Skandale, Konflikte, Probleme – das sind die inhaltlichen Hauptzutaten der meisten Medien. Denn schlechte Nachrichten verkaufen sich gut. Eventuell ist das Ganze dann auch noch gewürzt mit einer reißerischen Überschrift – und fertig ist die Clickbait-Falle, die uns als Leser mit einem negativen, vielleicht sogar hoffnungslosen Gefühl gegenüber unserer problembehafteten Welt zurücklässt.
Dass es viele ernste Probleme gibt, soll auch gar nicht schöngeredet werden. Aber man kann mit konstruktiven Lösungen dagegenhalten, also konstruktiven Journalismus machen. Genau das ist das Konzept von Perspective Daily, einem jungen Medien-Startup aus Münster. Anstelle von schnellen Einzel-News setzt es auf ausführliche Recherche, Gesamtzusammenhänge und auf lösungs- und zukunftsorientierte Artikel. Das werbefreie Online-Medium finanziert sich durch die Jahresbeiträge seiner Mitglieder und will so auch seine Unabhängigkeit gewährleisten. Bisher klappt das offenbar gut: Seit seinem Launch vor einem halben Jahr hat das Startup mehr als 14.000 Mitglieder gewonnen.
Da wir bei RESET ebenfalls einen lösungsorientierten und zukunftsgerichteten Ansatz verfolgen, finden wir das Konzept von Perspective Daily besonders interessant. Deshalb habe ich mich mit Felix Austen, einem der Autoren bei Perspective Daily, zusammengesetzt und über die Haltung und Ziele des Medien-Startups gesprochen. Austen ist studierter Physiker und überzeugt, dass Journalismus enorm wichtig für die Gesellschaft ist. Bei Perspective Daily bearbeitet er Themen wie Energie, Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Im Interview erzählt er, was konstruktiven Journalismus auszeichnet, warum er so notwendig ist und warum Journalisten niemals objektiv sein können.
Felix, woran krankt der Journalismus der heutigen Zeit?
Es ist Teil unseres Konzeptes, nicht so sehr auf den anderen herum zu hacken, sondern eher aktiv zu zeigen, wie es besser geht. Aber es gibt sicher ein paar systematische Probleme, die ich nennen kann.
Leg los.
Einerseits gibt es eine enorme Beschleunigung in der Medienbranche. Dadurch, dass die Medien im Netz immer schneller auf Ereignisse reagieren müssen, haben sie keine Zeit, um eine gute Recherche zu betreiben oder auch nur selber das Geschehen zu reflektieren. Und auf der anderen Seite gibt es fast so etwas wie eine Sucht: Immer neue Eilmeldungen hereinzubekommen, darauf zu klicken und mal kurz zu screenen – damit also einen gewissen Belohnungsreflex zu stillen. Es fühlt sich für uns dann zwar so an, als seien wir gut informiert, aber das ist ein Trugbild. Wirkliche Informationen, wirkliches Wissen werden damit selten vermittelt.
Woran liegt das deiner Meinung nach?
Tja, Online-Medien leben eben überwiegend davon, möglichst viele Klicks zu erzielen. Und werden dadurch natürlich dazu verleitet, reißerische Überschriften zu generieren: „Diese 10 krassen Sachen musst du unbedingt lesen“ – usw. Daraus resultiert aber gleichzeitig, dass Leser im Artikel nicht das erhalten, was ihnen in Teaser oder Headline versprochen wurde. Sie haben also das Gefühl, betrogen worden zu sein – natürlich nimmt dann auch das Vertrauen in diese Medien ab. Und Clickbait ist zwar ein Geschäftsmodell, aber weit, weit entfernt von einem guten Journalismus.
Ihr kritisiert also News-getriebenen Journalismus, der zwar den jüngsten Meldungen hinterherhechelt, aber keine Einordnung bietet und seine Versprechen nicht einlöst?
Genau, das sind aus unserer Sicht einige der systematischen Problematiken, die mit Finanzierung und Beschleunigung zu tun haben. Da wollen wir zeigen, dass es durchaus anders geht. Aber unser Hauptanspruch ist, dem allgegenwärtigen „What bleeds that leads“ etwas entgegenzusetzen. Schlechte Meldungen verkaufen sich leider besser.
Warum ist das so?
Das hat damit zu tun, dass wir auf Gefahren reagieren. Der Mensch hat den Instinkt, über Gefahren Bescheid wissen zu wollen, um sie abwehren zu können. Damit einher geht ein Fokus auf negative Nachrichten. Das versuchen wir anders zu machen.
Und wie geht ihr das an?
Also zum einen – und das mag jetzt lapidar klingen – ist bei uns Teamwork enorm wichtig. Es bietet ganz andere Möglichkeiten, wenn man sich gegenseitig mit Ideen inspiriert, wenn man konstruktive Kritik austauscht. Das findet in vielen Redaktionen viel zu wenig statt. Weil viel Zeitdruck herrscht oder weil viele Journalisten als Freie arbeiten. Wir stellen ein interdisziplinäres Team, das einen wissenschaftlichen Background hat und verschiedene Perspektiven einbringen kann.
Wenn ich es richtig verstanden habe, ist es nicht euer Anspruch, als Journalisten neutral oder objektiv, sondern transparent zu sein.
Genau, die Begriffe „neutral“ und „objektiv“ fallen für uns weg, die kann es im Journalismus einfach nicht geben. Wir sind überzeugt, dass das für ein Individuum mit Meinungen und Erfahrungen schlicht unmöglich zu realisieren ist. Aber wir versuchen, das, wofür wir stehen, unsere Haltung, transparent zu machen.
Das musst du ein bisschen ausführen. Was ist eure Haltung?
Ich fasse mich als progressiv auf. Was sich dahinter verbirgt, darüber kann man lange streiten – und das haben wir auch gemacht. Bei uns ist es der Glaube, dass sich Dinge in eine bestimmte Richtung, zum Besseren verändern lassen. Und wir halten Werte wie Menschenrechte, Chancengleichheit und eine intakte Umwelt als Basis dieser Ziele für erstrebenswert.
Für euer Konzept bekommt ihr allerdings nicht nur Lob.
Von unseren Mitgliedern bekommen wir viel Lob, einige sind auch durch halb Deutschland gereist, um uns in der Redaktion besuchen zu kommen. Aber klar: Das Konzept des konstruktiven bzw. kritischen Journalismus wurde zum Teil sehr kritisch aufgefasst. Gerade etablierte Journalisten reagieren da zum Teil so. Wir hören da Vorwürfe, wie wir würden Kampagnenjournalismus betreiben oder das Ganze sei Aktionismus oder „völliger Quatsch“.
Wie geht ihr damit um, wie entkräftet ihr diese Vorwürfe?
In den Begriff „konstruktiver Journalismus“ wird letztlich viel von außen hineinprojiziert. Dabei schmeißen wir ja all diese Tugenden und Regeln für ein gutes journalistisches Handwerk nicht über Bord, sondern die gelten für uns genauso wie für jeden anderen Journalismus auch: Nämlich gute Recherche, Fact-Checking, eine gute Schreibe, eine gute Aufbereitung und der Versuch, ausgewogene Quellen zu Rate zu ziehen. Wir geben sehr viele Primärquellen in unseren Texten an.
Du hast vorhin gesagt, ihr würdet den „schlechten Nachrichten“ etwas entgegensetzen wollen. Oft ist auch die Rede von „positivem Journalismus“. Aber das bedeutet ja nicht, dass ihr nur „gute Nachrichten“ verbreitet.
Genau. Wir sehen zwar: Es gibt sehr viele schlechte Nachrichten, aber wir setzen dem eben etwas entgegen, nämlich die Lösungsansätze, die mit den entsprechenden Bereichen zu tun haben. Das bedeutet nicht, dass wir die schlechten Nachrichten ausblenden – denn die funktionieren nur in Balance zueinander. Wir erweitern also den Journalismus um einen lösungsorientierten Fokus. Das ist die Kernidee.
Positiver, konstruktiver und kritischer Journalismus – wie muss man euch einordnen?
Wir machen nach meinem Verständnis auf jeden Fall auch kritischen Journalismus. Nur weil wir einen konstruktiven Ansatz haben, heißt das nicht, dass das nicht vereinbar wäre. Auch hier muss ich kritisch beäugen und kritisch nachfragen. Kritisch und konstruktiv sein – das ist kein Widerspruch, sondern das geht Hand in Hand. Wir machen auch deshalb einen kritischen Journalismus, weil es nicht unser Ziel ist, die ganze Zeit nur Antworten liefern zu wollen, sondern auch die besseren Fragen zu stellen.
Sprecht ihr dem News-getriebenen Journalismus seine Daseinsberechtigung ab?
Nein, nicht unbedingt. Es gibt ihn nun einmal. Aber ich denke, dass die Rollenverteilung falsch ist. Dass also die Dominanz dieser Art von Journalismus fast unseren ganzen Medienkonsum trägt. Mir werden drei Fakten über das letzte schlimme Erdbeben oder die nächste Katastrophe in Aleppo hingeworfen und das war’s. Man liest diese Push-Nachrichten und Stichwörter – aber außer einem unguten Gefühl im Bauch bleibt da nichts hängen. „Bitteschön, ein paar schlimme Dinge, die heute passiert sind. Mach damit, was du willst.“
Es geht euch also nicht darum, dass grundsätzlich über diese Themen berichtet wird, die ein unangenehmes Bauchgefühl zurücklassen, sondern, wie darüber berichtet wird?
Ja. Aber wir wollen nicht die Nachrichten abschaffen, wir wollen nur zeigen, was anders geht. Eine weitere Stimme, eine weitere Facette sein. Wir möchten also andere Medien ergänzen, dazu anregen zu reflektieren, eine Debatte anstoßen – dass auch Journalisten darüber nachdenken, was sie eigentlich für eine Art von Journalismus machen. Ich will also keinem Thema die Relevanz absprechen, aber ich finde es doch sehr fraglich, ob das in diesen schnellen Nachrichten passieren muss. Das sehe ich sehr skeptisch und glaube, dass es sehr viel Unheil anrichtet.
Und ihr geht das Ganze langsamer an?
Ja genau, dem setzen wir einen entschleunigten Journalismus entgegen. Wir recherchieren gut, wir ordnen ein, wir liefern Kontext. Und es gibt bei uns nur einen Artikel am Tag.
Und ihr wollt Grautöne abbilden. Was genau ist damit gemeint?
Wir glauben, dass es auf der Welt eben nicht nur schwarz und weiß gibt. Sondern „many shades of grey“. Und so versuchen wir das auch darstellen. Als Journalist spitzt man immer auch ein wenig zu, denn man versucht, das Prägnante an einer Geschichte und an einer Person, die man vorstellt, zu finden. Und das ist auch wichtig, denn sonst beschreibt man ja einfach alles, was man sieht. Aber uns geht es auch darum darzustellen, dass es verschiedene Blickwinkel gibt, die manchmal unvereinbar nebeneinander her existieren. Es geht nicht darum, eine krasse, tendenziöse Geschichte zu bauen – „Zack, so isses“ – und dann sucht man sich die Aspekte heraus, die für die Geschichte stehen, die man erzählen will. Sondern wir versuchen aufzuzeigen: Diese Perspektiven gibt es – und alle haben gute Punkte und Argumente, die für ihre Sichtweisen sprechen.