Etwa ein Viertel des weltweiten Stroms stammt heute aus erneuerbaren Energiequellen. Und obwohl die Implementierung erneuerbarer Energien noch stärker vorangetrieben werden muss, wenn wir die globalen Klimaziele erreichen wollen, wächst das Angebot schneller als erwartet. Dies kann auf mehrere Faktoren zurückgeführt werden: die sinkenden Kosten für die Technologien der erneuerbaren Energien, insbesondere bei Solarenergie, aber auch die steigende Zahl von Menschen, die zu „Prosumern“ werden, also Verbraucher*innen, die ihre Energie selbst erzeugen, zum Beispiel mit selbst installierten Solaranlagen auf Dächern und Balkonen oder durch den Anschluss an lokale dezentrale Microgrids in der Nachbarschaft. Solche Technologien versprechen viele finanzielle und soziale Vorteile für Menschen, die ihre Energieversorgung selbst in die Hand nehmen wollen. Mit der wachsenden Verbreitung der erneuerbaren Energien wird aber auch die Frage immer wichtiger: Wie kann ein komplexer, globaler Markt für erneuerbare Energien in der Praxis aussehen und was hält unsere Welt davon ab, auf 100 Prozent erneuerbare Energien umzusteigen? Ist es der Mangel an erneuerbaren Energien selbst oder mangelt es an der nötigen Nachfrage? Brauchen wir also mehr Windparks oder müssen wir mehr Verbraucher*innen zum Kauf von Windenergie bewegen? Als größtes Problem bei der vollständigen Umstellung auf erneuerbare Energien könnte sich tatsächlich das erweisen, was zwischen diesen beiden Faktoren passiert.
Denn die Revolution der grünen Energie muss mit den bestehenden Richtlinien und Infrastrukturen zusammenarbeiten, mit Systemen, die seit der industriellen Revolution für fossile Brennstoffe optimiert wurden. Bis dato waren fossile Brennstoffe leicht zu bewerten und zu handeln, weil ihre Produktion kontrolliert wird. Erneuerbare Energien hingegen sind unberechenbarer, denn man kann zwar einen Windpark an einer Küste bauen, es gibt jedoch keine Möglichkeit, den Wind dort zu planen. Für Anbietende und Nachfragende dieser Energien können diese Schwankungen im Angebot – und im Wert – zu Problemen führen.
Das Projekt PowerTAC versucht, diese Probleme mit Künstlicher Intelligenz zu lösen. Die Open-Source-Plattform, die an die Universität Köln angeschlossen ist, nutzt digitale „Agenten“, um hypothetische Szenarien zu konstruieren und sich jede mögliche Art und Weise vorzustellen, in der Anbietende und Nachfragende im Kontext eines schwankenden Energiemarktes miteinander interagieren könnten. Das Ziel der Plattform? Auf Grundlage der Erkenntnisse, die durch die Plattform gewonnen werden, sollen politische Entscheidungsträger*innen und Akteure der Industrie das notwendige Verständnis erlangen, um die Implementierung von grünen Energiesystemen auf der ganzen Welt zu ermöglichen. Einer der Gründer von PowerTAC, Wolfgang Ketter, sagte im Rahmen eines Ted-Talks: „Wir müssen nachhaltige Energie auf nachhaltige Weise einführen“.
Ketter gründete das Projekt 2009 zusammen mit John Collins, nachdem er eine Keynote-Rede zum Potenzial zukünftiger Energiesysteme gehalten hatte, die durch KI-Software und maschinelles Lernen ermöglicht werden sollen. Sein Vortrag weckte das Interesse von Vertreter*innen der Bundesregierung, die ihn ermutigten, seine Ideen weiterzuentwickeln. Ein Jahrzehnt später ist PowerTAC das größte Open-Source-Smart-Grid-Projekt der Welt. „Ziemlich erstaunlich, wenn man bedenkt, dass ich 2009 mit meinem Freund in einem Biergarten saß und meine Ideen auf eine Serviette schrieb“, lacht Ketter.
Die Software wurde seither über 10.000 Mal heruntergeladen, von Startups bis hin zu Doktoranden. Das Projekt steht außerdem in Verbindung mit zahlreichen Bundes- und Bildungseinrichtungen und bietet „ein wertvolles Lehrmittel für Gruppen, die sich mit der Ökonomie der nachhaltigen Energie beschäftigen“. Seit 2012 hat PowerTAC acht Wettbewerbe und Workshops zu Themen wie „Policy, Awareness, Sustainability and Systems“ veranstaltet, zu denen politische Entscheidungsträger*innen, Technik-Innovator*innen, Verhaltensforschenden und Wirtschaftsakteuren einladen. Übrigens steht das „TAC“ in PowerTAC für „Trading Agent Competition“. Sinn und Zweck dieser Wettbewerbe ist es, dass alle an einem Strang ziehen, „KI für das soziale Wohl einzusetzen“.
Wie funktioniert die Plattform?
Die Software selbst ist eine Wettbewerbssimulation, die die Interaktionen von Energielieferant*innen und Verbraucher*innen nachahmt und so potenzielle Möglichkeiten für Ausgleich und Regulierung bietet. Die Untersuchung dieses Marktverhaltens zeigt dann auf, wo eine stärkere Regulierung erforderlich ist, um das System vor Ausschöpfung zu schützen. Da die Plattform sowohl flexibel als auch modular gestaltet ist (außerhalb des Simulationskerns), ist sie gut geeignet, neue Mitwirkende einzubeziehen. Außerdem können neue Entwickler*innen unabhängig von früheren Erfahrungswerten dort einen Beitrag leisten.
Ketter erklärte gegenüber RESET, dass PowerTAC in zwei Modi funktioniert: im Turniermodus, in dem spezifische Regeln und Vorschriften gelten, und im Forschungsmodus, der besser anpassbar ist und daher zur schnelleren Schaffung hypothetischer Umgebungen – wie zum Beispiel einem Schneesturm – verwendet werden kann. „Es gibt kein anderes Instrument weltweit, das dies ermöglicht“, so Ketter. Der Turniermodus der Plattform basiert auf den Erfahrungswerten, die PowerTAC seit 2012 bei der weltweiten Ausrichtung von Turnieren erzielt hat; es handelt sich dabei um Veranstaltungen, die darauf ausgerichtet sind, die PowerTAC-Community ebenso zu fördern wie die Software selbst. Ketter ist von diesem Aspekt des Projekts begeistert und betont, dass alle Interessierten zu diesen Turnieren willkommen sind, nicht nur Software-Entwickler*innen.
Wie wird KI eingesetzt, um hypothetische Situationen zu entwerfen?
PowerTAC verwendet, einfach ausgedrückt, eine Reihe von Algorithmen, um die Möglichkeiten von Angebot und Nachfrage innerhalb der nachhaltigen Energiewirtschaft abzubilden: So können beispielsweise dieselben genetischen Algorithmen, die im Bereich des Evolutionary Computing verwendet werden, dazu eingesetzt werden, um die Art und Weise zu simulieren, wie Marktteilnehmende handeln, Partnerschaften eingehen und Erfolg (oder Misserfolg) erzielen. Die Bewertung der Benutzerfreundlichkeit jedes dieser Algorithmen gegenüber seiner Genauigkeit ist ein wichtiger Bestandteil, um diese Prozesse effizient zu gestalten: Je nach dem, was erreicht werden soll, kann PowerTAC Lerntechniken aus dem Q-Learning, von Neuronalen Netzen oder aus dem Deep Reinforcement Learning verwenden.
Die Plattform ist also in der Lage, Optionen zu untersuchen und zu testen, die theoretisch wünschenswert sind, ohne dabei die Energiemärkte in der Praxis zu stören. Ketter verweist dazu auf einen Artikel mit dem Titel „Agents of Change“ aus The Economist von 2010, in dem behauptet wird, dass Krisen wie die Energiekrise in Kalifornien im Jahr 2001 und vielleicht sogar der Finanzcrash von 2008 hätten vermieden werden können, wenn damals eine agentenbasierte Simulation wie PowerTAC eingesetzt worden wäre. Solche Systemfehler waren infolge von Schwachstellen entstanden, die dann zum Nachteil des Gesamtsystems ausgenutzt wurden.
Es gibt aber noch Herausforderungen für das Projekt, beispielsweise die Frage, wie der Zugang für Benutzende, denen das Know-how von Software-Entwickler*innen fehlt, erleichtert werden kann. Das Projekt beschäftigt derzeit nur eine Handvoll Mitarbeiter*innen, um das Problem der Zugänglichkeit anzugehen, grundsätzlich werden aber noch weitere Kapazitäten benötigt, um die Vorteile der Plattform effektiv nutzbar machen zu können. Ketter ist auf der Suche nach weiteren Studierenden, die sich in den kommenden Jahren speziell dafür engagieren und hofft dabei auf Unterstützung durch künftige Universitätspartnerschaften im Rahmen des Erasmus-Programms.
Tatsächlich hat das Projekt auch für die Bildung im Energiesektor weitergehende Auswirkungen. Beispielsweise nutzten Studierende die Plattform bereits, um neue Geschäftsmodelle zu erforschen und um Kooperativen für erneuerbare Energien in Afrika aufzubauen. Die Plattform investiert auch in Partnerschaften mit einer Reihe von Universitäten, deren Studierende auf verschiedene Weise zur Software beitragen: Windenergieparks und Wohnszenarien sind nur zwei von 180 verschiedenen der bereits existierenden Modelle. Aufgrund des enormen Umfangs der Anwendungsfälle und der ihr eigenen Flexibilität ist die Plattform ein Werkzeug, das sich dafür eignet, erfinderische und skalierbare Lösungen zu entdecken, erkunden und mit ihnen zu experimentieren. Wie Wolf selbst beobachtet, ist „Power TAC sowohl ein Werkzeug der Inspiration als auch der Innovation“.
Power TAC entwickelt sich ständig als Projekt und als Community weiter. Im Laufe dieses Jahres sollen neue Forschungsinstrumente eingeführt werden, um Studien, die auf Grundlage der Plattform durchgeführt werden, zu erleichtern. Darüber hinaus ist eine dritte Auflage des Workshops „Policy, Awareness, Sustainability and Systems“ (PASS) geplant.
Dieser Artikel wurde von Lydia Skrabania aus dem Englischen übersetzt.
Wie kann KI im Umwelt- und Klimaschutz wirkungsvoll eingesetzt werden? Welche spannenden Projekte gibt es? Was sind die sozial-ökologischen Risiken der Technologie und wie sehen Löungen aus? Antworten und konkrete Handlungsempfehlungen geben wir in unserem Greenbook(1) „KI und Nachhaltigkeit – Können wir mit Rechenleistung den Planeten retten?“.
Dieser Artikel ist Teil des Dosssiers „Künstliche Intelligenz – Können wir mit Rechenleistung unseren Planeten retten?“. Alle Artikel des Dossiers findest du hier: Dossier KI
Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers über zwei Jahre zum Thema „Chancen und Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung“ erstellen.
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