Strom vom Meeresgrund – das Startup Ocean Grazer hat eine innovative Meerwasser-Batterie entwickelt

Ein neuer Stromspeicher für erneuerbare Energien ahmt Wasserkraftwerke unter dem Meer nach.

Autor Mark Newton:

Übersetzung Sarah-Indra Jungblut, 31.01.22

Wir haben es schon oft gehört: Erneuerbare Energien haben einige ziemlich gravierende Nachteile. Einer der bekanntesten ist, dass ihre Stromerzeugung unstetig ist. Nachts kann ein Solarmodul nur wenig Sonne einfangen, und an einem windstillen Tag ist eine Windturbine nichts weiter als ein 90 Meter hoher Turm.

Aber machen sehr sonnige oder windige Tage, an denen viel erneuerbare Energien erzeugt werden, diesen Nachteil nicht wieder wett? Leider stimmt das nicht ganz, denn nach wie vor ist die kostengünstige Speicherung erneuerbarer Energie nicht ganz einfach, da die Entwicklung effektiver Speicher noch hinterherhinkt – und normale Batterien auf Ionenbasis sind der Aufgabe einfach nicht gewachsen. Das zentrale Problem sind hier die Kosten und der Umfang. Nach Angaben der U.S. Energy Information Administration beispielsweise verbraucht ein typischer US-Haushalt 893 Kilowattstunden Strom im Monat. Doch selbst die beste Lithium-Ionen-Batterie kann nur 0,2 Kilowattstunden pro Kilogramm speichern. Das bedeutet, dass ein Speicher, der groß genug ist, um den monatlichen Stromverbrauch eines einzigen Haushalts zu speichern, über 1 Tonne wiegen müsste. Gleichzeitig schießen die Kosten ebenfalls schnell in die Höhe, da die Batterien etwa 0,30 USD pro Kilowattstunde kosten. Und diese Berechnungen gelten nur für ein einziges Haus.

Aber die Speicherung erneuerbarer Energie ist möglich, sie erfordert oft nur ein wenig „blue-sky thinking“ – oder im Fall des niederländischen Startups Ocean Grazer „blue-ocean thinking“. Das Spin-off der Universität Groningen hat den Prototyp einer Batterie entwickelt, die auf dem Meeresboden ruht. Die Batterie besteht aus einem großen unterirdischen Reservoir, das Millionen von Litern Süßwasser enthält. Mit dem überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energiequellen an der Küste wird Wasser in eine Art Blase gepumpt, die auf dem Meeresboden befestigt ist. Wird die Energie wieder benötigt, drückt der Wasserdruck des umgebenden Meerwassers das Süßwasser über ein Turbinensystem zurück in das Reservoir und erzeugt – oder regeneriert – Strom, der dann ins Netz fließen kann.

Eine wirklich gute Idee?

Das System ahmt im Wesentlichen den Prozess eines hydroelektrischen Staudamms nach, indem es einen riesigen Pool an potenzieller Energie schafft, die in Strom umgewandelt werden kann. Im Fall von Ocean Grazer übernimmt der Wasserdruck die Rolle der Schwerkraft, die traditionell in einem Staudamm verwendet wird. Die Nutzung natürlich vorkommender – und kostenloser – Kräfte zur Umwandlung von Elektrizität von einem Zustand in einen anderen ist dabei der Schlüssel, um diese Art von Batterien für erneuerbare Energien herzustellen und ihre Effizienz zu verbessern.

Bei der Umwandlung von einem Zustand in einen anderen geht immer etwas Strom verloren – das gilt auch für herkömmliche Batterien. Doch laut Ocean Grazer reduziert die „Meerwasserbatterie“ Verluste auf ein Minimum und 70 bis 80 Prozent des in das System gepumpten Stroms sollen zurückgewonnen werden können. Das ist zwar weit weniger als der 99-prozentige Wirkungsgrad einer Lithium-Ionen-Batterie, aber im Vergleich zu anderen Energiespeichersystemen durchaus konkurrenzfähig. Die Ocean-Grazer-Batterie hat außerdem den Vorteil, dass sie unbegrenzt viele Zyklen durchführen kann (innerhalb einer geschätzten Lebensdauer von 20 Jahren) und mit größeren Reservoirs und zusätzlichen Blasen auch erweitert werden kann. Ein einziges Reservoir kann etwa 10 Megawattstunden fassen.

Derzeit gibt es keine Informationen über die Kosten eines solchen Projekts, aber es ist davon auszugehen, dass der Bau großer Unterwasserreservoirs nicht gerade billig sein wird. Allerdings kann mit dem Meerwasser-Batterie die Wasserkraft auf neue Regionen ausgedehnt werden. Dass diese Entwicklung aus den Niederlanden kommt – einem durchweg flachen Land mit einer Topographie, die für große traditionelle Wasserkraftwerke ungeeignet ist, ist daher nicht verwunderlich.

Bisher kommt die Idee von Ocean Grazer ganz gut an und das Unternehmen hat bereits eine Kofinanzierung von der EU und dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung erhalten. Damit soll das Konzept weiterentwickelt werden.

Natürlich sind Unterwasserblasen und -speicher nicht die einzige Möglichkeit, erneuerbare Energie zu speichern. Wir haben uns bereits mit einer Reihe anderer innovativer Lösungen befasst, darunter die Umnutzung alter Bergwerke als Gravitationsbatterien, die Verwendung heißer Steine zur Speicherung von Wärmeenergie oder Eierschalen zur Senkung der Kosten von Lithium-Ionen-Batterien.

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