Herstellen, verwenden, wegwerfen – das war lange Zeit das Motto, wenn es um die Verwendung von Plastik ging. Plastik ist das Symbol der modernen Wegwerfgesellschaft. Duschgel-Verpackungen, Einkaufstüten aus Kunststoff, Kleidung aus Kunststofffasern… Plastik ist billig, einfach zu produzieren und langlebig. Es ersetzte deshalb auch viele andere Materialien. Welche Eltern würden heutzutage noch zu Stoffwindeln greifen, wo doch Einwegwindeln deutlich weniger Arbeit machen? Oder warum eine eigene Einkaufstaschen in den Supermarkt tragen, wenn es dort Plastiktüten für 20 Cent zu kaufen gibt?
Heutzutage werden jährlich rund 300 Millionen Tonnen Kunststoff produziert, davon 50 Prozent für den einmaligen Gebrauch. Der Anblick von Plastikmüll auf den Straßen, in den Flüssen, am Strand oder im Park ist zu einer leidlichen Gewohnheit geworden. Plastik ist überall: in Kosmetika, im Abwasser, in unserer Kleidung. In Form von Mikroplastik ist es längst Teil unserer Ökosysteme, schädigt und tötet Lebewesen, die dann wiederum auf unserem Teller landen. Selbst in der Luft wurde Plastik bereits nachgewiesen.
Doch erst seit kurzem wird Plastik auch von einer breiten Gesellschaft nicht mehr bloß als lästiges Ärgernis, sondern als soziales, ökologisches und gesundheitliches Problem globalen Ausmaßes wahrgenommen. Mittlerweile setzen sich verschiedene Organisationen für ein stärkeres Bewusstsein und die Reduktion des Plastikkonsums ein, überall wird aufgeräumt, eingetütet, Plastik beseitigt. Im Supermarkt werden statt Plastik- nun Stoffbeutel verkauft, Menschen plädieren weltweit für „Zero Waste“ und verpackungsfreie Supermärkte, plastikfreie Alternativen wie Strohhalme aus Äpfeln oder Teller aus Weizenkleie kommen auf den Markt.
Bei einer kürzlich durchgeführten Crowdfunding-Kampagne konnten über 640.000 Euro für die Entwicklung wiederverwendbarer Wattestäbchen eingesammelt werden. Menschen wollen heutzutage weniger Plastik, sie sehen das Problem mit ihren eigenen Augen und wollen einen Beitrag im Kampf gegen den schädlichen Kunststoff leisten. Doch was bringen all diese Ideen und Projekte tatsächlich, um den Einsatz von Plastik weltweit zu reduzieren? Was nützt es, wenn ich beim Einkauf im Supermarkt auf eine Plastiktüte verzichte – wenn am Ende sämtliche Lebensmittel in Plastik verpackt sind?
Natürlich spielen wir als Verbraucher eine tragende Rolle, was den Plastikkonsum angeht (Stichwort: Wegwerfgesellschaft). Doch das Problem kann nur dann gelöst werden, wenn wir der Fokus dorthin lenken, wo es entsteht: auf die multinationalen Unternehmen, die die für die ganze Welt produzieren. Die Kunststoffproduktion ist ein Zweig der gigantischen petrochemischen Industrie und tatsächlich ist nur eine handvoll multinationaler Unternehmen für die Produktion des weltweit produzierten Kunststoffs in Rohform (Kunststoffgranulate) zuständig. Und es überrascht nicht, dass diese Konzerne eine mächtige Lobby besitzen, die sicherstellt, dass die ständig wachsende Produktion von Plastik nicht als das eigentliche Problem wahrgenommen wird.
Die Unternehmen tun nicht genug, um die Krise zu stoppen
Im Jahr 2018 sammelte die Organisation Break Free From Plastic bei 239 Aktionen in 42 Ländern und auf sechs Kontinenten 180.000 Teile und untersuchte diese. Schnell war klar: Zu den größten Umweltverschmutzern der Welt zählen die großen Marken-Konzerne Coca-Cola, PepsiCo, Nestlé, Danone, Mondelez International, Procter & Gamble, Unilever, Perfetti van Melle, Mars Incorporated und Colgate-Palmolive. Und, bemerkenswerter Weise sind allein die drei führenden Unternehmen (Coca-Cola, PepsiCo und Nestlé) für 14 Prozent der globalen Verschmutzung durch Kunststoffe verantwortlich.
„Unsere Untersuchung ist ein unbestreitbarer Beweis dafür, welche Rolle namhafte Unternehmen bei der Aufrechterhaltung der globalen Kunststoffkrise spielen“, erklärte Von Hernandez, globaler Koordinator bei Break Free From Plastic. „Indem sie problematische und nicht wiederverwertbare Wegwerf-Kunststoffverpackungen für ihre Produkte herstellen, machen sich diese Unternehmen schuldig, den Planeten in großem Umfang zu zerstören. Es ist an der Zeit, dass sie dies zugeben und aufhören, die Schuld für ihre verschwenderischen und umweltschädlichen Produkte auf die Bürger abzuwälzen.“
Ein besseres Bewusstsein für das Verhalten großer Konzerne möchte auch Greenpeace schaffen. Die Organisation initiierte eine Social-Media-Kampagne, die Menschen weltweit dazu aufforderte, ein beliebiges Stück Plastik in der Umgebung zu fotografieren und unter dem Hashtag #IsThisYours? ins Netz zu stellen. So sollte auf die weltweite Verschmutzung durch Einweg-Konsum-Lifestyle aufmerksam gemacht werden, der durch viele der großen Markenunternehmen propagiert wird. Mittlerweile haben diese reagiert und zumindest Statements und Pläne veröffentlicht, wonach das massive Verschmutzungsproblem angegangen werden soll. Allerdings sind die Lösungsansätze nicht einmal annähernd ausreichend, um das Plastikproblem wirklich einzudämmen. Denn oft geht es bei diesen Plänen lediglich um verstärktes Recycling bestehender Produkte oder darum, die Anteile recycelbarer Materialen in den Produkten zu erhöhen. Wirkliche Lösungen zur Reduktion von Plastik oder Alternativen zu Kunststoffen bereits in der Produktion fehlen.
Die Spitze des „Klima-Eisbergs“
Aber warum bekommt das Thema Plastik so eine große Aufmerksamkeit? Haben wir nicht drängendere Probleme? Logischerweise konzentrieren wir Menschen uns auf die Probleme, bei denen wir glauben, leicht Veränderungen bewirken zu können und bei denen diese Veränderungen auch sichtbar werden. Plastik ist ein ideales Beispiel. Denn im Gegensatz zum Klimawandel, der uns groß, abstrakt und überwältigend erscheint, ist das Plastikproblem greifbar, real und unmittelbar. Man kann, so scheint es, direkt dagegen vorgehen. Das mag einer der Hauptgründe sein, weshalb sich die Öffentlichkeit so auf das Thema stürzt. Doch tatsächlich ist das Thema Plastik größer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag, denn zwischen dem Klimawandel und dem Plastikproblem besteht eine enge Verbindung.
Nahezu jeder Kunststoff besteht aus fossilen Brennstoffen – und in jeder Phase des Lebenszyklusses emittiert Plastik Treibhausgase – von der Gewinnung der fossilen Brennstoffe, dem Transport, der Herstellung und Produktion bis hin zur Abfallverarbeitung und darüber hinaus. Ein Bericht des Weltwirtschaftsforums aus dem Jahr 2016 prognostiziert, dass bis 2050 20 Prozent des weltweit geförderten Öls in die Kunststoffherstellung fließen. „Letztendlich ist die Plastikverschmutzung der sichtbare und greifbare Teil des von Menschen verursachten globalen Wandels“, schrieben die Wissenschaftler Johanna Kramm und Martin Wagner in einem 2018 veröffentlichten Paper über Mikroplastik.
Und selbst wenn das Plastikproblem nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs ist – eines von einer Vielzahl weiterer Umweltprobleme –, so könnte der gemeinsame Kampf gegen Plastik doch die Möglichkeit bieten, hierdurch ein Bewusstsein zu schaffen, das darüber hinausgeht, „nur“ die Kunststoffbelastung reduzieren zu wollen. In den vergangenen Jahren haben sich Einzelpersonen und einige Unternehmen zunehmend darum bemüht, ihren Kunststoffverbrauch zu reduzieren. Regierungen sehen sich dazu veranlasst, neue Gesetze zu erarbeiten. In Europa verbietet eine EU-Richtlinie ab 2021 die Verwendung von Einwegkunststoffen. Anfang dieses Jahres haben sich 170 Länder verpflichtet, den Einsatz von Kunststoffen bis 2030 „deutlich zu reduzieren“. Auch die Regionalregierungen haben Verbote erlassen – von San Pedro La Laguna in Guatemala bis Tamil Nadu in Indien. Kalifornien hat kürzlich Plastikstrohhalme verboten, während in Kenia die Produktion, der Verkauf oder sogar das bloße Mitführen einer Plastiktüte mit einer Geldstrafe von bis zu 40.000 Dollar geahndet werden kann. Im vergangenen Jahr gab der Ölriese BP an, die weltweiten Kunststoffverbote würden die Nachfrage nach Öl beeinträchtigen. Bis 2040 produziere die Industrie demnach zwei Millionen Barrel weniger Öl – pro Tag.
Dies zeigt, dass in einer Welt, in der wir mit einer Vielzahl von miteinander verbundenen Problemen kämpfen, schon kleine, konstruktive Veränderungen eine unerwartet große Wirkung haben können. Nichts desto trotz sollten wir aber nicht aus den Augen verlieren, dass wir die Probleme bei der Wurzel packen müssen – um die Plastikflut einzudämmen kommen wir also nicht darum herum, die Hersteller zur Verantwortung zu ziehen.
Dieser Artikel wurde von Marisa Pettit und Ana Galan Herranz gemeinsam verfasst. Die Übersetzung ins Deutsche stammt von Thorge Jans. Das Original erschien zuerst auf unserer englischsprachigen Seite.