In der letzten Zeit hat uns bei RESET das Thema Elektromobilität umgetrieben. Daraus ist eine Publikation entstanden, die nicht bei der Bestandsaufnahme stehen bleibt, sondern auch zukunftsweisende Projekte vorstellt; u.a. verschiedene innovative Ladestationen. Doch was bei allen Ansätzen bleibt – außer natürlich es wird induktiv geladen, z.B. während der Fahrt über die Autobahn mittels eines speziellen Belags: der Ladevorgang nimmt einige Zeit in Anspruch, bis das E-Auto oder Pedelec wieder über die Straße rollen kann.
Als Antwort darauf hat China die Tankstelle neu erfunden – oder sagen wir, zumindest das Konzept bedeutend erweitert. Denn neuerdings bekommen Besitzer elektromobiler Vehikel an speziellen „Tankstellen“ nicht nur den Strom für ihr Fahrzeug, sondern mitgeliefert wird in dieser Zeit auch ein Paket an Unterhaltungsangeboten. Während unten Strom gesaugt wird, warten auf die E-Mobilisten oben zwei Räume, in denen Virtual-Reality-Spiele gezockt werden können, ein Café mit kostenlosem Internet, Karaoke-Räume, ein Kinosaal sowie mehrere VIP-Räume, in denen man privat einen Film schauen kann.
Im Moment ist die 2.500 qm große Anlage im Westen Shanghais noch nicht gerade überlaufen, doch der Betreiber Tellus Power geht von wachsenden Zahlen aus und hat schon Pläne für neue Filialen. Zehn Ladestationen will das Unternehmen in den kommenden Jahren allein in Shanghai eröffnen – und nach Europa soll es auch irgendwann gehen.
Null Emissionen mit Solarstrom vom Dach
Die Tankstelle selbst hat 44 Ladestationen, 13 Gleichstrom-(DC)-Lader, 29 Wechselstromgeräte und zwei Tesla-Ladestationen. Die DC-Lader haben eine Leistung von 60 Kilowatt (kW) und ermöglichen ein Aufladen innerhalb von 20 Minuten. Die übrigen Lader brauchen drei bis vier Stunden. 400 Autos können am Tag an der Tankstelle geladen werden. „Zusammen mit den Ladegeräten der Haushalte braucht eine Großstadt vielleicht zehn solcher Solar-Super-Ladecenter, um ihre Ladeanforderungen zu erfüllen“, so die Einschätzung von Peter Pang, CEO von Tellus Power.
Der Clou der Anlage ist aber: Der Strom für die Anlage kommt nicht aus dem öffentlichen Netz, sondern direkt vom Dach des Gebäudes. Darauf sind Solarmodule installiert, deren produzierte Energie dann im Tank landet. Gibt es Überschüsse, wird der Strom ins öffentliche Netz eingespeist. Mit diesem Konzept ermöglicht das Lade-Center null Emissionen.
Unterstützt wird das Vorzeige-Projekt von der chinesischen Regierung. Im Gegensatz zu Deutschland fördert China Autos mit alternativen Antrieben massiv und errichtet jeden Monat tausende Ladestationen. Zudem muss jeder Neubau auch Ladestationen einplanen. Und das macht sich bemerkbar: Innerhalb eines Jahres haben sich die Zulassungszahlen von Elektroautos auf dem chinesischen Markt verdreifacht.
Wären auch bei uns Lade-Center sinnvoll?
Auch wenn hierzulande Karaoke und VR-Räume wie im sing- und spielbegeisterten China wahrscheinlich weniger Resonanz finden würden, so ist Shanghais Stromtankstelle doch ein guter Aufhänger für Überlegungen, wie auch hier die Zwangspause, die hin und wieder nötig ist, wenn man sich mit einem „Stromer“ von A nach B bewegt, sinnvoll genutzt werden kann.
Wenn urbane Räume sich wirklich auf E-Mobilität einstellen und die Infrastruktur entsprechend aufrüsten, dann wären solch Mega-Tankstellen wohl selten nötig. Ich denke dabei vor allem an eine dezentral organisierte Infrastruktur mit über die ganze Stadt verteilten Ladestationen an Orten, an denen Fahrzeuge ohnehin geparkt werden; vor Supermärkten, Einkaufszentren, Bibliotheken, Kinos und auf sämtlichen Parkplätzen. Die Unterhaltung ist da schon mit drin. Und mit Apps wie z.B. Share&Charge könnten auch in ländlichen Gebieten viel mehr Ladesäulen mit wenig Aufwand entstehen bzw. von mehr E-Mobilisten genutzt werden.
Ein großes Potenzial für solche Tankstellen-Unterhaltungshybride sehe ich daher v.a. an Autobahnen und Schnellstraßen. Eine Steckdose für das Fahrzeug und freies Internet, Kino, Sport- und Spielflächen für seine Insassen könnte ein guter Anreiz sein, um E-Autofahrten kurzweilig und abwechslungsreich zu gestalten. Und mit Solarstrom vom Dach haben die Lade-Center in puncto Ökobilanz die Nase vorn im Vergleich zum Strommix aus der Dose.