Projekt REIF: Künstliche Intelligenz identifiziert Food Waste entlang der Lebensmittelkette

Die Fleischindustrie hat einen großen ökologischen Fußabdruck, das Reduzieren von Food Waste ist hier daher besonders wichtig.

Das Projekt REIF will Food Waste entlang der Lebensmittelkette verringern. Mithilfe Künstlicher Intelligenz sollen Stellschrauben zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung bei der Molke-, Fleisch- und Bäckereiproduktion erkannt werden.

Autor*in Jasmina Schmidt, 03.03.20

Das Problem ist nicht neu: Jedes Jahr werden Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Aktuelle Zahlen dazu stammen aus einer Studie des Thünen-Instituts von 2019, bei der die Lebensmittelabfälle im Jahr 2015 untersucht wurden. In dem Jahr wurden rund zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel vor dem Verzehr entsorgt. Den Löwenanteil haben dabei die Privathaushalte zu verantworten: Mehr als die Hälfte der Lebensmittelabfälle entsteht dort. Kein Wunder also, dass sich viele Bemühungen zur Verringerung von Food Waste auf die Verbraucher*innen fokussieren. Initiativen wie „Zu gut für die Tonne“ , die Plattform Foodsharing oder die Gemüsekiste Etepetete richten sich an alle, die sich für das Thema interessieren und aktiv werden wollen.

In der oben genannten Studie wurde jedoch zum ersten Mal auch erfasst, wieviel Abfall in der Produktion und Verarbeitung der Lebensmittel anfällt. Die Studie nimmt also die komplette Lebensmittelkette bis hin zu den Verbraucher*innen in den Blick. Dabei wurde sichtbar, dass in der Lebensmittelproduktion und -verarbeitung alleine 30 Prozent der Verluste anfallen – eine wichtige Erkenntnis, um auch in diesen Bereichen die Verschwendung zu reduzieren. Doch wie kann man hier ansetzen?

Stellschrauben für die Reduzierung von Food Waste

Anfang Februar dieses Jahres wurde das Projekt REIF (Resource-efficient, Economic and Intelligent Foodchain) gestartet, das mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz die Lebensmittelverschwendung in der Lebensmittelindustrie verringern soll. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) mit zehn Millionen Euro über drei Jahre gefördert. Umgesetzt wird das Projekt von 18 Partnern aus Forschung, Technik, IT, Lebensmittel-verarbeitender Wirtschaft, Handel sowie zwölf weiteren assoziierten Partnern.

Die Gründe für Lebensmittelverluste in den Bereichen der Lebensmittelproduktion und -verarbeitung sind zahlreich. So bleibt beispielsweise die Nachfrage für ein Produkt nicht stabil, sondern schwankt. Im Normalfall produzieren die Hersteller daher lieber mehr und vernichten die Überproduktion, statt sich dem Risiko auszusetzen, bei steigender Nachfrage nicht lieferfähig zu sein. Ein anderer Aspekt sind Qualitätsschwankungen, vor allem in Verbindung mit starren Verarbeitungsprozessen. Die berüchtigte Regelung zum „Krümmungsgrad“ von Gurken gibt es zwar schon seit über zehn Jahren nicht mehr, aber sie steht sehr bezeichnend für unseren Umgang mit „hässlichem“ Gemüse. Je mehr das Obst und Gemüse gewissen Normen entspricht, desto eher passt es außerdem in eine Kiste und desto einfacher kann es verpackt und transportiert werden. Auch im Supermarkt bleiben die nicht so schönen Exemplare oft liegen. Somit werden viele Lebensmittel schon von vornherein aussortiert und gar nicht erst verarbeitet. Außerdem geht in dem komplexen Netzwerk der Lieferkette oftmals der Überblick verloren. Da in der  Lebensmittelindustrie jedoch überdurchschnittlich viele Daten generiert werden, eignet sie sich laut den Initiatoren des REIF-Projekts sehr für die Verbesserung ihrer Prozesse durch KI-Anwendungen.

Im Projekt REIF sollen drei Wertschöpfungsnetzwerke näher betrachtet werden: die von Molkerei, Fleisch und Backwaren. Zum einen sind diese Lebensmittel schnell verderblich, weshalb insbesondere hier viel Food Waste entsteht. Außerdem haben vor allem Molkerei- und Fleischprodukte einen sehr großen und damit schädlichen ökologischen Fußabdruck – von den ethischen Fragen einmal ganz abgesehen. Daher sind Verluste in diesen Bereichen besonders problematisch.

Das REIF-Projekt besteht aus acht Teilprojekten, die sich mit den unterschiedlichen Prozessen in der Liefer- und Wertschöpfungskette der Lebensmittelindustrie auseinandersetzen und sich alle aus den Potenzialen von Maschinellem Lernen speisen. Ziel des ersten Teilprojekts ist der Aufbau eines KI-Systems, mit dem der Austausch und die Transparenz zwischen den verschiedenen Akteuren in der Lebensmittelindustrie erhöht wird. Im zweiten Teilprojekt soll durch die KI und die gesammelten Informationen ein Prognoseverfahren entwickelt werden, das den Handel und die Endverbraucher*innen miteinbezieht und wodurch Angebot und Nachfrage besser bestimmt werden sollen. Beschaffungs- und Verkaufsstrategien sollen damit so ausgerichtet werden, dass die Lebensmittelverluste minimal gehalten werden. Diese Ergebnisse werden dann für das Teilprojekt 3 verwendet und zurück an die Akteure der Wertschöpfungskette gespielt. Ähnlich sieht es auch für die anderen Teilprojekte aus. Hier werden die Produktionssysteme von Molkerei, Fleischindustrie und Backwaren beleuchtet und mit den Erkenntnissen aus Teilprojekt 2 rückgekoppelt. KI-Anwendungen sollen bei einer intelligenten Prozesssteuerung unterstützen und somit Lebensmittelverluste reduzieren.

Das ambitionierte Ziel des REIF-Projektes ist es, mithilfe von KI in den drei Bereichen die Lebensmittelverluste um bis zu 90 Prozent zu reduzieren. Somit könnte das Projekt einen wichtigen Beitrag zur Verringerung von Food Waste beitragen. Allerdings werden Problematiken in der Molkerei- und Fleischindustrie, wie schlechte Tierhaltung und daraus folgende hohe Sterblichkeitsraten, nicht miteinbezogen. So liegt z.B. der „Verlust“ bei Masthähnchen laut Thünen-Institut zwischen drei und vier Prozent. Das bedeutet, dass drei bis vier Prozent der Tiere das Schlachtalter von durchschnittlich 35 Tagen erst gar nicht erreichen – und somit  nicht in der Statistik über „Abfallmengen“ auftauchen. Mehr Informationen über Nachfrage-Dynamiken und eine bessere Vernetzung der verschieden Akteure in der Lebensmittelindustrie sind also ein guter Schritt, können aber letztendlich nur ein Teil zur Lösung des Problems sein.

Wie kann KI im Umwelt- und Klimaschutz wirkungsvoll eingesetzt werden? Welche spannenden Projekte gibt es? Was sind die sozial-ökologischen Risiken der Technologie und wie sehen Löungen aus? Antworten und konkrete Handlungsempfehlungen geben wir in unserem Greenbook(1) „KI und Nachhaltigkeit – Können wir mit Rechenleistung den Planeten retten?“.

Dieser Artikel ist Teil des Dosssiers „Künstliche Intelligenz – Können wir mit Rechenleistung unseren Planeten retten?“. Alle Artikel des Dossiers findest du hier: Dossier KI

Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers über zwei Jahre zum Thema „Chancen und Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung“ erstellen.


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