Soziale Netzwerke helfen indischen Bauern in der Corona-Krise

Indische Kleinbauern, die Land pachten, sind von den Beschränkungen des Warenverkehrs besonders betroffen.

Wegen der strengen Corona-Beschränkungen in Indien blieben viele Bauern auf ihrer Ernte sitzen. Soziale Medien ermöglichen den direkten Kontakt mit den Endverbrauchern– und helfen den Bauern, ihre Existenz zu sichern.

Autor Mark Newton:

Übersetzung Mark Newton, 18.06.20

Die Coronavirus-Maßnahmen, die von der indischen Regierung verhängt wurden, gehörten zu den strengsten der Welt, insbesondere in einem so dicht besiedelten Land. Für die Stadtbewohner*innen bedeuteten die „Social Distancing“-Maßnahmen, dass sie auf ihr Zuhause beschränkt waren und sich nicht frei in ihrer Nachbarschaft bewegen konnten. Für die Bauern und Bäuerinnen auf dem Land hatten die Regeln eine viel größere Tragweite: Sie bedeuteten, dass die Bauern in ihren Möglichkeiten, Arbeitskräfte zu beschaffen, Waren zu transportieren und an Großhändler zu verkaufen, stark eingeschränkt waren, was dazu führte, dass Tausende von Tonnen von Produkten auf den Feldern und Bauernhöfen ungeerntet verderben konnten. Nach Angaben der Vegetables Growers Association of India gegenüber DW sind rund 30 Prozent der indischen Produkte während des Corona-Lockdowns in Indien vernichtet worden. Das sind viel mehr als die üblichen fünf bis zehn Prozent, die in einem Jahr erwartet werden.

Klein- und Kleinstbauern sind besonders betroffen, da diese oft keinen Zugang zu Kühlanlagen haben, um ihre Produkte zu lagern. Viele hatten außerdem Kredite aufgenommen, um Saatgut zu bezahlen und den Anbau des Jahres zu finanzieren. Damit waren sie immer auf Großhändler angewiesen, die ihnen ihre Ernte abkaufte und sie dann zu den Geschäften und Märkten transportieren. Die Großhändler jedoch durften keine landwirtschaftlichen Betriebe besuchen. Und auch wenn der Kontakt zu Großhändlern möglich war, bedeutete der Druck auf die Landwirte, ihre Produkte schnell verkaufen zu müssen, dass sie in einer schlechten Verhandlungsposition waren und die Großhändler extrem niedrige Preise anbieten konnten.

Hinzu kommt, dass viele kleinere Landwirte traditionelle Früchte oder Kulturen, die ohne Kühlung gelagert werden können, zugunsten von lukrativeren Früchten wie Ananas, Wassermelonen und Mangos aufgegeben haben, die in wohlhabenderen städtischen Zentren stärker nachgefragt werden. Solche Früchte sind jedoch am stärksten durch Überreife oder Fäulnis gefährdet.

Vom Feld auf den Teller – über Twitter und Facebook

Wie also dieses Problem angehen? Die indischen Bauern und Bäuerinnen begannen damit, ihre Produkte direkt über die sozialen Medien zu vermarkten. Über Plattformen wie Twitter und Facebook können sich Landwirte mit kleineren Betrieben an die Verbraucher wenden und sie direkt verkaufen – etwas, was früher nur über Zwischenhändler möglich war.

Der Agrar-Finanzunternehmer Ruchit Garg sah zum Beispiel, wie Produkte am Straßenrand weggeworfen wurden und erkannte, dass er seine bereits bestehenden Netzwerke nutzen konnte, um Kleinbauern direkt mit ihren Kunden zu verbinden. Gegenüber dem Indian Express sagte er:

„Kleinbauern haben Schwierigkeiten beim Zugang zu Märkten, Futter- und Düngemitteln, Maschinen und Finanzkrediten und Versicherungen. Ich habe Zugang zu einem Netzwerk von 10.000.000 Landwirten in 22 Staaten. Während des Lockdowns sah ich Bauern, die sich abmühten und ihre Ernte wegwerfen mussten. Die Landwirte wussten nicht, wie sie mit den Käufern in Kontakt treten sollten.“

Garg startete daher das Harvesting Farmers Network. Das System ist einfach: Ein Landwirt stellt einen Beitrag ein, in dem er seinen Standort, seine Kontaktdaten sowie die Menge und Art seiner Produkte angibt. Einzelne Käufer*innen, zum Beispiel ein Geschäft oder eine Einzelperson, können nun mit ihm Kontakt aufnehmen und den Transport der Waren arrangieren. In einigen Wohnkomplexen gründeten Verbraucher*innen auch WhatsApp-Gruppen, um gemeinsam Massenkäufe zu tätigen, die es den Bäuer*innen ermöglichen, ihren Warenverkauf zu maximieren.

© Harvesting Farmers Network Das Harvesting Farmers Network fungiert als Marktplatz für in Schwierigkeiten geratene Landwirte – und schließt den Zwischenhändler aus.

An anderer Stelle, zum Beispiel in der Facebook-Gruppe „lovelocalbuylocal“, haben sich Nutzer*innen sozialer Medien an sogenannten „Challenges“ beteiligt, um den Verkauf bestimmter Nutzpflanzen, wie zum Beispiel Ananas, zu fördern. Sie stellen Rezepte und Bilder von Gerichten mit Ananas ein, die dann mit einem bestimmtem Bauern verlinkt werden können – was es ihm ermöglicht, seine Ananas-Ernte zu einem guten Preis zu verkaufen.

Einigen Landwirten ist darüber hinaus bewusst geworden, dass durch das Ausschalten des Zwischenhändlers ein besseres Geschäft sowohl für den Landwirt als auch für die Verbrauchenden, insbesondere Restaurants, ausgehandelt werden kann. Tatsächlich werden die sozialen Mediennetzwerke, obwohl sie als Reaktion auf einen Notfall entstanden sind, von einigen als potenzielle langfristige Versorgungsoption betrachtet. Ashish Kumar, der ein Lebensmittelunternehmen in Ghaziabad betreibt, sagte gegenüber dem Magazin Mongabay:

„Ich bin im Gaststättengewerbe tätig. Es ergibt für mich Sinn, bessere Optionen für die Lieferkette zu haben. Außerdem sprechen wir alle über die Unterstützung der Landwirte. Ein solches Modell kann also eine Win-Win-Situation für alle sein.“

Eine unvollkommene Lösung

Das Ganze hat natürlich immer noch seine Grenzen. Erstens ist der Direktvertrieb von Produkten über soziale Plattformen nur für Landwirte in der Umgebung eines städtischen Zentrums wirklich offen und tragfähig. In der Realität befinden sich jedoch viele Landwirte in relativ isolierten ländlichen Regionen und können den Transport für den Gütertransport über weite Entfernungen nicht aufbringen. Auch wenn die indische Regierung einige Beschränkungen für den Transport von Feldfrüchten von den Farmen in die Städte aufgehoben hat, ist der Warentransport zwischen den Bundesstaaten nach wie vor schwierig, da ein Fahrer aufgrund der Quarantänebeschränkungen immer nur alle zwei Wochen in eine Stadt einfahren darf.

Auch ist die direkte Verbindung mit den Endverbrauchern nicht immer die profitabelste Lösung für die Landwirte, da die Verbraucher*innen im Allgemeinen eher kleine Mengen an Feldfrüchten pro Verkauf abnehmen. Damit sich der Transport der Waren lohnt, sind also Massenbestellungen notwendig, die beim Handel über Social-Media-Plattformen aber eher seltener sind.

Auch sind Twitter- und Facebook-Seiten aufgrund ihres „Graswurzelcharakters“ anfällig für Unehrlichkeit, sei es, dass Landwirte ungenaue Bilder ihrer Produkte posten oder Käufer*innen einen viel niedrigeren Preis neu aushandeln, sobald die Waren ankommen. Der Mangel an offizieller Kontrolle und der zwischenmenschliche Charakter der Transaktionen bedeutet, dass eine geschädigte Partei häufig keine Kompensation erwarten kann. Einige Plattformen planen, diese Risiken durch die Schaffung von Regeln und Vorschriften innerhalb ihrer Plattformen sowie durch ein Bewertungssystem für Käufer*innen und Verkäufer*innen zu verringern.

Letzten Endes könnten diese relativ ad hoc erstellten Social-Media-Gruppen durch maßgeschneiderte und dauerhafte Plattformen ersetzt werden, wenn die Idee auch unabhängig von dem Coronavirus weitergeführt werden soll. In jedem Fall könnten sie auch einen zusätzlichen positiven Effekt haben, indem sie die städtischen Verbraucher*innen an die Herkunft ihrer Lebensmittel und die Herausforderungen, denen sich die kleineren indischen Bäuer*innen gegenübersehen, erinnern und so dazu beitragen, dass sie die Lebensmittel, die sie essen, in einem anderen Licht sehen.

Ähnliche Effekt wurden bereits durch Marktplatzinnovationen in Europa erreicht. Ein Beispiel dafür ist die Website Crowdfarming, die Landwirte und Verbraucher*innen ganz direkt miteinander verbindet: Man kann sich einloggen, um den „persönlichen“ Baum, Bienenstock, Weinstock, eine eigene Pflanze oder sogar ein eigenes Schaf zu adoptieren und die Produkte schließlich zu erhalten, wenn die Ernte eingebracht wird. Es bleibt also zu hoffen, dass die positiven Effekte auch in Indien anhalten.

Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Lydia Skrabania. Das Original erschien zuerst auf unserer englischen Website.

Der Bauernhof als Genossenschaft: In den Niederlanden werden Familien gemeinsam zu Erzeugern

Im niederländischen Boxtel betreiben Familien gemeinsam einen Bauernhof, um eine nachhaltige, lokale Landwirtschaft zu fördern.

CrowdFarming: Ein digitaler Markt für Lebensmittel direkt von der Quelle

Die Online-Plattform CrowdFarming will die Lieferkette vom Landwirt zum Konsumenten direkter und transparenter machen: Man adoptiert hier eine Anbaueinheit oder ein Tier.

Vertical Farming – Kommt unser Obst und Gemüse in Zukunft aus der vertikalen Farm?

Bevölkerungswachstum, zunehmende Verstädterung, Klimawandel und ausgelaugte Böden - die Produktion unserer Nahrungsmittel wird zu einer immer größeren Herausforderung. Neue Wege sind gefragt. Sind vertikale Farmen eine Lösung?

Farmerline: Wie Bauern in Ghana mit SMS und Sprachnachrichten bessere Erträge erzielen

Das Handy als Hilfsmittel für die Landwirtschaft? Na klar! Farmerline gibt Bauern Tipps und Tricks für ihre angebauten Produkte per SMS oder Sprachnachricht. Dadurch können die Landwirte höhere Erträge erzielen.

Recycling per App? Ein Sozialunternehmen digitalisiert Indiens Müllmanagement

Die App „Toter“ will das Abfallmanagement Indiens nachhaltiger gestalten – und ermöglicht Müllsammlern eine fairere Bezahlung.