PrioBike: Mit dieser App haben Radfahrende eine Grüne Welle

Mit der App PrioBike können Radfahrende ihre Geschwindigkeit den Ampelschaltungen anpassen.

Ohne rote Ampeln durch die Stadt radeln? Klingt super - und ist auch bald möglich. Wir sprachen mit Teilprojektleiter Sven Fröhlich über PrioBike und digitale Tools für einen verbesserten Radverkehr.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 16.02.22

Übersetzung Mark Newton:

Wer sich viel mit dem Rad durch die Stadt bewegt, kennt das gut: auf rote Ampel folgt rote Ampel folgt rote Ampel. Das Stop-and-Go für Radfahrende hat vor allem damit zu tun, dass die gesamte städtische Infrastruktur auf den Autoverkehr ausgelegt ist – und eben auch die Ampelschaltungen.

Doch es gibt Lösungen für das Problem. Eine davon wird gerade im Projekt PrioBike entwickelt, das im Rahmen des Fördervorhabens Digitalisierung kommunaler Verkehrssysteme vom BMVI gefördert wird.

Diplom-Ingenieur Sven Fröhlich leitet das Projekt PrioBike an der TU Dresden. Er ist selbst passionierter Radfahrer und legt in der Stadt praktisch jeden Weg mit dem Rad zurück, egal bei welchem Wetter.

Wie ist das Projekt entstanden?

An der Fakultät Verkehrswissenschaften der TU Dresden haben wir in einem Projekt mit einem Automobilhersteller mal Grünzeitprognosen für Lichtsignalanlagen entwickelt. Beim Radfahren kam dann der Wunsch auf, diese Prognose darauf anzuwenden, um mit der richtigen Geschwindigkeit zu fahren und bei Grün an der Ampel anzukommen. Schon war die Idee geboren. Wir haben zunächst in Dresden damit angefangen, die App BikeNow zu entwickeln. Ein funktionierender Prototyp war gerade fertig und wir wollten in die Testphase gehen, als uns die zuständige Stelle in der Stadtverwaltung mitgeteilt hat, dass wir die für die App benötigten Daten nicht mehr nutzen dürfen. Durch einen glücklichen Zufall hatten wir in dieser Zeit gerade Kontakt mit dem LSBG (Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer) in Hamburg. Hamburg ist sehr progressiv und transparent, was die Bereitstellung offener Daten, die Schaffung von Infrastruktur für die Bereitstellung offener Daten und Innovationen im Verkehr angeht. Wir waren schnell der Überzeugung, ein gemeinsames Projekt machen zu wollen.

Warum braucht es eine App wie PrioBike?

Die App soll es Radfahrenden erleichtern, in einem für Autos optimierten Verkehrssystem besser voran zu kommen. Sie erzeugt in gewisser Weise eine “Pseudo-Grüne-Welle“: Wenn sich die Radfahrenden mit Hilfe der Geschwindigkeitsempfehlungen an die Ampelschaltungen für den motorisierten Individualverkehr (MIV) anpassen, haben sie in gewissen Grenzen auch eine Art Grüne Welle.

Das Ziel von PrioBike-HH ist die Beschleunigung des Radverkehrs, das Reduzieren von Wartezeiten, eine intelligente Informationsweitergabe und die Erhöhung der Sicherheit im Radverkehr. Die App ist dabei nur eine, wenn auch wichtige, Komponente.

Wie genau funktioniert die App?

Die PrioBike-App soll die Radfahrenden mit Informationen unterstützen, ihr Ziel schneller oder komfortabler zu erreichen. Im Fokus steht dabei eine Geschwindigkeitsempfehlung, bei deren Einhalten man bei Grün an der nächsten Ampel ankommt. Wenn man eher sportlich unterwegs ist, fährt man etwas schneller und bekommt das Grün noch. Wenn man gemütlich fährt, kommt man dann an der Ampel an, wenn die Rotphase gerade zu Ende ist und die Ampel auf Grün schaltet. Normalerweise sollte eine passende Grünphase aber mit einer moderaten Geschwindigkeitsanpassung erreicht werden. Die vorgeschlagene Maximalgeschwindigkeit lässt sich einstellen.

Außerdem soll es ein Routing geben, welches neben der kürzesten und der schnellsten Strecke beispielsweise auch noch ‚attraktive‘ oder sichere Strecken anbieten kann. Da besteht allerdings noch etwas Forschungsbedarf, da einige dieser Kriterien sehr subjektiv sind und dafür zunächst eine Datengrundlage geschaffen werden muss.

Dazu haben wir im Backend Daten, die uns sagen, wie die Ampeln geschaltet haben. Daraus generieren wir Prognosen, wie die Ampeln schalten werden, denn wann und wie eine Ampel schaltet ist nicht immer gleich. Fast alle Ampeln schalten verkehrsabhängig, das heißt, sie passen sich an die Verkehrslage an. So kommt es vor, dass eine Richtung mal etwas länger grün bekommt, wenn von dort viele Fahrzeuge kommen. Auch der ÖPNV hat großen Einfluss auf die Ampelschaltung. Busse und Bahnen werden an Kreuzungen oft bevorzugt, was die Ampelschaltung mitunter sehr dynamisch werden lässt. Kombiniert man unsere Grünzeitprognosen mit der Position, der Fahrtrichtung und der Geschwindigkeit der Radfahrenden, die mit ihren Smartphones erfasst werden, kann man eine Geschwindigkeitsempfehlung berechnen und anzeigen.

Wann kann ich mir die App runterladen?

Gerade sind wir in der Test- und Entwicklungsphase. Erste eigene Tests in Hamburg konnten wir erfolgreich abschließen. Im Sommer 2022 wollen wir mit einem großen Nutzertest beginnen, der zunächst mit einer geschlossenen Nutzergruppe stattfinden wird. Das macht es einfacher, Feedback zu sammeln und die Verbesserungen in die App zu integrieren. Ab Sommer 2023 soll die App dann zum freien Download zur Verfügung stehen.

Meine Geschwindigkeit an Ampelphasen anzupassen ist ja nur eine Möglichkeit, Radfahrende mithilfe digitaler Tools zu unterstützen. Es gibt aber noch mehr Möglichkeiten, oder?

Das stimmt, die App ermöglicht es, das Radfahren attraktiver zu machen, ohne dass dafür Veränderungen der Infrastruktur nötig sind. Das hilft den Radfahrenden, besser im bestehenden System voranzukommen. Ich sehe das als einen ersten Schritt auf dem Weg zur Verbesserung des urbanen Radverkehrs. Wirkungsvoller wäre natürlich, die Infrastruktur für Radfahrende zu verbessern. Das sind zum einen die Radwege, bei denen noch viel Potenzial besteht, woran verschiedene Kommunen auch kontinuierlich arbeiten. Aber auch die Ampelschaltungen können besser auf die Radfahrenden angepasst werden. Echte Grüne Wellen sind meist auf den MIV ausgelegt, das bringt den Radfahrenden in der Regel nicht viel, da sich die Geschwindigkeiten zwischen MIV und Radverkehr zu stark unterscheiden. Aber auch dieser Punkt wird in PrioBike aktiv in den Fokus genommen.

Im Rahmen des Projektes soll es Strecken mit Grünen Wellen geben, die auf die Geschwindigkeit von Radfahrenden angepasst sind. Auf einem Korridor soll auch eine ‚multimodale Grüne Welle‘ erprobt werden. Dort bekommt dann dynamisch der Verkehrsträger mit dem höchsten Verkehrsanteil die Grüne Welle, also entweder der MIV oder die Radfahrenden.

Dazu braucht es aber eine Menge an Daten, oder?

Ja, aber in den letzten Jahren sind auch viele Tools zur Erhebung und Auswertung von Radverkehrsdaten geschaffen worden, die einen wertvollen Beitrag zur Bewertung und Planung der Radverkehrinfrastukur leisten können. Auch mit der PrioBike-App sollen DSGVO-konform Floating-Bike-Data erhoben werden, die dieses Vorgehen weiter unterstützen.

Doch trotz aller digitaler Tools zur Unterstützung Radfahrender hat die Politik den größten Einfluss auf die Verbesserung des Radverkehrs und trifft die Entscheidungen. Der Verkehrsraum an sich und die Ressourcen (Platz, finanzielle Mittel) für dessen Aus- und Umbau sind begrenzt, hier erfolgt immer eine Priorisierung – bisher oft zugunsten des MIV.

Was sind die größten Hürden, die PrioBike, aber auch anderen Ansätzen in den Weg gestellt werden?

Gerade im Bereich Verkehr ist man oft auf eine gute Zusammenarbeit mit Verwaltung und Behörden angewiesen. Wenn man von den Menschen, die dort an den entsprechenden Stellen arbeiten, keine Unterstützung bekommt, kann es schwer oder unmöglich sein, neue Ideen auszuprobieren oder neue Ansätze zu entwickeln.

Auch ist es manchmal schwer, an die notwendigen Daten zu kommen. Manchmal wissen Behörden und Verwaltung nicht einmal, welche Daten sie überhaupt haben. Es kommt vor, dass die Daten verstreut in verschiedenen Systemen vorliegen oder unzugänglich in Datensilos weggeschlossen sind – oder schlicht nur in Papierform existieren.

Wie lassen sich diese Hürden am besten überwinden?

Hier hilft es, wenn in Behörden/Verwaltung motivierte und technisch versierte Mitarbeiter*innen da sind, die selbst Lust auf Entwicklung und Fortschritt haben und über das dafür nötige Zeitbudget verfügen. In unserer Zusammenarbeit mit der Stadt Hamburg haben wir da sehr gute Erfahrungen gesammelt.

Was sagst du, wie sieht urbane Mobilität in 20 Jahren aus?

In der wenig optimistischen Vorstellung hat sich die Mobilität nur technisch verändert: Die meisten Fahrzeuge sind elektrisch angetrieben, kommunizieren miteinander und mit der Infrastruktur und fahren zum Teil vielleicht sogar schon autonom. Das alleine ändert aber noch nichts am Verkehrsaufkommen, der Lebensqualität und der Flächennutzung in den urbanen Räumen.

In der optimistischen Vorstellung hat es neben den technischen Fortschritten auch Entwicklungen in der Gesellschaft und der Stadtplanung gegeben. Dann gibt es vielleicht Bereiche, in denen der Autoverkehr nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Das könnte möglich werden, wenn sich Ideen und Konzepte, wie sie zum Beispiel in Paris („15-Minuten-Stadt“, Anne Hidalgo), Barcelona (Superilles) und Berlin (Kiezblocks) gedacht und zum Teil schon realisiert werden, als gut und machbar erweisen. Die meisten Mobilitätsbedürfnisse können dann im urbanen Raum zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV erfüllt werden. Falls man dann doch mal ein Auto braucht, stehen unkompliziert Leihfahrzeuge zur Verfügung. Unterstützt wird das alles durch Services, die sehr niederschwellig nutzbar sind und die über eine einfache und transparente Tarifgestaltung verfügen – alles natürlich datenschutzkonform!

Vielen Dank für das Interview!

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