Scrollrad aus Holz, Gehäuse aus Zuckerrohr: Wie man eine möglichst faire Computermaus baut (Interview)

Die Produktion unserer Elektronik ist auf vielen Ebenen problematisch. Der Verein Nager-IT hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, eine möglichst ethische Computermaus herzustellen. Nun sucht der Verein eine Nachfolge, erklärte uns Gründerin Susanne Jordan im Interview.

Autor*in Benjamin Lucks, 05.11.25

Was schätzt du: Wie viele verschiedene Materialien stecken in einer herkömmlichen, kabelgebundenen Computermaus? Tasten und Gehäuse bestehen in der Regel aus Plastik. Dazu kommt ein Kabel, in dem ein paar Drähte sind und wahrscheinlich gibt es irgendwo noch eine Platine, in der Silizium und ein paar Lötstellen aus Zinn zu finden sind. So weit, so offensichtlich!

Der Verein Nager-IT hat allerdings herausgefunden, dass in ihrer Computermaus 33 verschiedene Materialien zu finden sind. Sie haben dafür die gesamte Lieferkette mit Zwischenhändlern und Zulieferern aufgedeckt. Gegründet wurde Nager-IT im Jahr 2009 von Susanne Jordan, die sich damals die Frage stellte: „Warum gibt es fairen Kaffee, faire Kleidung und fairen Kakao – aber keine faire Technik?“. Nach mehreren Versionen ihrer fairen Computermaus ergaben sich dann Kniffe wie ein Scrollrad aus heimischem Holz oder ein Gehäuse aus Zuckerrohr statt Plastik. Besonders interessant ist allerdings, dass Nager-IT die gesamte Lieferkette für die Computermaus aufzeichnet.

Obwohl wir uns viel mit nachhaltiger Technik beschäftigen, waren wir im Team von RESET fasziniert (und auch ein wenig erschrocken), wie komplex die Lieferkette eines so einfachen Elektronikprodukts ist. Vor allem, da wir wissen, wie umweltschädlich und problematisch der Abbau vieler dieser Rohstoffe ist und wie prekär die Arbeitsbedingungen in den Fabriken entlang dieser Lieferkette sind.

Nachdem wir mit Lucie Hartmann von MNT Research über Notebook-Hardware gesprochen haben und daraus eine kleine Anleitung zum Kauf eines möglichst nachhaltigen Laptops entwickelt haben, wollten wir auch mit Nager-IT sprechen. Aber was genau macht Nager-IT eigentlich, Susanne Jordan?

Was ist die Idee hinter Nager-IT?

Wir stellen Computermäuse unter fairen Arbeitsbedingungen her. Dabei sind wir der Überzeugung, dass Transparenz der erste Schritt zu Fairness ist. Denn in der Regel weiß man nicht, wo die Bauteile herkommen. Man kann [bei Elektronikprodukten] auch nicht gut überprüfen, was genau fair ist und seinen Konsum dementsprechend kaum fairer gestalten. Hierfür fehlt es noch immer an sinnvollen Labels, die Konsument:innen eine Orientierung geben.

Und warum genau eine Computermaus?

Es hätte im Grunde genommen jedes Produkt sein können. Es ist dann aber irgendwie die Computermaus geworden – fast zufällig, würde ich sagen. Aber im Endeffekt war das eine gute Entscheidung, weil die Maus ein sehr einfaches Produkt ist. Und bei Mäusen können sich viele Menschen auf eine Form einigen, anders als bei Computern oder Notebooks. Hier hat jeder seine eigenen Bedürfnisse – das ist bei Computermäusen zwar auch so, dass Menschen sagen ‚Wir wollen eine größere oder kleinere Maus‘. Aber man kann sich damit besser abfinden, wenn es nicht so ist.

Mit diesem Modell startete Nager-IT in den Jahren 2012 / 2013.

Im Grunde genommen gibt es seit rund 20 Jahren ungefähr die gleiche Maus für Computer und Notebooks. Auch wenn PCs immer leistungsstärker geworden sind, haben sich die Eingabegeräte nicht großartig geändert. Und darüber hinaus ist sie ein vergleichsweise günstiges Produkt. Wenn eine Maus also doppelt oder dreimal so teuer ist, können sich das die allermeisten Menschen trotzdem noch leisten.

Wir sehen die Maus als Leuchtturm [für ethisch produzierte Hardware] und als USB-Gerät ist sie auch universal verwendbar. Egal, ob Windows, Microsoft oder Linux – die Maus ist universal einsetzbar.

In eurer Grafik sieht man ja, dass in nur einer Maus 33 verschiedene Rohstoffe zu finden sind. Warum ist Technik überhaupt so kompliziert?

Das Komplizierte ist, dass die Lieferkette so spezialisiert geworden ist. Also, es wird wenig Unterschiedliches in einem Betrieb gemacht. Alles wird immer ausgelagert und dadurch hat man es insgesamt mit sehr vielen Firmen zu tun. Die Lieferkette wird dadurch sehr breit und sehr tief und so wird es immer schwieriger, dass alle Firmen miteinander kooperieren.

Das ist auch ein zweites Problem der Elektronikbranche: Sie ist noch sehr konservativ und fokussiert sich noch immer wenig auf Nachhaltigkeit. Ich denke, zumindest in der Herstellung können wir da noch viel tun: ‚Wie können Elektronik für Nachhaltigkeit verwenden und wie stellen wir Elektronik unter nachhaltigen Bedingungen her?‘ Das hat sich bisher leider noch nicht durchgesetzt. In anderen Branchen, etwa der Modeindustrie, ist das schon viel verbreiteter.

Je weiter man zudem in der Lieferkette kommt, desto weniger Verständnis findet man. Und dann gibt es noch den ‚Mittelbau‘, wenn man sich unsere Lieferkette anguckt. Es gibt wenige sehr große Firmen, die etwa Drähte und Folien [für die Produktion der Bauteile unserer Mäuse] herstellen, und die haben einfach kein Interesse an Nachhaltigkeit. Das bedeutet für uns: Entweder müssen die Lieferanten, die uns wiederum Teile verkaufen, diese Produkte nehmen, oder es lassen! Und natürlich sind wir dann ebenfalls gezwungen, weniger nachhaltige Bauteile zu nehmen, da es einfach wenige Alternativen gibt. Das gehört ebenfalls zu den Herausforderungen bei unserer Aufgabe.

Wie seid ihr an diese Informationen gekommen? Gibt es Verzeichnisse, welche Hersteller faire Arbeitsbedingungen haben?

Nein, das wäre schön! Und das war auch meine Erwartung, als ich 2009 angefangen habe, mich [mit nachhaltiger Elektronik] zu beschäftigen. Ich hatte damals erwartet, dass ich mit einer fair-produzierten Maus offene Türen einrenne. Ich bin dann zu NGOs gegangen, die Berichte über schlechte Arbeitsbedingungen geschrieben haben und habe gefragt, ob sie etwa eine White-List haben. Oder zumindest Hinweise für faire Unternehmen, da sie ja viel dazu recherchiert haben. Das konnten sie mir aber allesamt nicht geben.

Hier siehst du die aktuelle Version der fairen Computermaus mit Scrollrad aus Holz.

Wir haben das dann regional selbst gemacht. Also Betriebe besucht, die nur regional in Deutschland Standorte haben. Die konnten wir leicht besuchen und konnten dabei generell keine Verletzungen von Arbeitsrechten finden. Dann haben wir diese Betriebe schon einmal als ‚Fair‘ eingestuft.

In den Betrieben in China, die wir besuchen konnten, gab es mehr Unterschiede und da haben wir uns ein bisschen schwer getan. Denn europäische Vorstellungen zu fairen Arbeitsbedingungen wurden hier nie erfüllt. Zwar haben wir [zwischen den Betrieben] deutliche Unterschiede gesehen, sie aber dennoch allesamt als ‚unfair‘ eingestuft. Eine genauere Unterscheidung wäre dabei zu kompliziert geworden und so haben wir zusätzlich in Vorträgen und Workshops darauf hingewiesen.

In Europa gibt es inzwischen ein Lieferkettengesetz. Findest du das sinnvoll? Wie würdest du es euren Erfahrungen nach verändern?

Grundsätzlich finde ich es erst einmal gut, dass die direkten und indirekten Lieferanten mehr in die Pflicht genommen werden. Und auch, dass die Verantwortung über die Arbeitsbedingungen dort nochmal prominenter gemacht werden. Allerdings wurde das Gesetz immer weiter und weiter abgeschwächt.

Große Unternehmen haben dabei zu viele Möglichkeiten, ihre Verantwortungspflichten zu reduzieren. Dabei schieben sie auch kleine und mittelständische Unternehmen vor, um etwa weniger Nachweise in ihren unteren Lieferebenen liefern zu müssen. Dabei müssten gerade große Unternehmen viel mehr in die Pflicht genommen werden, während es für kleine Unternehmen Erleichterungen geben müsste.

Wir bräuchten im Lieferkettengesetz deutlich mehr Unterschiede, sodass jedes Unternehmen nach seinen Möglichkeiten Verantwortung übernimmt.

Schlussfrage! Ihr möchtet Nager-IT gerne an die nächste Generation weitergeben – was würdest du Interessierten für Tipps geben, was man dafür mitbringen muss?

Wichtig ist erst einmal eine Sache, die ich damals auch hatte: Das Thema muss einem wirklich am Herzen liegen! Denn das gleicht ganz viel aus, was man an Vorwissen oder Erfahrungen vielleicht noch nicht hat. Wenn einem [die Arbeitsbedingungen und die Produktionsbedingungen in der IT] wichtig sind, kommt man automatisch vorwärts und wenn man ein Interesse ausstrahlt, kriegt man überall die Hilfe, die man benötigt.

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Was aber aktuell noch wichtig wäre, ist eine Sache, die ich nicht habe, und auch niemand sonst im Team: Dass man gerne Vertrieb und Marketing macht! Also, dass man gerne publiziert, was für ein tolles Produkt wir herstellen.

Weitere Informationen zur Übergabe von Nager-IT finden sich auf der verlinkten Sonderseite des Vereins. Bei Fragen, so Susanne Jordan abschließend, könne man sich einfach via E-Mail an das Team wenden oder Nager-IT auf Mastodon schreiben.

Wir bedanken uns für das Interview und drücken die Daumen, dass die faire Computermaus eine Zukunft hat!

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