Der fortschreitende Klimawandel bringt neue Herausforderungen in allen Bereichen. Vor allem in Städten mit dichter Bebauung wird es immer heißer werden – und es besteht die Gefahr sogenannter „Hitzeinseln“. Das sind innerstädtische Bereiche, in denen die Temperaturen deutlich höher sind als im weniger bebauten Umland. Das liegt an dem großen Anteil dunkler, versiegelter Flächen, wodurch die Verdunstung reduziert ist und gleichzeitig Wärme sehr gut gespeichert wird. Das hat nicht nur negative Auswirkungen auf Wohlbefinden und Gesundheit der Stadtbewohner, sondern könnte auch den Klimawandel noch verstärken. Verhältnismäßig einfache Maßnahmen wie eine stärkere Begrünung von Dächern und Fassaden oder das Weißstreichen von Dachflächen können sich bereits mildernd auswirken. Öffentliche Plätze und Freiflächen können mit Sonnensegeln vor starker Sonneneinstrahlung geschützt werden.
Das Projekt „Solar Spline“ der Universität und der Kunsthochschule Kassel wollte diesen Ansatz aktiv nutzen und ein solches Sonnensegel so weiterentwickeln, dass es nicht nur Schatten spendet, sondern zugleich Energie produziert – „und zwar ohne, dass man einfach nur Solarzellen draufklebt“, so der Anspruch. Um dies umsetzen zu können, wurden organische Photovoltaik-Module in eine Ultraleichtkonstruktion integriert, die scheinbar frei schwebt. Diese „Solarwolke“ wird durch eine Seilstruktur getragen und über Ankerpunkte im Raum befestigt. Die Gesamtinstallationsfläche des weniger als 120 kg schweren Prototyps umfasst etwa 100 m² und überdeckt dabei eine räumliche Fläche von 30 m². Durch den Einsatz der organischen Photovoltaik-Module, die sehr leicht, flexibel und transparent sind, ist eine Konstruktion möglich, die sich an der Natur orientiert – der Solar-Spline-Prototyp bewegt sich wie ein Grashalm oder ein Baum im Wind. Auch einen Sturm hat die Konstruktion schon gut überstanden.
Organische Photovoltaik für urbane Räume
Dem interdisziplinären Projektteam , bestehend aus Prof. Frank Stepper, Timo Carl und Dr. Markus Schein sowie Studierenden der Fachbereiche Architektur, Produktdesign, Informatik und Umwelttechnik, sei es einerseits darum gegangen, eine konkrete Lösung für Probleme wie das der städtischen Hitzeinseln oder das der Flächenkonkurrenz zwischen Lebensraum, Nahrungsmittelproduktion und Energiegewinnung vorzuschlagen, so Timo Carl gegenüber RESET. Andererseits wurde das Projekt auch aus der Überzeugung heraus konzipiert, „ dass eine lebenswerte Entwicklung unserer gebauten Umwelt nur durch eine echte Synthese von Ökologie und Gestaltung gelingen kann“. Der energieproduzierende Schattenspender schafft nämlich außerdem auch Raum und Aufenthaltsqualität – „vielleicht seine wichtigste Funktion“, so Timo Carl.
Der Solar Spline gewann den „Blauer Kompass“-Publikumspreis 2018, eine Auszeichnung des Umweltbundesamtes für Projekte zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels.
Die Konstruktion könnte im urbanen Raum vielfältig eingesetzt werden, sowohl als kleinformatige Überdachung, beispielsweise von Haltestellen als auch für große städtische Plätze. Derzeit wäre das allerdings noch recht teuer: Die Kosten für den Prototyp betrugen 12.000 Euro, das sind 400 Euro pro Quadratmeter für die überdachte Fläche. Das Projektteam ist allerdings zuversichtlich, dass sich Kosten für weitere Realisierungen durch den Energieertrag der organischen Photovoltaik mehr und mehr amortisieren können. Darüber hinaus wird damit gerechnet, dass sich auch die Produktion solcher OPV-Zellen in Zukunft immer günstiger gestalten wird.
Derzeit ist das Projektteam auf der Suche nach Kooperationspartnern, mit denen eine weiterentwickelte und größere Version des Solar Spline umgesetzt werden kann. Dabei soll es aber nicht bleiben. Laut Timo Carl sind aus dem Projekt weitere Forschungsthemen und Gestaltungsideen entstanden, „beispielsweise die Entwicklung maßgeschneiderter Trägersystem für organische Photovoltaik oder methodische Ansätze für eine optimale Ausrichtung von Zellen in einer geometrisch komplexen Anordnung“. Man darf also gespannt sein, welche Konstruktionen vielleicht schon bald unsere Städte lebenswerter gestalten – und dabei zugleich auch noch Energie produzieren.