Sensoren und Kameras auf hoher See: Nachhaltiger Fischfang dank “Big Data”?

Moderne Sensoren und Datenverarbeitung kann Fischfang nachhaltiger machen. Neue Technologien laufen aber Gefahr, das Gegenteil zu bewirken.

Autor*in Benjamin Lucks, 04.03.24

Übersetzung Lana O'Sullivan:

Schwindende Fischbestände, massive Schäden an Ökosystemen und Luftverschmutzung durch Diesel und Schweröl – die Fischereiindustrie wird immer wieder für ihre massiven CO2-Emissionen und ihre Schäden an den Weltmeeren kritisiert. Zu den aktiven Emissionen kommt hier erschwerend hinzu, dass der zerstörerische Einsatz von Schleppnetzen noch einmal zusätzlich CO2 aus Sedimenten löst. Laut Greenpeace sind es jährlich 1,9 Gigatonnen, die als freigesetztes CO2 zur Versauerung der Meere beitragen. Darüber hinaus gefährdet Überfischung die weltweiten Fischbestände. Unter anderem, da 40 Prozent der gefangenen Meerestiere als Beifang in den Netzen landen. Kurz gesagt: Wir müssen einen nachhaltigen Fischfang als essenziellen Teil einer erfolgreichen Agrarwende mitdenken.

Nachhaltiger Fischfang dank smarter Sensoren

Forschungsprojekte wie das in großen Teilen von der EU finanzierte Projekt SUSTUNTECH arbeiten an Sensorsystemen, mit denen nachhaltiger Fischfang möglich sein soll. Denn genauere Informationen zu Fischbeständen und Fangerfolgen tragen dazu bei, dass Fangrouten verkürzt und Treibstoff gespart wird.

Ausgeschrieben steht SUSTUNTECH für “Sustainable Tuna fisheries through advanced earth observation”. Und das fasst das Vorhaben der Forscher*innen schon recht gut zusammen.

Ziel zum Projektstart im Jahr 2020 war es, den Thunfischfang durch moderne Sensorik effizienter zu machen. Kurz vor Abschluss des Projekts, das im April 2024 endet, kommen die Sensoren sowohl auf Booten als auch an den Fangnetzen selbst zum Einsatz. Die Sensoren übertragen ihre Daten dann über das europäische Copernicus-Satellitennetzwerk hin zu einer Station an Land. Die Nutzung von Satelliten macht das System besonders reichweitenstark und unabhängig – sowohl ortsbezogen als auch zeitlich.

© Frisch Gefischt

Mithilfe von Algorithmen, die dank maschinellem Lernen immer effizienter werden, kann SUSTUNTECH die verschiedenen Daten miteinander verknüpfen. Unter den gewonnenen Informationen sind neben GPS-Koordinaten auch Metriken wie die Wassertemperatur oder Angaben zu gefangenen Fischen in den Netzen. Laut einem Forschungsbericht sinkt allein dadurch der Kraftstoffverbrauch einer Fischereiflotte um 25 bis 40 Prozent. Jedes einzelne Boot kann Netze präziser anfahren und legt so kürzere Wege zurück.

Darüber hinaus verringert die präzise Ortung von Fangnetzen sogenanntes “Ghost Fishing”. Dieses entsteht, wenn sich Meerestiere in verloren gegangene Fangnetze oder anderweitige Fangvorrichtungen verirren. Da sie dort verenden, stellen unbenutzte Netze eine Gefahr für marine Ökosysteme dar.

Illegale Fischerei mithilfe von Satellitendaten bekämpfen

Einer weiteren Gefahr möchte die unabhängige Organisation Global Fishing Watch vorbeugen. Denn damit Fischpopulationen sich erholen können, muss der kommerzielle Fischfang Ruhezeiten einhalten. Illegaler Fischfang missachtet diese Ruhezeiten und führt im schlimmsten Falle dazu, dass Populationen nicht mehr wachsen können. Global Fishing Watch stellt daher im Internet Satellitendaten nahezu in Echtzeit bereit, anhand derer Regierungen und Aufsichtsbehörden Fischerboote überwachen können.

Möglich wird diese Überwachung durch eine Verknüpfung der GPS-Daten von Fischerbooten und Satellitenbildern, die die Organisation mithilfe von Cloud-Computing und maschinellem Lernen verknüpft. Dadurch steigt der Druck auf illegale Fischer*innen und Unternehmen im kommerziellen Fischfang, sich an die vorgeschriebenen Beschränkungen zu halten. Gleichzeitig können Handelsunternehmen nachverfolgen, ob die gekaufte Ware auch tatsächlich aus freigegebenen Fanggebieten stammt.

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© Global Fishing Watch
Screenshot aus der Livestream-Karte des Global Fishing Watch-Projekts

Eine derartige Kontrollmöglichkeit hilft zwar dabei zu überprüfen, wo gefangen wird. Eine große Gefahr für Fischpopulationen sind allerdings die Fischernetze selbst.

Weniger Beifang dank KI-Kameras

Das Hamburger Unternehmen “Frisch Gefischt” nutzt ein Online-Tool dazu, die Lieferkette vom Boot zum Markt zu verkürzen. Dadurch, und durch eine direkte Kommunikation mit lokalen Fischer*innen, kann das Unternehmen sogenannten Beifang reduzieren. Der Begriff beschreibt versehentlich gefangene Meerestiere, die nach dem Fang zurück ins Meer geworfen werden oder bereits in den Netzen verenden.

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Forscher*innen des Johann Heinrich von Thünen-Instituts arbeiten aktuell an einer Methode, mit der sich Beifang flächendeckend vermeiden ließe. Über KI-gestützte Kamerasysteme erkennen die Forscher*innen Fischarten bereits in den Fangnetzen. Durch das System werde es “mittelfristig möglich, zielgenau Meeresorganismen zu fangen”. Gleichzeitig ermögliche das System “eine ressourcenschonende, minimal-invasive Untersuchung der Fischfauna als Grundlage für eine nachhaltige Bewirtschaftung der Meere”.

Auch wenn eine derartige Erkennung bereits möglich ist, gibt es derzeit noch keine kommerziell nutzbaren Systeme. Zukünftig könnten aber alle genannten Systeme für Fischereiunternehmen zur Verfügung stehen – was wiederum eine weitere Gefahr für die Ökosysteme in unseren Weltmeeren darstellt.

Neue Technologien immer auch Gefahr für mehr Ausbeutung

Nachhaltiger Fischfang ließe sich theoretisch schon jetzt konsequent umsetzen, wenn Unternehmen dies beabsichtigen würden – oder durch Auflagen stärker dazu gebracht würden. Fischschwärme durch Sensoren und KI-Kameras zuverlässiger aufspüren und identifizieren zu können, birgt allerdings auch die Gefahr des Missbrauchs.

In einer Studie warnt das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) davor, dass Smart-Farming jedoch nicht unbedingt zu einer nachhaltigen Landwirtschaft führt. Diese Ergebnisse lassen sich auch auf den Fischfang übertragen. So braucht es politische Anreize und Regulierungen, damit neue Technologien auch wirklich dazu beitragen, dass sich Fischpopulationen und Ökosysteme im Meer erholen können. Geschieht das nicht, könnten digitale Werkzeuge das Gegenteil bewirken und als Katalysator für die weitere Zerstörung der Weltmeere wirken.

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