Segeln in Richtung Nachhaltigkeit: Die Frachtschifffahrt entdeckt die Windkraft neu

Die Schifffahrtsindustrie ist für hohe CO2-Emissionen verantwortlich. Eine uralte Technik gepaart mit neuen Technologien könnte eine Lösung sein.

Autor Lana O'Sullivan:

Übersetzung Sarah-Indra Jungblut, 24.01.24

Die Schifffahrtsindustrie ist für etwa 3 Prozent der gesamten weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Das mag nicht viel klingen, aber Forscher schätzen, dass die weltweiten Kohlendioxidemissionen im Jahr 2023 40 Milliarden Tonnen überschreiten werden, womit der Beitrag der Schifffahrt 1,3 Milliarden Tonnen betragen würde – jedes Jahr.

Die weltweit steigende Nachfrage nach Schiffen bedeutet auch, dass die Emissionen dieses Sektors überdurchschnittlich stark zugenommen haben. Tatsächlich ist die internationale Schifffahrt auf offener See eine der Hauptquellen für alle Emissionen in Europa“, so Syed-Asif Ansar, Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Wenn nicht gehandelt wird, könnte die Schifffahrt innerhalb weniger Jahrzehnte für 10-13 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich sein.

Es ist klar, dass dringender Handlungsbedarf besteht.

Laut bound4blue liegt die Antwort im Wind

Im Jahr 2014 gründete Christina Aleixendri zusammen mit zwei Kollegen aus der Luftfahrttechnik bound4blue. Ihr Projekt, das bis Februar 2024 finanziert wird, konzentriert sich auf die Frage, wie Segel- und Bootsdesigns gleichzeitig Emissionen und Treibstoffkosten senken können.

Die früheste bekannte Verwendung von Segelbooten geht auf das Jahr 3500 v. Chr. zurück, obwohl es möglich ist, dass Menschen noch früher den Wind für die Fortbewegung auf dem Wasser genutzt haben. Vereinfacht ausgedrückt funktionieren herkömmliche Segel, indem sie „den Wind einfangen“, d. h. der Wind wird vom Segel eingefangen und dann gelenkt, wodurch das Schiff, an dem das Segel befestigt ist, angetrieben wird, was als „Auftrieb“ bezeichnet wird.

Bound4blue kombiniert diese alte Technik mit modernster Technologie. Das Projekt sieht zwei patentierte Typen vor: ein faltbares Flügelsegel, das für Schiffe mit eingeschränktem Platzangebot und geringerer Manövrierfähigkeit geeignet ist, sowie ein Flügelsegel auf Saugbasis (eSAIL), das sich besser für kleinere Schiffe eignet. Diese Zylinderkonstruktion erhebt sich aus dem Schiffsdeck und nutzt ein Sauggebläse, um den Auftrieb zu erhöhen. Dadurch soll sie eine sechs- bis siebenmal höhere Effizienz als herkömmliche Segel bieten und den Treibstoffverbrauch um bis zu 40 Prozent senken.

Das autonome Kontrollsystem des eSAIL stellt sicher, dass die Technologie korrekt funktioniert, ohne dass zusätzliches Personal erforderlich ist. Die Daten werden von mehreren Sensoren empfangen, die die drei wichtigsten Trimmaktionen des Steuersystems steuern: Körperdrehung, Klappenstellung und Ansaugung. Durch diese Zusammenarbeit wird eine maximale Kraftstoffeinsparung bei gleichzeitiger Gewährleistung der Sicherheit des Geräts erreicht. Darüber kann über einen Touchscreen der Status des eSAIL überwacht werden und ermöglicht das Umschalten zwischen verschiedenen Betriebsmodi.

(Video von bound4blue, all rights reserved.)

Nach anfänglicher Ablehnung steigt nun das Interesse an der Entwicklung des Teams um Aleixendri. Auch wenn die Technologie noch in den Kinderschuhen steckt, haben einige frühe Anwender*innen bereits Einsparungen von 15 Prozent gemeldet. Bound4blue hat auch schon eine Reihe von Verträgen mit großen internationalen Reedereien unterzeichnet, darunter die japanische Marubeni und die französische Louis Dreyfus Armateurs.

„Wir haben mehr Nachfrage als wir heute bedienen können, daher sind wir sehr zufrieden mit der Entwicklung“, sagt Aleixendri. Sie prognostiziert, dass die Windantriebstechnologie bald zum Standard in der Branche werden wird. Dies wird durch eine beeindruckende Liste von Auszeichnungen untermauert, darunter eine Forbes 30 Under 30-Auszeichnung im Jahr 2019 und der European Institute of Innovation and Technology Woman Award im darauffolgenden Jahr.

Die Schifffahrtsbranche steht im Zeichen des Wandels

Auch der begeisterte Windsurfer und Segler Rogier Eggers vom niederländischen Schifffahrtsforschungsinstitut MARIN will die Schifffahrtsbranche zurück in die Zukunft schicken. Eggers leitet das von der EU finanzierte Projekt OPTIWISE, in dem untersucht wird, wie die Windenergie für den Antrieb von Frachtschiffen, Passagierschiffen und Tankern genutzt werden kann.

Die Digitalisierung ist von zentraler Bedeutung für die Verbesserung dieser alten Technologie. Während Segelschiffe früher den Wetterbedingungen ausgeliefert waren, ermöglichen neuste Kartierungstechnologien, dass „die Wettervorhersagen viel genauer sind als früher, so dass die Schiffe die Route mit dem günstigsten Wind nehmen können.“

Die Erprobung neuster Segeltechnologien ist bereits im Gange. Ende 2023 ist das Segelschiff Canopée mit Kurs auf Französisch-Guayana in See gestochen, um Raketenteile für die Ariane 6 zu liefern. Das Schiff verfügt über 1.486 Quadratmeter flügelähnliche Segel, die den Treibstoffverbrauch um bis zur Hälfte reduzieren sollen.

„Im Jahr 2024 wird es mit Sicherheit Fortschritte geben, da einige weitere Schiffe vom Stapel laufen, noch mehr Schiffe entworfen werden und der Bau weiterer Schiffe mit Segeln, Rotoren, Saugflügeln und Drachen zur Nutzung des Windes beginnt. Wir haben im letzten Jahr eine echte Beschleunigung erlebt, denn die Zahl der Installationen in einem Jahr entspricht der der letzten 10 Jahre.“

Im Juli 2023 verpflichtete sich die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) zu neuen Zielen für die Reduzierung von Treibhausgas- und Kohlenstoffemissionen. Und im Januar 2024 wurde das EU-Emissionshandelssystem (EU ETS) auf die CO2-Emissionen aller großen Schiffe (mit einer Bruttoraumzahl von 5.000 und mehr) ausgeweitet, die EU-Häfen anlaufen.

Damit wächst der Druck auf die Schifffahrtsindustrie, den Verbrauch an hochgradig umweltschädlichem Schweröl zu reduzieren. In der Windkraft steckt dabei großes Potenzial.
Laut Aleixendri bietet der Windantrieb kostenlose, erneuerbare Energie ohne die Notwendigkeit der Speicherung oder den Bedarf an an umfangreichen Infrastrukturinvestitionen.

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