Neue Technologie bindet CO2 in Beton

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Neustark

Wenn die Betonindustrie ein Land wäre, dann wäre sie der drittgrößte CO2-Emmitent der Welt. Mit einer neuen Technologie soll die Betonproduktion nun klimafreundlicher werden.

Autor*in Leonie Asendorpf, 08.09.20

Die Betonherstellung ist, je nach Rechenweg und einbezogenen Produktionsprozessen, für 6 bis 8 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Das ist mehr CO2 als im Jahr 2018 weltweit durch den kommerziellen Luftverkehr emittiert wurde (2,5 Prozent). Pro Tonne produziertem Zement, dem Bindemittel bei der Herstellung von Beton, fällt etwa eine Tonne CO2 an. Der Grund dafür ist das aufwändige und ressourcenintensive Herstellungsverfahren; nach Gewinnung, Förderung, Zerkleinerung und Homogenisierung des Rohmaterials wird es anschließend noch gemahlen, entsäuert und im Drehofen bei etwa 1.450 Grad gebrannt. Bei dem gesamten Prozess wird viel CO2 freigesetzt. Vor allem die Brennung ist dabei sehr klimaschädlich, da viel Energie nötig ist, um die hohen Temperaturen zu erreichen – und diese stammt meist aus fossilen Rohstoffen.

CO2 an Betongranulat binden

Die zwei Schweizer Unternehmer Johannes Tiefenthaler und Valentin Gutknecht haben eine gemeinsame Vision: Sie wollen die Produktion von Beton klimafreundlicher machen. Hierfür haben sie eine Technologie entwickelt, mit der Beton-Recyclingwerke Kohlendioxid dauerhaft einlagern können. Aus altem Betonbruch und CO2 wird ein neues Gestein, welches als Basis für frischen Beton dient. Die Idee hinter der Technologie: das CO2 wird in den Poren an der Oberfläche von Betongranulat als Kalkstein gebunden. Das aufgewertete Granulat kann anschließend als Sand- und Kiesersatz in frischen Beton gemischt werden. Somit wird weniger Zement verwendet, der Beton behält dabei aber seine wichtigen Eigenschaften.

Tiefenbauer doktoriert am Department Maschinenbau und Verfahrenstechnik an der ETH Zürich. „Im Baubereich wird zwar viel geforscht, trotzdem hat die Industrie bisher nur kleine Emissionsreduktionen erzielt, weil ein großer Teil der Erkenntnisse schubladisiert wird und nicht zur Anwendung gelangt“, so Tiefenthaler. Eigentlich gebe es genug mineralische Stoffe auf der Erde, um mehrere Hundert Milliarden Tonnen Kohlendioxid zu binden, doch weil diese Materialien – etwa Magnesiumsilikate – nicht besonders reaktiv seien, müssten sie zuvor auf 700 Grad aufgeheizt werden, sagt Tiefenthaler. Betongranulat habe sich im Gegensatz dazu als hochreaktiv erwiesen, wegen der insgesamt riesigen Oberfläche der vielen millimeterkleinen Partikel. Selbst ohne Vorbehandlung formt der Betonbruch mit dem Kohlendioxid sehr stabile chemische Verbindungen.

Negative CO2-Emissionen

Der zweite im Team von neustark ist Valentin Gutknecht. Er ist Betriebswirtschaftler und kümmert sich um die operativen Aspekte bei neustark. Gemeinsam wollen die beiden die Technologie zu einer klimapositiven Geschäftsidee zu machen und in die Realität umzusetzen. „Mich hat gereizt, dass die Lösung nicht erst in fünf oder zehn Jahren, sondern schon jetzt greifbar ist“, so Gutknecht.© neustark

Mit der neustark-Technologie sollen CO2-Emissionen nicht nur eingespart, sondern sogar rückgängig gemacht werden können – also negative Emissionen „erzeugen“. Denn das aktiv aus der Luft geholte Kohlendioxid, das in die Poren des Betongranulats „gestopft“ wird, wird dort als Kalkstein dauerhaft gebunden. „Es gibt nur ganz wenige technische Ansätze für echte negative Emissionen“, sagt Tiefenthaler. Die Anwendung dieser Ansätze halte sich bislang in Grenzen, insbesondere weil überzeugende Anreiz- und Geschäftsmodelle fehlen. „In dieser Hinsicht ist unser Vorgehen einmalig, weil wir zeigen, dass sich mit dem Binden von Kohlendioxid ein Mehrwert schaffen lässt. Und dass negative Emissionen nicht nur Kosten, sondern sogar einen wirtschaftlichen Gewinn bringen können“, sagt Gutknecht.

2017 haben die beiden Schweizer mit der Entwicklung der neustark-Technologie an der ETH Zürich begonnen. Seitdem wurden Reaktortests durchgeführt. Das benötigte CO2 wird aus einer Bioaufbereitungsanlage der Kläranlage Bern (Arabern) gewonnen. Der „Betonmüll“, in dessen Poren später CO2 in Stein umgewandelt wird, wird im Kästli-Betonwerk in der Nähe von Bern recycelt. Momentan wird die Technologie im industriellen Maßstab erprobt. Schon bald sollen jedoch erste Bauten entstehen, die mit klimafreundlichem Beton gebaut wurden. 

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