Samen in Gebäuden säen: Wie begrünte Fassaden die Nachhaltigkeit verbessern

Grüne Wand am Caixa Forum in Madrid.

Bewachsene Fassaden machen unsere Städte nicht nur grüner, sondern sie senken auch die Emissionen der Gebäude. Sensoren und Software könnten die Planung und Pflege erleichtern.

Autor Lana O'Sullivan:

Übersetzung Sarah-Indra Jungblut, 18.09.23

Nach Berechnungen des World Green Building Council stammen etwa zwei Fünftel der weltweiten CO2-Emissionen aus dem Bau, der Heizung, Kühlung und Energieversorgung von Gebäuden. Damit ist klar: Sollen die Klimaziele erreicht werden, muss der ökologische Fußabdruck von Gebäuden geschrumpft werden.

Gleichzeitig nimmt die Weltbevölkerung zu. Neben dem Druck auf Kommunen, CO2-Emissionen zu senken, besteht damit ein immer größerer Bedarf an erschwinglichem Wohnraum. Nicht schwer vorstellbar, dass die beiden Konzepte oft im Widerspruch zueinander stehen.

Glücklicherweise gibt es viele gute Ansätze, wie wir Gebäude weniger ressourcenintensiv bauen und sanieren können. Und viele der möglichen Lösungen sparen nicht nur Emissionen, sondern werten auch unser Wohnumfeld auf.

Lebende Wände können den Wärmeverlust von Gebäuden um ein Drittel reduzieren 

Lebende Wände, auch grüne Wände, Fassadenbegrünung oder vertikale Gärten genannt, sind architektonische Elemente, bei denen Pflanzen an Fassaden oder Innenwänden von Gebäuden angebracht werden. Die Anlagen bringen natürliches Grün in städtische Umgebungen, in denen der Platz für herkömmliche Gärten oft begrenzt ist.

Vorteile von begrünten Wänden

1. Ästhetische Aufwertung: Fassadenbegrünung kann städtische Umgebungen und architektonische Strukturen aufwerten.

2. Verbesserte Luftqualität: Pflanzen tragen zu einer besseren Luftqualität in Innenräumen und im Freien bei, indem sie die Luft filtern und Schadstoffe absorbieren.

3. Thermische Regulierung: Lebende Wände können zur Temperaturregulierung in Gebäuden beitragen, indem sie isolieren und die Wärmeaufnahme verringern.

4. Lärmreduzierung: Pflanzen können Schall absorbieren und damit die Lärmbelästigung in lauten oder stark befahrenen Gebieten verringern, was die Wohnqualität verbessert.

5. Biophile Verbindung: Lebende Wände schaffen eine Verbindung zur Natur, die bekanntermaßen das Wohlbefinden und die Produktivität steigert.

6. Artenvielfalt: Sie können eine Vielzahl von Pflanzenarten beherbergen, die wiederum städtische Lebensräume für Insekten und andere Tiere schaffen.

Lebende Wände in Aktion

Die Universität von Plymouth hat vor kurzem eine Studie veröffentlicht, die sich mit dem Energiesparpotenzial von begrünten Wänden befasst. Dabei stellten die Forschenden fest, dass die Nachrüstung eines bestehenden Gebäudes mit Fassadenbegrünung den Wärmeverlust um über 30 Prozent verringern kann.

Die Studie konzentrierte sich auf das Sustainability Hub in Plymouth – ein Gebäude aus der Zeit vor 1970 auf dem Universitätscampus – und verglich, wie effektiv zwei Abschnitte seiner Wände Wärme zurückhalten. Dazu wurde ein Teil der Westfassade mit Pflanzen begrünt, der andere Teil in seinem Originalzustand belassen. Die begrünte Fassade wurde mit einem biegsamen Filzfoliensystem konstruiert, in das Taschen für Erde und Pflanzen eingearbeitet wurden.

Nach einer fünfwöchigen Messphase zeigte sich, dass die Wärmeverluste der nachgerüsteten Wand um 31,4 Prozent niedriger waren als die der ursprünglichen Struktur. Außerdem stellten die Forschenden fest, dass die Tagestemperaturen in dem neu abgedeckten Bereich stabiler blieben als in anderen Bereichen, so dass weniger Energie zum Heizen benötigt wurde.

„Lebende Wände haben das Potenzial, zur Verbesserung der thermischen Gesamtleistung von bestehenden Gebäuden beizutragen“, stellt daher Matthew Fox, Mitglied des Studienteams und Dozent an der University of Plymouth School of Architecture, fest.

Allerdings ist sowohl der Anbau als auch die Pflege von lebenden Wänden nicht einfach und es erfordert viel Pflege, um die Pflanzen am Leben zu erhalten. Die Kosten dafür müssen von den Wohnungsbaugesellschaften oder Gebäudeeigentümer*innen getragen werden, was Kosteneinsparungen durch die Wärmedämmung zunichte machen kann.

Oftmals werden praktische Lösungen zum Energiesparen daher von denjenigen, die die Möglichkeiten haben, diese umzusetzen, übersehen. Könnte es aber einen Weg geben, die Kosten für den Erhalt der lebenden Wände zu senken – und gleichzeitig deren Effizienz zu steigern?

Wie digitale Tools die Entwicklung von Fassadenbegrünung unterstützen können

Bei der Gestaltung und Instandhaltung von lebenden Wänden gibt es viel zu beachten. Zum Beispiel spielen die Lichtverfügbarkeit, Temperatur und die spezifische Umgebung bei der Auswahl der Pflanzen eine große Rolle – und auch die Bewässerung, Beleuchtung und die strukturelle Unterstützung müssen bedacht werden.

Unterstützung bei diesen Herausforderungen könnte von neuen Technologien kommen. Seit Anfang der 2000er Jahre ist die digitale Gebäudedatenmodellierung (Building Information Modelling, BIM) zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Bauwesens geworden. Richtig eingesetzt kann diese Technologie, die die physischen und funktionalen Merkmale von Orten erfasst und verwaltet, den Entwurf, die Herstellung und den Bau einer maßgeschneiderten Pflanzen- und Ökohabitat-Fassade unterstützen.

Gebäude sind ein CO2-Schwergewicht: Das Bauen, Wärmen, Kühlen und Entsorgen unserer Häuser hat einen Anteil von rund 40 Prozent an den CO2-Emissionen Deutschlands. Unsere Klimaziele erreichen wir nur, wenn diese Emissionen massiv gesenkt werden.

Wie aber gelingt die nachhaltige Transformation der Gebäude und welche Rolle spielen digitale Lösungen dabei? Das RESET-Greenbook gibt Antworten: Gebäudewende – Häuser und Quartiere intelligent transformieren

In der multidisziplinären Forschungsarbeit und Installation von Danelle Briscoe, Professorin und Beraterin für Architektur an der University of Texas, wurde erprobt, in wie weit BIM-Techniken beim Bau und Erhalt von lebenden Wänden eingesetzt werden können. Dazu wurden unter anderem mehrere 3D-gedruckte Sensoren in der Wand integriert, die Temperatur- und Lichtwerte ermittelten. Die gewonnenen Daten konnten dann in Echtzeit mit Open-Source-Software aufgezeichnet und konsistent verfolgt werden. Aus den Datenmessungen ließ sich zudem ablesen, ob die lebende Wand die Fassadenoberfläche kühlt oder wärmt, indem die Temperatur vor, in und hinter der Wand selbst gemessen wurde.

Mithilfe von Sensoren an den Leitungen konnte auch der Wasserbedarf jeder Zelle der Anlage verfolgt und daraufhin optimiert werden – was Wasser und Geld einsparen kann.

Damit vermittelt die Forschungsarbeit einen Arbeitsablauf, bei dem BIM und andere visuelle Programmierplattformen den Entwurf, die Herstellung, den Bau und die Pflege einer Pflanzenfassade unterstützen. Die Ergebnisse zeigen, dass begrünte Wände mithilfe der Technologien nicht nur einfacher planbar und pflegeleichter werden, sondern unter Umständen auch wirtschaftlich rentabler für Bauunternehmen und Gebäudeinhaber*innen. Wichtig dabei ist allerdings, die Gebäude nicht mit fehleranfälliger Technik zu überfrachten, sondern die eingesetzten Technologien robust und leicht handhabbar zu gestalten.

dbu-logo

Dieser Artikel gehört zum Dossier „Gebäudewende – Häuser und Quartiere intelligent transformieren“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.

Torge Peters
CO2-Schwergewicht Gebäude – Wie lässt sich der Sektor mithilfe der Digitalisierung dekarbonisieren?

Um die Klimaziele im Gebäudesektor zu erreichen, stehen große Transformationen an. Welche Rolle digitale Technologien dabei spielen, darüber geben wir hier einen Überblick.

Torge Peters
Neue RESET-Podcastfolge: Mit digitalen Tools zum klimaneutralen Gebäudesektor

Gebäude sind über ihren gesamten Lebenszyklus CO2-Schwergewichte. Das muss sich dringend ändern. Digitale Tools und Technologien können helfen, den Gebäudesektor zu transformieren. Hört selbst in Folge #9 von RESET Radio!

Torge Peters
Policy Brief: Digitalisierung im Gebäudesektor – Chancen und Herausforderungen für den Klimaschutz

Auch im Gebäudesektor wird zunehmend auf digitale Technologien gesetzt – aber führt ihr Einsatz tatsächlich den erhofften Einsparungen? Der Policy Brief nennt sinnvolle Anwendungsbereiche und wichtige Stellschrauben.

Jenga Green Library will Kenias Gebäude mit nachhaltigen Lösungen umgestalten

Ein mangelndes Bewusstsein, zu hohe Preise und schwer zugängliche Informationen behindern nachhaltiges Bauen in Kenia. Die Jenga Green Library könnte hier Abhilfe schaffen.

© TRIQBRIQ AG
Riesen-Lego aus Schadholz: Wie Triqbriq den Holzbau revolutionieren könnte

Was, wenn es ein Baumaterial gäbe, das umweltfreundlich ist, sich schnell verarbeiten lässt und auch noch vollständig und rückstandslos zurückbaubar ist? Diese Vorstellung ist längst keine Utopie mehr, wie diese neuartigen „Ziegelsteine“ beweisen.

Intelligentes Planen zukunftsfähiger Gebäude und Quartiere mit BIM

BIM hält eine Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten in der Baubranche bereit. In Gießen wird das System genutzt, um das Energieeffizienzquartier EnEff:Stadt FlexQuartier umzusetzen.

EnergieCheckpoint: Wie energieeffizient sind Berlins öffentliche Gebäude?

Die Betreiber öffentlicher Gebäude in Berlin sind gesetzlich verpflichtet, für jedes Gebäude Energieverbrauchsdaten zu melden. Die Initiative EnergieCheckpoint visualisiert die Daten und versucht so, alle Beteiligten handlungsfähiger zu machen.

Lassen sich die hohen CO2-Emissionen im Gebäudebetrieb mithilfe digitaler Lösungen reduzieren?

Digitale Technologien haben das Potenzial, die Emissionen aus dem Betrieb von Gebäuden deutlich zu senken, darin sind sich Expert*innen einig. metr und andere Anbieter zeigen, wie konkrete Lösungen aussehen.