Wer „Digital Disruption“ hört, denkt vielleicht nicht zuallererst an die Abfallwirtschaft. Doch gerade dieser Sektor birgt großes Potenzial, um ihn mithilfe innovativer Digitaltechnologien sauberer zu gestalten. Hierzu ist es natürlich wichtig, Abfall zu allererst an der Quelle zu reduzieren, beispielsweise durch die Verwendung von wiederverwertbaren oder sogar biologisch abbaubaren Verpackungsmaterialien oder dem Verbot von Einwegkunststoffen. Doch das reicht nicht aus, denn unsere Gesellschaften und Volkswirtschaften sind noch immer zutiefst und grundsätzlich linear: Zur Herstellung eines Produkts werden Rohstoffe verwendet und nachdem dieses Produkt das Ende seiner Lebensdauer erreicht hat, werfen wir es einfach weg. Immer häufiger werden sogar Dinge weggeworfen, bevor sie überhaupt je benutzt wurden.
Viele Einzelhändler entsorgen riesige Mengen Waren aller Art – und das nicht nur, weil diese abgelaufen oder beschädigt wurden. Viele neuwertige Artikel, die von den Kund*innen zurückgegeben oder gar nicht erst verkauft wurden, werden als Müll zu Deponien transportiert oder verbrannt. Im Jahr 2018 wurde bekannt, dass der Online-Shopping-Gigant Amazon massenhaft Retouren vernichtet: Kühlschränke, Wasch- und Spülmaschinen, Handys, Tablets, Matratzen und Möbel. Zerstört werden nicht nur unbrauchbare Produkte, sondern auch funktionstüchtige und sogar neue Produkte. Und Amazon ist im Umgang mit Retouren offenbar keine Ausnahme. Zurückgegebene Produkte werden von Einzelhändlern häufig eher weggeworfen statt wiederverkauft oder aufbereitet. So absurd es klingt: Offenbar ist Entsorgung der derzeit kostengünstigste Weg, um mit unverkaufter oder zurückgeschickter Ware umzugehen. Allein durch die Rückgabe von Produkten fallen jährlich schätzungsweise fünf Milliarden Pfund Abfall an (!). Und dieses große und globale Problem wird weiter angeheizt durch die wachsende Beliebtheit des Online-Shoppings.
Das in Texas ansässige Unternehmen Smarter Sorting will es Einzelhändlern ermöglichen, bestimmte Artikel nicht mehr schlicht als „Abfall“ zu behandeln. Mithilfe einer KI-gestützten Plattform sollen für unverkäufliche oder retournierte Artikel neue, möglichst nachhaltige Wege gefunden werden, zum Beispiel Wiederverwendung, Spenden oder Recycling. Und für den Fall, dass Artikel tatsächlich entsorgt werden müssen, soll auch hier der umweltschonendste Weg gefunden werden.
Die Smarter-Sorting-Plattform ist eine Art intelligente Datenbank, die Produkte anhand ihrer Produktinformationen und -bestandteile klassifiziert und mithilfe von maschinellem Lernen nachhaltige und zugleich möglichst kosteneffiziente Entscheidungen findet. Wenn ein Mitarbeiter einen Artikel über den Barcode einscannt, erhält er von der Plattform optimierte Anweisungen, was damit zu tun ist: Soll er gespendet oder an den Verkäufer zurückgegeben werden? Kann man ihn recyceln oder muss er als Elektroschrott, Arzneimittel oder organischer Abfall entsorgt werden?
Das Smarter-Sorting-System identifiziert den Artikel direkt oder kategorisiert ihn nach seinen Bestandteilen und ordnet diese den städtischen bzw. staatlichen Entsorgungsgesetzen zu. Dies erleichtert die Compliance, macht sie digitaler und weniger belastend für Unternehmen und automatisiert die Entscheidungsfindung darüber, was mit unverkäuflichen Artikeln zu tun ist.
Woher kommen die Daten für die KI-Plattform?
Das System von Smarter Sorting richtet sich nicht nur an Einzelhandels-Unternehmen, sondern auch an Lieferanten: Diese sollen das System des Texanischen Unternehmens als Portal zur erleichterten Produktklassifizierung nutzen, da hier sämtliche Daten zusammenfließen können, statt wie bei anderen Datendienstleistern weit verstreut. In das Portal werden von den Lieferanten die Sicherheits-, Transport-, Verpackungs- und Entsorgungsinformationen der jeweiligen Artikel eingegeben. Anschließend kann die Machine-Learning-Technologie von Smarter Sorting die Information so akkumulieren, dass sie nach Angaben des Unternehmens sämtliche Regulierungen erfasst und berücksichtigt. Dies ist wiederum für die Einzelhändler wichtig, bei denen die betreffenden Artikel in den Regalen landen sollen.
Gegenüber RESET gab Smarter Sorting an, dass eine Beispiel-Implementierung seiner Technologie bei einem Einzelhändler dazu beitragen konnte, innerhalb von etwa drei Monaten des Einsatzes der Technologie über 70 Prozent des Abfalls zu verringern, der sonst auf den Deponien gelandet wären. Nach Unternehmensangaben konnten mithilfe des Systems insgesamt über hunderttausend Kilogramm Abfall vermieden werden.
Derzeit arbeitet Smarter Sorting mit Unternehmen in den USA und Kanada zusammen. Eine kürzlich erhaltene Seed-Finanzierung soll dazu eingesetzt werden, um die Software zu erweitern und in Zukunft potenziell auch mit größeren Einzelhändlern und sogar lokalen Behörden zusammenzuarbeiten. Zwar hat die Wirksamkeit des Systems gewisse Grenzen, da (derzeit noch) die einzelnen Artikel manuell erfasst werden müssen, es ist jedoch eine interessante Anwendungsmöglichkeit für Künstliche Intelligenz in der Abfallwirtschaft und ein guter Ansatz zur Abfallreduzierung im Sinne einer Kreislaufwirtschaft.
Dieser Artikel ist eine Übersetzung aus dem Englischen von Lydia Skrabania. Redaktionelle Mitarbeit: Tristan Rayner.
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