Politik: Was heißt hier nachhaltig?

Windkraftanlagen auf einer hügeligen Wiese

Es war ein mal in Sachsen. Der Bergbau brummte, der Wald lichtete sich und ein Oberberghauptmann mahnte zur Weitsicht – das war vor rund 300 Jahren. So - oder so ähnlich - wird die Geschichte der Nachhaltigkeit immer wieder geschrieben. Natürlich ist Holzmangel in Zeiten globaler Vernetzung nicht mehr der Mittelpunkt der Umweltpolitik. 2002 verabschiedete die Bundesregierung bereits eine Nachhaligkeitsstrategie. Anfang 2017 wurde nun die neue Nachhaltigkeitsstrategie aufgelegt. Wir haben uns angesehen, was dahiner steckt.

Autor*in Paul Stadelhofer, 20.02.17

Viel ist passiert, seit der Oberberghauptmann Carl von Carlowitz eine nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder forderte. Kaum ein Fleck Land ist heute noch nicht genutzt und kaum ein Gewässer wird nicht befischt. Einige sprechen auch vom Anthropozän, dem Zeitalter des Menschen.

Planetare- und soziale Belastungsgrenzen als Leitplanke der Politik

Im Zentrum der neueren Überlegungen stehen deswegen die Belastungsgrenzen des globalen Ökosystems. Überschritten sind sie laut Experten bereits an einigen Punkten. Beispielsweise in Bezug auf das fortschreitende Artensterben und den Verlust der genetischen Vielfalt oder in Bezug auf den Stickstoff- und Phosphor-Eintrag in Gewässern. Riskant scheinen laut Experten vor allem der Wandel in der Landnutzung und der viel beschworene Klimawandel. Zu den Bereichen, die sich noch als sicherer Handlungsraum darstellen, gehören der Verlust des Ozons, die Versauerung der Meere und die Süßwassernutzung.

Diese Bereiche stehen nun auch im Zentrum der Nachhaligkeitsdebatte. Die Landnutzung ist deswegen auch ein Thema in der neuen Strategie und die Versiegelung von Flächen soll zurückgeschraubt werden. Eine Leitlinie, die beispielsweise Kritik seitens der Grünen auslöste. Der neue Kompass für Nachhaltigkeit greife im politischen Geschehen überhaupt nicht, wenn zeitgleich per Bundesverkehrswegeplan zusätzliche Flächen versiegelt werden sollen.

Da unser Umgang mit der Umwelt auf sozialen Beinen steht, sollte die Entwicklung auch soziale Belastungsgrenzen nicht überschreiten. Kate Raworth und Oxfam International haben sie schon vor einigen Jahren in die Diskussion auf Ebene der Vereinten Nationen eingebracht, die nun auf die nationale Ebene projiziert wird.

Kate Raworth The Doughnot of planetary and social boundaries

Zu den sozialen Belastungsgrenzen zählen Gesundheit, Ernährung und Wasser. Ausserdem soll sich nachhaltige Entwicklung an Einkommen, Bildung, Resilienz, Teilhabe, Jobs, Energie, sozialer Gleichheit und der Gleichberechtigung der Geschlechter messen lassen. Ob das möglich ist, erklärt Raworth im Video:

Sustainable Development Goals sind Gliederungsprinzip der Nachhaltigkeitsstrategie

Als Industrie- und Exportnation soll Deutschland auch seine globale Verantwortung wahrnehmen. Die Grundlage der Strategie bilden die sogenannten Sustainable Development Goals der Vereinen Nationen.

Sie stellen das Leitprinzip dar für globale Partnerschaften und die große Transformation. Ausgerichtet ist die Entwicklung, die auch in der Agenda 2030 zusammengefasst ist, an Verantwortung, Transparenz und partizipativer Gesellschaftsgestaltung.

Die Ziele für Nachhaltige Entwicklung im Überblick

63 Indikatoren machen Nachhaltigkeit messbar

Wie die SDGs in die nationale Strategie einfließen, ist dadurch beschrieben, dass ein Leben in Würde für alle möglich werden soll, während die natürlichen Lebensgrundlagen in globaler Perspektive erhalten werden. Maßnahmen für wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte zu entwickeln ist in dieser Hinsicht das Gebot der Optimierung. Fortschritte dabei werden mit 63 Indikatoren geprüft und verfolgt – meist auf nationaler Ebene.

In 21 der 63 Bereiche werden aller Voraussicht nach die Ziele erreicht und in 6 Bereichen stehen die Chancen gut, dass 80 bis 95 Prozent des Ziels erreicht werden. Nach derzeitigem Kenntnisstand bleiben dennoch 20 Bereiche, in denen die Chancen schlecht stehen, dass 80 Prozent der anvisierten Fortschritte erreicht werden und in neun Bereichen geht sogar die gesamte Entwicklung in die falsche Richtung. In Folge einiger Fehlentwicklungen wurden die Ziele teils in die Zukunft verschoben oder abgesenkt. Zugleich wurden aber auch neue Ziele in die Strategie aufgenommen, wie der Abbau von Armut oder die Bekämpfung von Korruption.

Politik auf neuen Wegen?

Um in all diesen Bereichen Fortschritte zu erzielen sollen neue Wege beschritten werden. Einerseits, da die ressortübergreifende Umsetzung der Strategie durch Federführung des Bundeskanzleramts gewährleistet werden soll. Andererseits auch, indem beispielsweise ein „Forum Nachhaltigkeit“ beim Bundeskanzleramt angesiedelt und eine „Wissenschaftsplattform SDG Umsetzung / Nachhaltigkeitspolitik“ geschaffen wird, lobt das Sustainable Development Solutions Network Germany (SDSN Germany) die Strategie.

Dass Nachhaltigkeit zum Leitprinzip aller Politikfelder werden soll wird dadurch gestützt, dass sich politische Teilhabe nicht nur durch Lobby-Verbände, sondern auch durch die Einbindung sozialer Organisationen in der Ausgestaltung der Strategie wiederspiegelt. Beispielsweise durch den Beitrag von Oxfam Inernational auf UN-Ebene (siehe oben) oder in Form einzelner Indikatoren, die die Fortschritte in der Erreichung der Ziele messbar machen sollen. Transparency International entwickelte hierfür einen Corruption Perception Index, der als Indikator in die Strategie aufgenommen wurde und den Erfolg im Kampf gegen Korrupin messbar macht. Die Organisation freut sich und fordert eine transparente Realisierung der Strategie.

Umweltpolitik wird zur Gesellschaftspolitik. Da das Ökosystem Erde auch nicht viel auf nationale Grenzen gibt, soll Nachhaltigkeit stärker in einer globalen Dimension bedacht werden. Deutschland soll seine Umweltauswirkungen schrittweise auf ein global verträgliches Maß senken. Das bedeutet, dass laufende gesellschaftliche Veränderungen aufgegriffen und zeitgleich neue Experimentierräume mit zukunftsfähigen Lebens-, Arbeits und Wirtschaftsentwürfen entstehen. Wie das genau aussieht, muss erprobt werden.

Natürlich bleiben auch andere Ziele vage formuliert und führen bei Organisationen wie dem NABU zu Kritik an der Nachhaltigkeitsstrategie. Auch dass bei Verstößen oder nicht erreichten Zielen keine Sanktionen vorgesehen sind, dass wichtige Themen wie die Dekarbonisierung der Wirtschaft keine Rolle spielen, sollte laut der der Naturschutzorganisation nachgebessert werden.

Fazit

Einige Vorhaben sind in der Strategie enthalten, bei denen nicht ganz sicher ist, ob sie überhaupt möglich sind. Beispielsweise, dass der Energie- und Ressourcenverbrauch vom Wirtschaftswachstum entkoppelt wird oder, dass die steigende Nutzung von Ressourcen und Energie durch Effizienzsteigerungen mehr als kompensiert wird. Manch einer mag auch fragen, wie Bildung für nachhaltige Entwicklung tatsächlich im bestehenden Bildungssystem integriert werden kann und was man da lernen soll. Auch wenn zu Recht zeitnahe und konkrete Fortschritte sowie Verbesserungen gefordert werden, stimmt die Innovaitonsbereitschaft seitens von Politik und Behörden positiv.

5 nachhaltige Trends, die wir 2017 im Auge behalten sollten

Solarenergie, E-Mobilität und digitale Flüchtlingshilfe – hier haben wir einige Meilensteine aus diesem Jahr versammelt, die den Weg in eine zukunftsfähige Welt zeigen.

Denken in Kreisläufen – Ist die Circular Economy der Schlüssel für eine nachhaltige Wirtschaft?

Tschüss Müll, tschüss Umweltverschmutzung, hallo saubere Zukunft! Genau das verspricht das Konzept der Circular Economy bzw. Kreislaufwirtschaft. Und die Idee dahinter ist ganz einfach: schon vorher an nachher denken. Wir haben uns das mal genauer angeschaut.

Was ist nachhaltiger Tourismus?

Tourismus ist nicht unbedingt nachhaltig. Aber es gibt Möglichkeiten, Urlaub und Reisen so zu gestalten, dass ein positiver Einfluss auf Umwelt, lokale Bevölkerung und lokale, ökonomische Wertschöpfung entsteht.

bildschirmfoto_2016-05-23_um_00
©
Deutschlands Preis für nachhaltige Gründer: Next Economy Award 2016. Jetzt bewerben!

Zum zweiten Mal werden deutsche Startups mit innovativen sozialen und/oder ökologischen nachhaltigen Geschäftsmodellen ausgezeichnet. Bewerbungsschluss: 30. Juni!

Deutschland wird nachhaltig. Wirklich? 2030 Watch gibt Antworten

Im September 2015 beschlossen die UN-Mitgliedsstaaten die nachhaltigen Entwicklungsziele. Das Besondere: Im Gegensatz zu den ausgelaufenen Milleniumsentwicklungszielen betreffen die Ziele dieses Mal alle Staaten. Ob Deutschland auf einem guten Weg ist, beobachtet das Projekt 2030 Watch.

carl
©
300 Jahre Nachhaltigkeit

Der Begriff "Nachhaltigkeit" ist aus aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen nicht mehr wegzudenken. Vor 300 Jahren wurde das Konzept bereits unter diesem Namen entworfen. Ein guter Anlass, um einmal zurückzublicken.