Das Telefon klingelt, wenn wieder mal ein Schiff zu sinken droht oder es von der Küstenwache in einer sogenannten „push back“-Aktion zurückgedrängt wird. Hier beginnt der Einsatz der Aktivsten von Watch The Med – ohne eigene Boote, aber mit Hilfe einer Telefonleitung und einem großen Netzwerk. Wir sprachen mit Katharina Kestler und Lisa Groß, zwei ehrenamtlichen Aktivistinnen des Watch The Med Alarmphones.
Auch wenn die Distanz, betrachtet man allein die tatsächlichen Kilometer, nicht wirklich groß ist, so ist der Weg übers Meer für viele Flüchtlinge weit. Das liegt an veralteten und überfüllten Booten, die immer wieder in Seenot geraten, aber auch an illegalen „push back“-Aktionen, bei denen die Küstenwache die Boote nahe der europäischen Küste wieder aufs Meer zurückdrängt. Aktivisten aus mehreren europäischen Ländern sowie Marokko und Tunesien haben sich zu dem Netzwerk „Watch The Med“ zusammengeschlossen, um hier Hilfe zu leisten: Über eine Telefonhotline können Migranten in Seenot die Initiative jederzeit alarmieren.
Ins Leben gerufen wurde das Alarmphone im Oktober 2014 und wurde seitdem schon oft angewählt. Zwölf Mal konnten die Aktivisten dabei tatsächlich Leben retten und hunderte Menschen per Telefon sicher an eine europäische Küste lotsen. Neben der Rettung von Menschenleben hat es sich die Organisation zur Aufgabe gemacht, mit Watch The Mediterranean Sea auf einer Online Mapping Plattform Rechtsverletzungen und Todesfälle bei Migranten an den maritimen Grenzen Europas zu dokumentieren.
Im Interview sprachen wir mit Katharina Kestler und Lisa Groß, zwei ehrenamtlichen Aktivistinnen des Alarmphones von Borderline-europe, dem Mitinitiator des Alarmphones. Borderline-europe stellt auch selbst Notrufteams in Berlin, Palermo und anderen Städten.
Wie funktioniert das Alarmphone genau? Was für Möglichkeiten, das Alarmphone anzurufen, haben die Menschen auf dem Meer? Gibt es eine Chance via Mobilfunk oder sind viele der Boote mit einem Satellitentelefon ausgestattet?
Im zentralen Mittelmeer haben die meisten Boote ein Satellitentelefon an Bord, von dem aus das Alarmtelefon angerufen werden kann. Bei kürzeren Überfahrten, wie zum Beispiel zwischen der Türkei und Griechenland, gibt es Mobilfunkempfang, so dass wir aus diesen Regionen auch von Handys angerufen werden. Die Menschen in Seenot rufen die zentrale Nummer des Alarmphones an. Die Anrufe werden dann an die zuständigen Personen/Gruppen weitergeleitet. Außerdem hoffen wir, dass es in Zukunft möglich ist, über eine „SOS-App“ eine SMS an die Alarmphone-Nummer zu schicken – dies ist bislang aus technischen Gründen noch nicht möglich.
Wie erfahren die Flüchtlinge davon, dass es das Alarmphone gibt?
Die Telefonnummer wurde und wird über verschiedene Kanäle und Netzwerke direkt in Nordafrika, der Türkei und Migranten-Communities verbreitet. Außerdem spielt das Internet bei der Verbreitung der Nummer eine wichtige Rolle.
Was passiert, wenn ein Anruf eingeht? Was für Möglichkeiten haben die Aktivisten am Telefon, um den Menschen in Seenot zu helfen?
Wir versuchen herauszufinden, wo genau sich das Boot befindet, um dann die zuständige Küstenwache anzurufen. Außerdem bemühen wir uns, den Kontakt zu den Menschen in Seenot und der Küstenwache zu halten, um zu erfahren, ob die Rettungsaktion durchgeführt wird. Wenn das nicht der Fall ist, haben wir verschiedene Wege, öffentlich Druck aufzubauen. Eines unserer zentralen Anliegen ist es, die Rettungsvorgänge genau zu beobachten und zu dokumentieren und unzureichende bzw. nicht stattfindende Rettungsaktionen zu skandalisieren, sowie illegale pushback-Aktionen beweisbar zu machen. Uns ist außerdem wichtig, die Menschen in Seenot bis zum Rettungsvorgang zu begleiten und eine mentale Stütze zu sein.
Was waren die größten Hürden bisher? Wie stellt sich die Zusammenarbeit mit der Küstenwache dar?
Da sich unser Projekt noch am Anfang befindet ist es schwer, schon jetzt etwas über die Zusammenarbeit mit der Küstenwache zu sagen. Bisher haben wir bei der Zusammenarbeit mit der Spanischen und der Italienischen Küstenwache gute Erfahrungen gemacht. Sie waren meist an einer Kooperation mit uns interessiert, haben unsere Informationen entgegengenommen und uns meist auch über den Vorgang der Rettungseinsätze informiert.
Mehr über das Alarmphone erfährst du hier: Watch The Med Alarmphone
Auch ein anderes sehr ambitioniertes Projekt sorgt derzeit für ein großes Medienecho: Sea-Watch. Mit einem privaten Schiff, der MS Sea-Watch, will das Team im Seegebiet zwischen Malta und der libyschen Küste Flüchtlingsbooten in Not Ersthilfe leisten und bei der Rettung durch die zuständigen Institutionen unterstützen. Außerdem soll durch die Übertragung und Veröffentlichung von Berichten, Bild- und Videomaterial das Schicksal der flüchtenden Menschen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt werden. Mehr zum Projekt: sea-watch.org
Alle Artikel zum Thema findest du hier: Flüchtlingshilfe 2.0.