Regenwaldschutz mit digitalen Lösungen: „Digitalisierung macht Entwicklungen sichtbar, so dass sie von niemandem mehr negiert werden können.“

HIIG

Wie können digitale Technologien beim Schutz der Regenwälder eingesetzt werden? Stephan Bohn (HIIG) berichtet in diesem Interview über die Ergebnisse eines Forschungsprojekt in Indonesien.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 13.03.23

Übersetzung Lana O'Sullivan:

Im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit der GIZ untersucht Stephan Bohn am Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) zusammen mit Kolleg*innen, in wie weit sich digitale Tools und Plattformen auf den Regenwaldschutz in Indonesien auswirken.

Stephan Bohn ist Senior Researcher am HIIG und Projektleiter im Bereich Innovation, Entrepreneurship & Gesellschaft. Dort beschäftigt er sich mit den Themen digitales Organisieren, Nachhaltigkeit, Open-Source und Plattformen.

Was hat Indonesien für euch so interessant gemacht?

Einerseits ist Indonesien ein aufstrebendes Land, was unter andern durch den G20- Gipfel letztes Jahr in Bali sichtbar geworden ist. Immerhin ist es das viertgrößte Land der Welt mit rund 17.000 Inseln und ungefähr 280 Millionen Einwohnern. Es ist ein modernes und junges Land. Das zeigt sich auch in der Bildung, Universitäten werden gegründet, das Digitale spielt eine ähnlich große Rolle wie bei uns. Es gibt sehr viele, sehr gut ausgebildete junge Leute, die mit den gleichen Tools arbeiten, mit denen wir arbeiten, und die ähnliche Ideen haben.

Insbesondere befindet sich aber in Indonesien der drittgrößte Regenwald der Welt, nach Brasilien und Kongo. Die Probleme sind allerdings auch ähnlich, Abholzung und landwirtschaftliche Nutzung durch Palmölplantagen. Da ist ja eine der großen Frage, wie kann man die Abhängigkeit von Palmöl reduzieren. Außerdem gibt es sehr viele verheerende Waldbrände. 2015 zum Beispiel ist eine Fläche so groß wie ein mittelgroßes Bundesland abgebrannt.

Diese Situation mit dem digitalen Potenzial zusammenzubringen ist natürlich interessant.

Ja, genau. Das Thema Regenwaldschutz und Digitalisierung ist natürlich nicht neu, aber es bietet das Potenzial ungelöste Fragen auf einer alternativen Art und Weise zu bearbeiten. Zum Beispiel werden Drohnen genutzt, um Saatgut in abgelegenen Regionen auszubringen, schließlich sollen nicht überall Straßen gebaut werden, weil das die Abholzung nur begünstigen würde.

Ein anderer Part sind diverse digitale Plattform die Informationen über den Regenwald sammeln und zusammenbringen. Beispielsweise werden Social Media Posts als Tools zur Früherkennung von Bränden und anderen Problemen genutzt.

Ja, ich kenne das auch aus der Früherkennung von Epidemien zum Beispiel.

Genau. Man bündelt die Posts aus Social-Media-Kanälen, man folgt sozusagen den digitalen Spuren, die wir alle hinterlassen, um zu schauen, wo Probleme entstehen.

Es agieren aber auch internationale Unternehmen im Regenwaldschutz, oder?

Ja, wir haben auch mit Unternehmen gearbeitet die Apps und GPS nutzen, um Produkte wie Soja oder Palmöl zu tracken und zu messen, wie nachhaltig diese tatsächlich produziert werden. Im Idealfall kann man als Konsument oder Unternehmen damit ebenso nachvollziehen, wo ein Produkt genau herkommt, etwa von einer gerodeten Fläche oder aus einem traditionellen Anbaugebiet.

Die Nachvollziehbarkeit ist enorm wichtig nicht zuletzt bezüglich der neuen Lieferketten- und Transparenzgesetze. Und es gibt eine ganze Reihe von Startups und Unternehmen, die da sehr aktiv sind. Hier sieht man, was Digitalisierung als erstes leisten kann: Entwicklungen und Dinge nicht nur messbar, sondern so sichtbar zu machen, dass sie nicht negiert werden können, von keiner Regierung, von keinem Unternehmen. GlobalForestWatch zum Beispiel liefert Karten und Informationen zu den Wäldern der ganzen Erde. Mit einem Klick wird klar, wo überall Wald zerstört wird oder sich verändert – nicht nur im Regenwaldgebiet, sondern natürlich auch in Europa.

Für das Sichtbarmachen braucht es aber auch eine gute Datenbasis. Woher kommen diese Daten?

NASA-Daten zum Beispiel und die Daten der europäischen Raumfahrtorganisation ESA, die regelmäßig Karten aktualisieren. Die Satellitendaten sind mittlerweile so gut, dass man einzelne Bäume sieht… oder eben nicht. Das sind Daten, die für jeden zugänglich sind.

Dieser offene Zugang ist essenziell. Es gibt lokale Projekte, die diese Daten nutzen und mit ihren eigenen lokalen Daten zusammenbringen zum Beispiel zu Waldbränden und der Gesundheit des Waldes. Diese beiden Datenkomponenten zu verbinden, dafür braucht es Akteure vor Ort, Open Data und digitale Tools, die das unterstützen.

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Open Data, der freie Datenzugang, ist ein großes Thema.

Ja, das kann sonst auch zu Problemen führen, wenn Projekten offene Daten verwenden aber der freie Datenzugang später beschränkt wird und damit die Tools nutzlos werden. Offene Satellitendaten werden von vielen genutzt, aber Daten von Vorort sind genauso wichtig und werden nicht unbedingt geteilt. Dafür ist Vernetzung, Kollaborationen und Austausch wichtig.

Ich denke, dass ist noch aus einem anderen Grund wichtig. Wir schauen uns mit RESET ja viele Projekte und Startups an und sehen oft, dass gleiche Ansätze immer wieder neu entwickelt werden. Und ich denke, dass ist oftmals auch ein Ausdruck von fehlender Netzwerkarbeit.

Hubs fehlen leider überall. Das ist nicht nur in Indonesien so, sondern auch in Vietnam und anderen Ländern. Dafür braucht man natürlich langfristige Ressourcen, Vernetzung und Kooperation.

Du hast ja schon seinige Beispiele genannt. Aber gibt es Bereiche, wo viel mehr passiert als in anderen?

Eines der Kernprobleme in Indonesien sind Waldbrände, ein Bereich in dem man leicht etwas tun kann, ohne politisch anzuecken. Um Waldbrände zu verhindern gibt es eine Vielzahl an Ideen zur Früherkennung durch Echtzeit-Daten und durch die Überwachung mit Drohnen. Torfwälder brennen zum Teil auch unterirdisch. Da helfen Drohnen mit sensiblen Messgeräten, die auch unterirdisch Wärme und Feuer erkennen können.

Viele Regenwaldschutzprojekte nutzen bereits Drohnen, um frühzeitig Feuer zu erkennen. Aber es ist nicht so, dass das flächendeckend genutzt wird. Das sind eher einzelne Projekte, insofern gibt es eine Menge Potenzial. Es braucht Piloten die die Drohnen vom Boden aus steuern, es muss Leute geben, die mit den Daten arbeiten können, und auch eine Feuerwehr, die in abgelegenen Gebieten Feuer löschen kann. Ich würde sagen, das ist eines der Themen, die am naheliegendsten sind und wo es eigentlich viele Partner gibt, um das flächendeckend zu implementieren.

Gibt es noch andere Bereiche beim Regenwaldschutz in Indonesien, wo sich viele Projekte angesiedelt haben?

Im Wesentlichen geht es tatsächlich um Monitoring. Die GIS-Daten werden auch für andere Projekte genutzt, für Modellierungen zum Beispiel, bei denen Entwicklungen sichtbar gemacht werden. Wenn der World-Carbon-Market kommt, wird es natürlich noch wichtiger zu messen, wie viel die verschiedenen Regenwaldschutzprojekt tatsächlich an CO2 sparen. Und diese Sichtbarmachung und Messung ist auch eine wichtige Finanzierungsmöglichkeit für die Regenwaldprojekte.

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Digitale Lösungen sorgen hier also für mehr Transparenz?

Ja, genau. Man kann mit Digitalisierung auch viel verstecken, aber man kann auch Transparenz schaffen. Wir haben zum Beispiel einige Partner aus dem Social-Media-Bereich, also Blogger, Journalisten und Journalistinnen, die auf Instagram, Facebook und allen großen Social-Media-Kanälen ihre Themen platzieren. Und das sind auch viele grüne Themen, die eine junge Zielgruppe ansprechen. Auf diesem Weg schafft die Digitalisierung auch eine gewisse Awareness und du kannst Zielgruppen erreichen, die sonst wenig über die Themen Regenwald und Nachhaltigkeit erfahren. In den Mainstream-Medien in Indonesien spielen diese Themen keine große Rolle. Digitalisierung schafft also eine andere Öffentlichkeit und ermöglicht, dass sich unterschiedliche Akteure vernetzen.

Hier gibt es ja auch eine sehr kritische Auseinandersetzung mit sozialen Medien, wo es viel um die Themen „Filterblase“ und Fake News geht, um eine gesellschaftliche Fragmentierung. Und gleichzeitig entstehen daraus ja auch sehr gut vernetzet, internationale Bewegungen, wie zum Beispiel auch Fridays for Future.

Ja, das ist in vielen Ländern ein Thema, aber Social-Media Plattformen bieten eben auch große Vorteile. In Indonesien, wo der Regenwaldschutz zum Beispiel politisch und medial kein großes Thema ist, kann man natürlich durch die Apps und Tools eine eigene Öffentlichkeit schaffen. Das sind sicher ganz ähnliche Mechanismen wie bei der FakeNews Diskussion aber der Background ist ein anderer. Und deswegen ist es auch so schwer, über soziale Medien zu urteilen. Und in Ländern wie Indonesien sieht man, dass damit einiges aufgebrochen werden kann. Ohne Social Media wären ganz viele Entwicklungen nicht möglich, wie zum Beispiel weltweite soziale Bewegungen, die gemeinsam an einem Thema arbeiten. Fridays for Future ist ein Beispiel dafür.

Was sind deine Erfahrungen; wie groß schätzt du das Potenzial digitaler Technologien im Regenwaldschutz ein?

Ich sehe es als eine Komponente von vielen. Natürlich nutzen Projekte zur Brandbekämpfung wenig, wenn gleichzeitig der Wald in anderen Gebieten abgeholzt wird. Das ist insbesondere auch eine politische Entscheidung. Wenn aber der Regenwald stärker geschützt werden soll, dann sind digitale Tools ein wichtiger Schritt, um die Probleme sichtbar zu machen und zur Lösung beizutragen. Keine Regierung der Welt kann mehr sagen, nee, bei uns ist alles in Ordnung, wenn gleichzeitig große Teile des Waldes abgeholzt bzw. gerodet werden. Das wird durch digitale Karten und Daten einfach zu offensichtlich.

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Diese Transparenz ist essentiell, so ähnlich wie mit dem Waldsterben in den 80er in Deutschland. Es muss sichtbar werden, vielleicht fühlbar. Dieser Wald ist so vielfältig und wichtig für uns und er ist atemberaubend schön. Das Sichtbarmachen ist eines der wichtigsten Potenziale. Und das andere ist, wirklich die Vernetzung und Awareness zu schaffen. Wenn man schon kein physisches Hub hat, dann zumindest ein digitales.

Der Impact oder die tatsächliche Wirkung von digitalen Lösungen steht und fällt aber letztlich damit, in was für einen politischen Rahmen das Ganze eingebettet ist, oder?

Richtig. Es gibt einige Grundvoraussetzungen, die gegeben sein müssen. Wir brauchen zum Beispiel offene Daten, die auch langfristig offen sein müssen. Und der weltweite CO2 Markt setzt die Rahmenbedingungen, genau wie Lieferkettengesetze. Das heißt, die Gesetze, die wir hier machen, haben direkte Auswirkungen.

In Deutschland und Europa wird immer weniger CO2 emittiert, in anderen Ländern immer mehr. Aber die Wirtschaftsströme funktionieren ja so, dass viele der Produkte, die in Ländern wie China und Indonesien produziert werden, nach Europa exportiert werden. Das CO2 wird also weiterhin für unsere Art des Lebens emittiert, wenn auch nicht mehr vor unserer Haustür.

Vielen Dank für das Interview, Stephan!

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