsweisende daran?

85% der Weltmeere sind laut WWF überfischt oder stehen kurz davor. 70% des vom Menschen genutzten Süßwassers wird in der Lebensmittelproduktion verbraucht. Heute leben 7 Milliarden Menschen auf der Welt, 2050 werden es 9,2 Milliarden sein.

In der AQUAPONIK wird Fisch als Proteinquelle für den Menschen produziert (AQUAkultur) und mit dem gleichen Wasser im Anschluss Gemüse kultiviert (hydroPONIK). Das Abwasser der Fischaufzucht ist also das Frischwasser für die Pflanzenaufzucht. Dadurch sparen wir Süßwasser ein und nutzen gleichzeitig die Ausscheidungen der Fische als natürlichen Dünger für die Pflanzen. Wir verringern zudem Transportwege und Kühlketten, weil unsere Lebensmittel durch Urban Farming direkt in der Stadt in Nachbarschaft zum Konsumenten produziert werden.

Von der Containerfarm zu Europas größter Aquaponik-Farm; warum?

Die Containerfarm ist ein Prototyp, der zwar das System veranschaulicht, jedoch nicht wirtschaftlich betrieben werden kann. Dies ist erst ab einer Größe von etwa 1.000 m2 möglich. Wir bauen nun eine 1.800 m2 Farm, in der wir jährlich 24t Fisch und 35t Gemüse produzieren wollen.

Gibt es bereits vergleichbare Farmen bzw. habt ihr an anderen Orten weitere installiert?

Es gibt bereits einige Dachgewächshäuser, die jedoch ausschließlich Pflanzenanbau betreiben: Brightfarms in den USA und Lufa Farms in Montreal. Wir bauen nun die erste innerstädtische Aquaponikfarm in signifikanter Größe. Das Farmsystem ist erst seit kurzem ausgereift und wir haben als Startup nun die Chance, einige dieser Farmen zu bauen.

Wie arbeitsintensiv wird der Betrieb der Farm sein? Und woher bezieht ihr die benötigte Energie?

Die Farm ist vergleichbar mit dem Betrieb einer eigenständigen Aquakultur und einer Hydroponik, wie sie schon an vielen Orten getrennt voneinander betrieben werden. Wir verknüpfen beide Systeme miteinander, bauen die Farm mitten in die Stadt und sparen dadurch Ressourcen ein. Nichts desto trotz haben wir natürlich einen Gärtner und einen Fischwirt angestellt, die von Hilfskräften unterstützt werden. Die Energie beziehen wir mittelfristig über ein eigenes Blockheizkraftwerk, dessen CO2-Abgase übrigens durch einen Filter laufen und dann zu den Pflanzen als Dünger geleitet werden. Den Wasserbedarf können wir in Berlin zu 85% aus Regenwasser decken, das wir auf dem Dach der Farm sammeln und in Wassertanks vorrätig halten.

Wie genau wird die Abgabe der Lebensmittel an die Kunden ablaufen? Soll sich die Farm von Anfang an allein durch den Verkauf der Produkte tragen?

Das soll sie natürlich. Wir bieten ab Anfang 2015 eine Gemüsekiste an, die man über das Internet bei uns ordern kann. Berlin hat 3.5 Millionen Einwohner, 600 000 davon sind Biokunden. Wir benötigen gerade einmal 350 Abonnenten für eine Gemüsekiste, um ausverkauft zu sein. Im Internet wählt man aus etwa 10 Abholstellen eine in der eigenen Nähe aus, bei der man wöchentlich die frische Kiste abholen kann. Der Fisch wird hauptsächlich an Gastronomen ausgeliefert, kann aber auch im Hofladen bei uns gekauft werden.

Wie ist die Resonanz von Seiten potentieller Abnehmer eurer Produkte?

Wir haben für die kommenden Jahre mit dem Bau einer großen Anzahl an Quadratmetern von Farmsystemen gerechnet. Bis heute liegen uns etwa viermal so viele Anfragen vor.

Und die Resonanz seitens anderer Landwirte und Unternehmer?

Die Resonanz seitens der Unternehmer ist sehr positiv, da es sich hierbei um ein ökologisches, soziales und wirtschaftliches Geschäftsmodell handelt, das gut in den aktuellen Nachhaltigkeitstrend passt. Landwirte fragen uns ebenfalls an, um bestehende Aquakulturen bzw. Gewächshäuser auf Aquaponik umzurüsten. Die Befürchtung von Landwirten, Urban Farming stehe in Konkurrenz zur Landwirtschaft, müssen wir entkräften, da die Landwirtschaft immer das Rückgrat der Ernährung bleiben wird. Urban Farming ist ein Nischenprodukt und es wird noch viel Zeit vergehen, bis damit signifikante Mengen an Lebensmitteln urban produziert werden.

Sollten alle Städte mehr auf Aquaponik-Systeme setzen? Sind diese Farmen prinzipiell überall installierbar?

Man benötigt einen ebenen und tragfähigen Baugrund für eine Farm. Das kann eine Freifläche in der Stadt oder auch ein entsprechend tragfähiges Dach sein. Je mehr Städte bzw. Unternehmer Aquaponikfarmen betreiben, desto mehr Süßwasser, Transportwege und CO2 werden eingespart. Nebenbei bekommt der Konsument extrem frische und hochwertige Lebensmittel angeboten.

Was waren eure größten Hürden bei der Umsetzung der Farm und von welcher Seite habt ihr viel Rückenwind bekommen?

Die größte Herausforderung lag darin, verlässliche Zahlen zur Berechnung unseres Businessmodels zu finden, da es kaum vergleichbare Modelle gibt. Große Unterstützung haben wir durch das mediale Interesse erhalten. Aber auch durch den positiven Zuspruch aus unserem Umfeld und natürlich durch die Förderung von Climate-KIC.

Was ist eure Vision? Wo seht ihr euch in 10-20 Jahren?

Ich denke, dass wir in einem Jahr vor unserer ECF Farm Berlin sitzen und frischen Fisch grillen werden. Im Anschluss werden wir weitere Farmsysteme für Unternehmer bauen. Den Rest lassen wir auf uns zukommen.

TATENDRANG ist das Interviewformat von RESET. Wir wollen wissen, wie unsere Interviewpartner zu ihren spannenden, innovativen und einzigartigen Projekten und Ideen aus den Bereichen Umwelt und globale Gerechtigkeit kamen, warum sie sich für genau das Thema einsetzen und wie schwer oder einfach sich das Projekt durchführen ließ. Damit wollen wir Ideen streuen, Projekte präsentieren und zu Aktionen anregen. Wir denken: Die Welt verändern kann jeder! Alle Interviews findest du hier: TATENDRANG

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