People Power: Wie Bürgerengagement die Energiewende vorantreiben kann

Graswurzel-Aktivismus, günstige Vorschriften, finanzielle Anreize und ein wenig Gruppendruck könnten die Energiewende deutlich beschleunigen.

Autor Christian Nathler:

Übersetzung Sarah-Indra Jungblut, 15.06.22

Eines ist klar: Soll unser Planet länger für Menschen bewohnbar bleiben, müssen wir unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen massiv verringern. Der Krieg in der Ukraine hat der Dringlichkeit nur noch eine weitere Dimension verliehen. Um aus fossilen Energien auszusteigen, müssen wir rasch auf erneuerbare Energien umsteigen. Das kann jedoch trotz ermutigender Fortschritte nicht allein auf zentraler Ebene passieren.

Es reicht nicht aus, sich auf große, weit entfernte Wind- oder Solarparks zu verlassen, um unsere Netze mit Strom zu versorgen. Eine Energiewende in dem von uns benötigten Umfang braucht genauso auch Bürger*innen, Kommunen sowie kleine und mittlere Unternehmen, die in die Stromproduktion einsteigen.

Schritt eins: Wir müssen Energie-Prosumer werden

Um Schub in die Transformation unseres Energiesystems zu bringen, sollten wir als Einzelpersonen und Gemeinschaften nicht weiter nur Energieverbrauchende sein, sondern auch in die Stromproduktion einsteigen. „Die Umstellung auf erneuerbare Energien speist sich aus Energiequellen, die in jedem Dorf, in jeder Gemeinde, auf jedem Hügel, jedem Feld und jedem See in unserem Land zur Verfügung stehen“, heißt es in einem Bericht von GermanZero, einer Initiative, die die globale Klimaneutralität vorantreiben will. „[Die Bürger] sollten ermutigt werden, nicht nur Strom für den Eigenbedarf zu produzieren, sondern sich auch zu lokalen Erzeugergemeinschaften zusammenzuschließen, um Mietergemeinschaften und ganze Wohnviertel oder Gewerbegebiete zu versorgen.“

Unterstützung bei dieser Umstellung kommt dabei auch von neuen, intelligenten Energiesystemen, die durch die zunehmende Digitalisierung ermöglicht werden. Doch kollektiver „good will“ alleine löst den Klimanotstand nicht, sondern wir brauchen Ermutigung – durch entsprechende Rahmenbedingungen und auch in Form von finanziellen Anreizen.

Einfach gesagt, ist ein Prosumer jemand, der/ die gleichzeitig Energie produziert und verbraucht. Das sogenannte Prosumership ist eine wesentliche Voraussetzung für die Beschleunigung der Energiewende in dem Umfang, der zur Erreichung unserer Klimaziele erforderlich ist.

Herausforderungen für eine von Bürger*innen getragene Energiewende

„Mit neuen Regeln können wir das Potenzial der dezentralen Erzeugung und das Potenzial der Menschen für eine saubere Energiezukunft freisetzen“, darauf wies schon vor mehr als einem Jahrzehnt das Institute for Local Self-Reliance hin. Im Jahr 2019 scheint diese Idee schließlich bei der EU angekommen zu sein und das europäische Paket für saubere Energie (European Clean Energy Package), das einen Rahmen für Prosumership einführte, wird veröffentlicht. In einer Analyse des Pakets heißt es: „Die Umsetzung dieser umfassenden Vorschriften – insbesondere derjenigen für Energiegemeinschaften – erfordert die Entwicklung, Umsetzung und Einführung von Geschäftsmodellen, die die Kapitalbeteiligung von Verbrauchern in allen 28 Mitgliedstaaten ausweiten und gleichzeitig Ko-Investitionen verschiedener Arten von Akteuren ermöglichen.“

Aber wie schnell werden diese Geschäftsmodelle entwickelt werden? Wie leicht können sie übernommen werden? Können sie mit denen der großen Energiekonzerne konkurrieren? Sind sie integrativ? Die Antworten auf diese Fragen sind nicht eindeutig. Wie die Forschenden einräumen, führen „geografische, technologische, demografische und kulturelle Unterschiede zu Komplexitäten, die keine Einheitslösungen zulassen.“ Und obwohl das Europäische Paket für saubere Energie mit seinem Schwerpunkt auf erneuerbaren Energien einen wichtigen Meilenstein darstellt, sind die meisten der umgesetzten Regulierungs- und Eigentumsrahmen auf Länderebene weiterhin zu komplex, um Prosumership tatsächlich zu erleichtern.

Zudem stehen Prosumer-Gemeinschaften vor einer grundlegenden Herausforderung, die erneuerbare Energien insgesamt betrifft, nämlich der Speicherung der Energie. Bislang gibt es kaum erschwingliche, skalierbare Möglichkeiten, ungenutzte erneuerbare Energie für später zu speichern. Dies ist vor allem in der so genannten „Dunkelflaute“ problematisch – also in Zeiten, in denen nicht genug Wind oder Sonne für die Stromversorgung vorhanden ist. Weitere Innovationen bei den Energiespeichermethoden sind erforderlich, wenn die Energiegemeinschaften diese Zeiten überstehen sollen, ohne auf die zentralisierte, leichter speicherbare Energie aus fossilen Brennstoffen zurückgreifen zu müssen.

Erneuerbare Energie zu erzeugen ist eine Sache. Sie zu speichern ist eine andere. Energiespeichermethoden wie Pumpspeicherung, thermische, mechanische und Batteriespeicherung müssen effizienter, skalierbar und erschwinglich werden.

Regierungen müssen das Energienetz demokratisieren und Prosumership belohnen

Der Weg zu einer dezentralen und saubereren Energieversorgung bahnt sich nicht von selbst und bedarf der Unterstützung durch staatliche und gewinnorientierte Kräfte, also diejenigen, die über Geld, Autorität und Fachwissen verfügen. Die Absicht ist da: 2019 erklärte die Richtlinie der Europäischen Union über erneuerbare Energien (European Union Renewable Energy Directive) die Nutzung von Energie zu einem grundlegenden Menschenrecht. In einer anschließenden Studie der Europa Universität Viadrina und der kanadischen York University wurde dargelegt, wie Gemeinschaften für erneuerbare Energien (RECs) geregelt werden könnten.

Vor allem verlangt die Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten Gemeinschaften im Bereich der erneuerbaren Energien unterstützen, indem sie regulatorische und administrative Hindernisse beseitigen, ihnen Zugang zu Finanzmitteln und Informationen verschaffen und ihnen dabei helfen, gleichberechtigt mit anderen Marktteilnehmer*innen um Unterstützung zu konkurrieren. In dieser Hinsicht würden die Gemeinden von verschiedenen schlüsselfertigen Verwaltungsmodellen profitieren, die sie je nach ihren besonderen Umständen umsetzen könnten, einschließlich Finanzierung und Zuschüssen. In der Zwischenzeit sollten lokale Unternehmen den Gemeinden helfen, solide Geschäftsmodelle zu entwickeln, die idealerweise weitere Finanzmittel aus dem Privatsektor anziehen.

Das 1,5-Grad-Ziel ist ohne eine echte Transformation unseres Energiesystems unerreichbar. Aber wie kann sie gelingen? Was sind die Energiequellen der Zukunft? Welche digitalen Lösungen stehen bereit und wo sind Innovationen gefragt? Und wie kann die Transformation vorangetrieben werden?

Das RESET-Greenbook „Energiewende- Die Zukunft ist vernetzt“ stellt digitale, innovative Lösungen vor und beleuchtet die Hintergründe.

Mehrere Gemeinschaften für erneuerbare Energien zeigen bereits, wie verschiedene Kooperationen von öffentlicher Verwaltung und privatem Kapital umgesetzt werden können. Auf der schottischen Insel Eigg betreuen ein gemeindeeigenes Elektrizitätsunternehmen und ein Zusammenschluss von Einwohner*innen ein völlig autarkes Netz aus Wasser-, Sonnen- und Windenergie; im tschechischen Dorf Hostětín wurde ein Biomasseheizwerk gemeinsam mit dem Staat, einem niederländischen Zuschuss, einer tschechischen Energieagentur und Einwohner*innen finanziert, während eine örtliche Solaranlage von der Gemeinde und drei Stiftungen finanziert wurde. Und auf der niederländischen Insel Duurzaam Ameland wurde ein weitläufiger Solarpark von der Gemeinde, einer örtlichen Energiegenossenschaft und einem großen Energieunternehmen gegründet.

Der Schlüssel zum Erfolg solcher Projekte ist die wirtschaftliche Wertschöpfung auf lokaler Ebene. Die Gemeinden müssen an den Gewinnen aus sauberen Energieprojekten in ihrer Nähe beteiligt werden. „Wir sollten Sonnen- und Windenergie als Gemeinschaftsgut betrachten und dafür sorgen, dass diejenigen, die sie nutzen, den Gemeinden zumindest einen hohen Preis für das Nutzungsrecht zahlen“, schreibt der amerikanische Umweltschützer Bill McKibben. Dies wird die Bereitschaft der lokalen Behörden und der Bevölkerung, den Bau von Infrastrukturen für erneuerbare Energien zu unterstützen, deutlich erhöhen. Denn es ist viel schwieriger, „NIMBY“ („Not in my backyard“) zu rufen, wenn man an dem Projekt beteiligt ist und auch finanziell davon profitiert.

Die Betreiber*innen großer Wind- und Solarparks sollten die Gemeinden in der unmittelbaren Umgebung entschädigen oder idealerweise beteiligen; das erhöht die Bereitschaft der Bevölkerung, den Bau von Anlagen vor Ort zu unterstützen.

Graswurzel-Aktivismus weist den Weg

Solange Regierungen nicht effektive Maßnahmen ergreifen, um kleine Energieerzeuger*innen zu stärken – zum Beispiel durch die Schaffung unbürokratischer rechtlicher Rahmenbedingungen, finanzielle Anreize, die Erleichterung der Zusammenarbeit mit dem Privatsektor und durch die Umstellung auf intelligente, vernetzte Energienetze – müssen die Bürger*innen die Dinge selbst in die Hand nehmen.

GermanZero legte der Bundesregierung im Februar 2022 ein komplettes Gesetzespaket vor. Darin ist ein erheblicher Teil der Forderung nach neuen Gesetzen für die rasche Umgestaltung des Energiesektors, insbesondere auf lokaler Ebene, gewidmet. So fordert GermanZero:

  • Beendigung der Subventionen für fossile Brennstoffe
  • Beseitigung der bürokratischen Hürden für die Gründung von Gemeinschaften für erneuerbare Energien
  • Förderung regionaler Kraftwerke für erneuerbare Energien zur Unterstützung kommunaler Netze
  • Förderung der Speicherung und Verteilung von lokal erzeugter erneuerbarer Energie
  • Förderung der Bürgerbeteiligung und Mitgestaltung, um die Akzeptanz zu erhöhen
  • Senkung der Stromkosten durch Senkung der Stromsteuer auf lokal erzeugte Energie.

Das Wichtigste: Das vorgeschlagene Gesetzespaket ist quelloffen und enthält einen digitalen Baukasten, so dass es reproduziert, weiterentwickelt und in anderen Ländern verbreitet werden kann. Eine perfekte Gelegenheit dazu winkt: Bald wird die Europäische Union damit beginnen, 100 Städte finanziell zu unterstützen, die bis 2030 klimaneutral werden wollen – 20 Jahre vor dem EU-weiten Ziel. Das Programm verlangt von den Städten, dass sie gemeinsam mit ihren Einwohner*innen Lösungen entwickeln – ein Prozess, den GermanZero in den neun ausgewählten deutschen Städten unterstützen wird. Vermutlich wird ein Teil der finanziellen Unterstützung Prosumer-Projekten zugute kommen; ein vielversprechender Schritt in Richtung der Empfehlung von GermanZero, dass Bürgerenergiegesellschaften nicht mehr am Ausschreibungsverfahren für Fördermittel teilnehmen müssen, sondern diese mit weniger bürokratischem Aufwand in Anspruch nehmen können.

„Je erfolgreicher die Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften auf den neuen Energiemärkten sind, desto attraktiver wird dieses neue Geschäftsmodell für die etablierten Unternehmen und desto akzeptabler wird das Governance-Modell mit seiner Betonung des Prosumenten und des aktiven Verbrauchers“, heißt es in der bereits genannten Studie der Europa Universität Viadrina und der kanadischen York University. Wenn also der politische und infrastrukturelle Rahmen erstmal gesetzt ist, dann kann ein wenig Gruppendruck zum Katalysator für eine von den Bürger*innen vorangetriebene Energiewende werden.

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Dieser Artikel gehört zum Dossier „Energiewende – Die Zukunft ist vernetzt“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.

Mehr Informationen hier.

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