Traditionell sind für unsere Energieversorgung zwei Hauptakteure verantwortlich: Entweder staatliche bzw. städtische Energieversorger oder private Unternehmen. Beide haben eher eine nationale Perspektive auf die Energieerzeugung und insbesondere dem privaten Sektor geht es hauptsächlich darum, Energie profitabel zu machen. CO2-arme Alternativen zu entwickeln ist unter diesen Bedingungen nicht unbedingt attraktiv, entweder, weil Bedenken bei der erneuerbaren Energieerzeugung – zumindest im Vergleich zu älteren, schmutzigeren Quellen – oder weil, zumindest kurzfristig gedacht, wirtschaftliche Gründe im Vordergrund stehen.
Bürgertechnologien, oder auch Civic Tech genannt, haben jedoch das Potenzial, die Energieerzeugung radikal zu verändern. Und wenn kleine Genossenschaften und Initiativen ihre eigene Energie gewinnen und mit der Versorgung stärker auf die lokalen Bedürfnisse und Anforderungen eingehen, kann das als eine dritte „institutionelle Welt“ gesehen werden, wie auch die Autor*innen des britischen Forschungspapiers Realising Transition Pathways erläutern: „Die Zivilgesellschaft ist in der Lage, Güter und Dienstleistungen in einer Weise bereitzustellen, die den Anspruch erhebt, sowohl die Bürokratie als auch die Ideologien staatlicher Formen der Wohlfahrts- und Dienstleistungserbringung zu überwinden und die Amoralität reiner Marktansätze zu mildern.“
Natürlich ist es nicht immer einfach, Haushalte zu ermutigen, Sonnenkollektoren auf ihren Dächern anzubringen. Ein wichtiger Aspekt zivilgesellschaftlicher Energiekonzepte ist daher, diese Bemühungen in kooperativen Netzwerken und Infrastrukturen zu bündeln. Dazu benötigen die Gemeinschaftsprojekte jedoch oft spezifische Informationen, die bisher vor allem den größeren Energieunternehmen und manchmal auch staatlichen Institutionen zugänglich sind. Verschiedene Civic-Tech-Anwendungen machen solche wertvollen Informationen jedoch leichter auffindbar und verständlich.
Mithilfe von Satellitenbildern, künstlicher Intelligenz und Bilderkennung können sich mittlerweile jedoch auch Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft Regionen aus der Vogelperspektive erschließen – und die daraus entstandenen Karten über Open-Source-Plattformen verbreiten. Auf Basis dieser Informationen können dann gute Standorte für Solaranlagen oder kleinere Windparks ermittelt werden, aber auch für andere infrastrukturelle Vorhaben. Village Data Analytics etwa kombiniert Informationen aus verschiedenen Quellen zu leicht verständlichen Karten, um Informationen für Mini-Netze und andere Elektrifizierungsprojekte im globalen Süden bereitzustellen.
Projekte wie Open Climate Fix stellen dagegen eine „Nowcasting“-Technologie bereit, die die wahrscheinliche Bewölkung über einem Gebiet in den nächsten Stunden vorhersagen kann. Für den Ausbau der Solarenergie sind diese Informationen von unschätzbarem Wert, da Wolken den Stromertrag beeinflussen. Eigentlich wurde der Algorithmus entwickelt, um Gasturbinen nicht in ständiger Bereitschaft halten zu müssen. Die Informationen können aber auch kommunalen Stromerzeugungsprojekten Prognosen darüber erstellen, wie viel Strom sie in naher Zukunft erzeugen werden.
Früher wären solche Informationen nur schwer zu finden gewesen, aber heute können sie auf Plattformen wie OpenStreetMaps offen zugänglich gemacht werden. „Die Solarprognosen von Open Climate Fix werden dazu beitragen, ein lokales Energiesystem, das auf einer Mischung aus Solarenergie, Batteriespeichern und Netzanbindung basiert, effizienter zu betreiben“, erklärt Flo Wirtz, Mitbegründer von Open Climate Fix, gegenüber RESET. „Indem das System im Voraus weiß, wann die Sonne scheinen wird, kann es entscheiden, wann die Batterie geladen oder entladen wird – oder sogar, wann Geräte ausgeschaltet werden.“
Lokale Energieversorgung ist eine nachhaltige Wahl
Kümmern sich lokale Gemeinschaften selbst um ihre Energieversorgung, hat das gegenüber der herkömmlichen Stromerzeugung aus zum Beispiel Kohlekraftwerken einige Vorteile. Herkömmliche Kraftwerke sind oft extrem zentralisiert, was ihre ohnehin schon ineffiziente Natur noch verstärkt. Die Energie wird über Hochspannungsleitungen quer durch das Land transportiert, wobei ein Teil der Energie verloren geht. Außerdem muss sie auf eine Verteilungsspannung „heruntergestuft“ werden, bevor sie genutzt werden kann. Damit geht Strom „verloren“ und es werden Anlagen benötigt, die mit Schwefelhexafluorid, einem starken Treibhausgas, isoliert sind.
Wird die Energie jedoch dort erzeugt, wo sie auch verbraucht wird, ist das viel effizienter. Es wird weniger Land für Übertragungsleitungen oder Umspannwerke benötigt, und die Energie wird nur auf die lokale und nicht auf die nationale Nachfrage abgestimmt. Lokale Initiativen sind auch effektiver bei der Steuerung der Nachfrage und bei der Einführung von Programmen zur Steigerung der Energieeffizienz von Häusern und anderen Gebäuden.
Dazu kommt, dass Gebiete, die von den großen Energieversorgern bereits unterversorgt sind, mit günstigerer erneuerbarer Energie versorgt werden können, wenn Bürger*innen selbst die Energiewende in die Hand nehmen, ist die Möglichkeit. In New York zum Beispiel haben lokale Initiativen Solarpaneele auf Gebäuden in traditionell marginalisierten Stadtteilen angebracht, um günstigeren Strom zu erzeugen.
Inzwischen gibt es auch eine Fülle von Online-Ressourcen, die Einzelpersonen dabei helfen, sich an Gemeinschaftsprojekten zu beteiligen oder eigene Projekte zu gründen. Eine dieser Plattformen im Vereinigten Königreich, Community Energy England, enthält umfangreiche Informationen über die ersten Schritte sowie über Finanzierungsquellen – was oft von zentraler Bedeutung ist. Im Allgemeinen sind die meisten genossenschaftlichen Bemühungen weitgehend von lokalen Investor*innen abhängig, die das Startkapital aufbringen. Da jedoch immer mehr Staaten und Städte Zusagen zum Klimaschutz und zur Dekarbonisierung machen, werden verschiedene Zuschüsse und Fonds für solche Gemeinschaftsprojekte zur Verfügung gestellt – auch wenn natürlich noch viel mehr getan werden muss, um tatsächlich die Energiewende „von unten“ voranzutreiben.
Der Artikel ist Teil des Dosssiers „Civic Tech – Wege aus der Klimakrise mit digitalem bürgerschaftlichen Engagement“. Alle Artikel des Dossiers findest du hier: Dossier Civic Tech
Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers über zwei Jahre zum Thema „Chancen und Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung“ erstellen.
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