Die Weltbevölkerung wächst: Allein zwischen den Jahres 2017 und 2019 nahm sie um etwa 160 Millionen Menschen zu. Aktuell sind wir bei rund 7,8 Milliarden Menschen, die mit Essen versorgt werden müssen. Eine Herausforderung für die Landwirtschaft, die ausreichend Nahrung anbauen muss.
Eines der größten Probleme in der Landwirtschaft: Unkraut beseitigen. Und damit möglichst verhindern, dass dabei keine Ernteerträge reduziert werden müssen. Das gängige Mitteln gegen Unkraut und Schädlinge weltweit sind noch immer chemische Herbizide. Diese sind zwar wirkungsvoll, haben jedoch oftmals fatale Folgen für die Umwelt und auch den Menschen. Durch die globale Erderwärmung wird die Ausbreitung von Unkraut und Schädlingen in Zukunft sogar zunehmen, wie ein Bericht des National Climate Assessment prognostiziert. Eine solche Entwicklung würde sich negativ auf die Ernteträge von Landwirt*innen auswirken. Es braucht also neue Lösungen, um Unkraut auf eine nachhaltige und umweltfreundlichere Art beseitigen zu können.
Das britische Startup RootWave arbeitet an einer post-chemischen Zukunft für Ackerbauern und -bäuerinnen. Statt mit Chemie bekämpft RootWave Unkraut mithilfe von Künstlicher Intelligenz und Elektrizität und will das Beseitigen von unliebsamem Unkraut auf diese Weise umweltfreundlicher machen.
„Viele Unkrautsorten werden immer resistenter und die chemischen Mittel dagegen weniger wirksam“, erklärt der Geschäftsführer von RootWave Andrew Diprose gegenüber RESET. Außerdem würden die zunehmenden Regulierungen zur Nutzung von Pestiziden und die Bedenken der Verbraucher*innen die Dringlichkeit, eine Umweltlösung zu finden, verstärken.
Das Prinzip der Technologie von RootWave ist einfach: Anstatt mit umweltschädlichen Herbiziden die Unkräuter abzutöten, werden ihnen zielgerichtete Stromschläge verpasst. Durch den elektrischen Widerstand der Pflanze wird der Strom in Wärmeenergie umgewandelt – wodurch das Wasser in den Pflanzenzellen „zum Kochen“ gebracht wird. Die Pflanze zersetzt sich von innen heraus und gibt ihre Nährstoffe an den Boden zurück. RootWave bezeichnet diesen Vorgang seiner Technologie als „Zapping“, der Boden soll dabei unbeeinträchtigt bleiben.
RESET hatte bereits über vorangegangene Produkte des Startups berichtet. So bietet RootWave bereits einen handgeführten manuellen Unkrautstecher sowie ein Gerät, das für den Einsatz mit Traktoren entwickelt wurde, an. Bei letzterem leitet das System den Strom von der Zapfwelle des Traktors über eine Lichtmaschine in eine spezielle Vorrichtung, um die richtige Energiemenge in das Unkraut zu lenken und es so zu zerstören, ohne dabei aber den Boden zu beeinträchtigen.
Unkraut mittels KI lokalisieren, um es dann gezielt zu beseitigen
Ein neuer Roboter soll die bewährte Technologie nun in großem Maßstab möglich machen. In Zusammenarbeit mit Small Robot Company, einem Agrartechnologie-Startup, wurde nun ein vorläufiger Prototyp-Roboter entwickelt. „Durch die Partnerschaft mit Small Robot Company können wir das Unkraut-Schneiden automatisieren, um es im landwirtschaftlichen Maßstab zu betreiben“, so Diprose. Im Laufe dieses Jahres soll der Roboter namens „Dick“ getestet werden. „Das fehlende Puzzleteil, an dem nun gearbeitet wird, ist das Zusammenführen unserer Technologie mit den Funktionen des Roboters“, so Diprose.
Einen ersten Roboter, der das Unkraut mit Hilfe von Kameras und einer eigenen KI-Software erkennt und lokalisiert, gibt es bereits. Er heißt „Tom“. An einem Tag kann dieser 20 Hektar, also 200.000 Quadratmeter Land, nach Unkraut absuchen. „Zum ersten Mal können wir jede Pflanze auf dem Feld sehen – und jedes einzelne Unkraut. Anstatt das gesamte Feld zu besprühen, können wir einfach die einzelnen Unkrautpflanzen abtöten“, so Sam Watson-Jones, Mitbegründer der Small Robot Company.
Der neue Roboter „Dick“ soll nun das, zuvor von „Tom“ erkannte Unkraut gezielt bekämpfen und somit automatisches, präzises und autonomes Unkraut-Jäten in großem Maßstab möglich machen. Um das Unkraut zu bekämpfen, setzt „Dick“ die oben beschriebene Technologie von RootWave ein.
Da die Technologie es ermöglicht, die Pflanzen wortwörtlich „an der Wurzel zu packen“, können selbst besonders resistente Unkrautarten behandelt werden, wie Riesen-Bärenklau (auch Herkuleskraut oder Bärenklaue genannt) und der Japanische Staudenknöterich. Hier hat sich die Technologie, laut Diprose, bereits bei der Unkrautbeseitigung in englischen Gärten und Parks bewährt, bei denen mit dem handgeführten Gerät gearbeitet wird. Durch den Einsatz des neuen Roboters „Dick“ soll diesen, besonders resistenten, Unkrautarten gar nicht erst die Möglichkeit gegeben werden, starke Wurzeln auszubilden. Durch einen regelmäßigen Einsatz des neuen Roboters soll das Unkraut durch die frühe Erkennung schon als kleine Pflanze beseitigt werden.
Sowohl „Tom“ als auch „Dick“ laufen voll automatisch. „In die Roboter ist eine Batterie eingebaut. Die Landwirte müssen also kein Benzin kaufen und es fallen keine weiteren Kosten an“, so Diprose. Die Batterien können außerdem wiederaufgeladen werden und sind energiesparsam. Laut Small Robot Company kann die Menge der ausgestoßenen Emissionen durch den Einsatz der Präzisionsroboter im Vergleich zu denen bei der herkömmlichen Unkrautbekämpfung um bis zu 90 Prozent reduziert werden.
Auf einem 600 Hektar großen Bio-Bauernhof im Wimpole Estate, etwa 14 Kilometer südwestlich von Cambridge, ist „Tom“ bereits im Einsatz. Callum Weir, Farmmanager des Hofes, sagt, der Hauptvorteil dieser bahnbrechenden Technologie bestehe darin, dass bei der Unkrautbekämpfung viel präziser und gezielter vorgegangen werden könne. Somit werde dabei geholfen, Ernteerträge und die Artenvielfalt zu erhöhen. „Der Roboter wiegt außerdem nicht viel und trägt zur Verringerung der Bodenverdichtung bei – eine Folge der Verwendung traditioneller Traktoren, die zur Verbesserung der Bodengesundheit beiträgt.“
Die Entwicklung des Roboters wird zu etwa 60 bis 70 Prozent von einem Zuschussprogramm der Regierung in Großbritannien finanziert. Bislang sind bereits über eine Million britischer Pfund, also etwa 1,15 Millionen Euro in das Projekt geflossen. Mit dem Geld soll die Technologie auf verschiedene Erntetypen und Oberflächen angepasst werden. „Mit dieser innovativen Technologie können Landwirte erstmals nicht-chemische Präzisionsroboter zur Unkrautbekämpfung im Getreideanbau verwenden und dabei sogar Energie sparen und Kosten senken“, so Calum Murray, Leiter der Innovationsagentur Innovative UK im Bereich Landwirtschaft und Ernährung, in einer Presseerklärung. Bei Innovate UK sei man stolz darauf, die Transformation der britischen Lebensmittelproduktionssysteme zu unterstützen, die Produktivität und Nachhaltigkeit zu verbessern und der Branche dabei zu helfen, bis 2040 einen CO2-Asstoß von null zu erreichen.
Ab Herbst 2021 soll „Dick“ als Service verfügbar sein. Das Produkt selbst wird nicht zum Kauf stehen. Der finanzielle Aufwand für den Einsatz der neuen Technologie sei, laut Diprose, vergleichbar mit den Kosten für Herbizide. Die Kosten für diesen Service werden per Hektar berechnet und betragen etwa 60 Prozent der Ausgaben, die ein*e Landwirt*in sonst in die Unkrautbekämpfung mithilfe von Herbiziden investieren würde, so Diprose. Wie hoch die Kosten genau sein werden, steht zum jetzigen Entwicklungszeitpunkt noch nicht fest – es könnte aber sein, dass sie für Landwirt*innen sogar sinken, wenn die neue Technologie in großem Maßstab eingesetzt würde.
Wie kann KI im Umwelt- und Klimaschutz wirkungsvoll eingesetzt werden? Welche spannenden Projekte gibt es? Was sind die sozial-ökologischen Risiken der Technologie und wie sehen Löungen aus? Antworten und konkrete Handlungsempfehlungen geben wir in unserem Greenbook(1) „KI und Nachhaltigkeit – Können wir mit Rechenleistung den Planeten retten?“.
Dieser Artikel ist Teil des Dosssiers „Künstliche Intelligenz – Können wir mit Rechenleistung unseren Planeten retten?“. Alle Artikel des Dossiers findest du hier: Dossier KI
Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers über zwei Jahre zum Thema „Chancen und Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung“ erstellen.
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