Armut ist nicht gleich Armut, es gibt sie in vielen Ausprägungen und spiegelt sich nicht nur im Einkommen wider, sondern auch in einem Mangel an Essen und Trinkwasser, bis zu einem fehlenden Zugang zu Bildung oder Elektrizität. Die in Paraguay entwickelte Smartphone- und PC-App Poverty Stoplight hilft Familien, ihren Grad an Armut zu erfassen und geeignete Strategien zu finden, um dagegen effektiv etwas zu tun.
Anhand von 50 Indikatoren analysierte die App das Armutsniveau einer Familie; das Survey-Tool erfragt dies innerhalb von sechs unterschiedlichen Dimensionen, unter anderem Einkommen, Gesundheit und Umwelt, Infrastruktur, Bildung und Teilhabe. Hat die Familie beispielsweise regelmäßig Zugang zu sauberem Trinkwasser? Oder gibt es lediglich einen Brunnen in der Gemeinde, bei dem die Wassersicherheit nicht gewährleistet ist? Die Ergebnisse werden in der Auswertung visualisiert dargestellt – wie bei einer Ampel (englisch: Stoplight) werden die Farben Rot, Gelb und Grün genutzt, um die spezifische Situation der Familie zu veranschaulichen. Durch die Aufschlüsselung in verschiedene Dimensionen soll ermöglicht werden, die genauen Ursachen und Ausprägungen von Armut zu ermitteln – um konkrete Schritte dagegen unternehmen zu können.
In der Regel wird die Erhebung von Familien gemeinsam mit NGOs und humanitären Helfern durchgeführt. Hinter dem Ansatz der App steht die Überzeugung, dass bei der Bekämpfung von Armut nicht verallgemeinert werden kann: „Armut kann nicht anhand einzelner Individuen gemessen werden“, so der Gründer von Poverty Stoplight, Martín Burt gegenüber Devex. „Menschen sind immer durch einen Haushalt oder eine Familie verbunden.“
Nach Abschluss der Befragung stellen die Familien gemeinsam mit den Organisationen einen Prioritätenplan auf – je nachdem, welche Bereiche laut App überwiegend rot oder gelb gefärbt sind und welche Probleme demnach die drängendsten sind. Diese Fokussierung auf die spezifische Situation der Familien soll ein besseres Verständis der Armut und dessen, was dagegen getan werden kann, ermöglichen – nicht nur für die Hilfsorganisationen, sondern auch für die Familien selbst. Die Bedürfnisse von Gemeinden können so wortwörtlich kartographiert und damit eine effektive Nutzung vorhandener Ressourcen ermöglicht werden.
Bottom-up statt Top-down
Bisher wurde die App in mehr als 32 Ländern genutzt. Der Ansatz von Poverty Stoplight unterscheidet sich stark vom herkömmlichen, von oben nach unten gerichteten Vorgehen, bei dem politische Entscheidungsträger nach einem übergreifenden Konzept handeln, um Hilfe zu leisten – oft jedoch ohne die individuellen Ursachen von Armut zu kennen bzw. direkt an der Wurzel anzusetzen. Die Bemühungen größerer Organisationen sollen hier nicht geschmälert werden, allerdings wäre ein Ansatz von unten nach oben sicher eine sinnvolle und effektive Ergänzung. Auf diese Weise wird eine Zusammenarbeit aller Stakeholder ermöglicht, die sich auf konkrete Probleme bzw. deren Beseitigung konzentriert. Und nicht zuletzt soll ein Fokuswechsel von unten nach oben auch dazu führen, dass Familien und Gemeinden bei der Beseitigung von Armut selbst zu Akteuren werden können.
Eine interessante Entwicklung ist, dass inzwischen auch einige Privatunternehmen das Tool nutzen, um ihre Angestellten zu unterstützen und ihren eigenen sozialen Verpflichtungen besser gerecht werden zu können. Sie ermöglichen es den Mitarbeitern, ihr Maß an Armut selbst zu identifizieren und bieten ihnen im Anschluss beispielsweise konkretes Training oder Zugang zu Finanz- oder Bildungslösungen, um sie zu ermächtigen, ihre Lebenssituation selbst zu verbessern.
„Wir haben jetzt 70 Unternehmen in Paraguay und einige interessierte in Mexico, die über ihre Unternehmenspflichten hinaus soziale Verantwortung übernehmen wollen, um ihren Mitarbeitern dabei zu helfen, Armut zu beseitigen“, erklärt Burt gegenüber Devex weiter. „Es ist Sache des Unternehmens, zu verstehen, wie es seine Ressourcen nutzen kann. […] In einem speziellen Fall, bei dem viele der Arbeiter keine Sparkonten hatten, hat ein Unternehmen zum Beispiel eine Kooperation mit einer Bank gestartet, um für jeden der Angestellten ein Konto zu eröffnen und Kurse für Finanzwissen anzubieten. Wenn eines Tages auch Wal-Mart oder Nestlé so handeln würden – die Möglichkeiten sind grenzenlos. Das Ganze ist wirklich mächtig, denn es geht hier nicht um Charity – es ist ein Produktivitäts-Tool.“
Poverty Stoplight wurde 2017 von den Vereinten Nationen als eines der Projekte hervorgehoben, die die Erreichung 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung voranbringen.
Du möchtest mehr über die Globalen Ziele der Vereinten Nationen wissen? Hier kannst du dich zu den 17 Zielen für eine nachhaltige und gerechte Zukunft informieren
Dieser Artikel ist eine Übesetzung von Lydia Skrabania; das Original erschien auf unserer englischen Website.