Open Food Network: Auf dem „digitalen Bauernmarkt“ werden Lebensmittel gehandelt- und Visionen für ein gerechte Landwirtschaft

Open Food Network will Landwirt*innen und Verbraucher*innen einen Ort zum Austausch von Produkten, Ideen und Kontakten sein..

Lokaler Lebensmitteleinkauf auf dem nächsten Level: Über die Plattform bauen Menschen weltweit Food-Coops auf, digitalisieren Hofläden und tragen zu einer regionalen und fairen Nahversorgung bei.

Autor*in Mark Newton, 20.09.21

Übersetzung Mark Newton:

Mehr und mehr Menschen achten darauf, was in ihrem Einkaufkorb landet – und vor allem: was nicht. Doch vielen reicht es nicht, im Supermarkt Bio-Produkten den Vorzug zu geben, Plastikverpackungen zu vermeiden und auf Fleisch zu verzichten,. Sie suchen Wege, wieder in Beziehung zu den Landwirt*innen zu treten, die die Lebensmittel produzieren. Aufs Rad oder ins Auto steigen und das Umland nach Höfen absuchen muss man dazu allerdings nicht mehr unbedingt – es reicht, die richtige Adresse im Internet anzusteuern.

Eine dieser Adressen ist das Open Food Network (OFN). Die Plattform versteht sich als digitaler Bauernmarkt, der Landwirt*innen mit Food-Coops, Food-Hubs, Familien und Einzelpersonen zusammenbringt, um neue, kooperativere Wege zum Kauf und Verkauf von Lebensmitteln zu schaffen.

Den Lebensmitteleinkauf und -vertrieb selbst in die Hand nehmen

Die Westies Buying Group ist ein gutes Beispiel dafür, wie neue Netzwerke über die Plattform entstehen. Für die Familien des Melbourner Vororts war es extrem schwierig – und teuer -, Bioprodukte zu bekommen. Daraufhin beschlossen sie, direkt mit den Bäuer*innen zu verhandeln. Daraus ist ein informeller Zusammenschluss von Mitgliedern entstanden, die wöchentlich Großeinkäufe von Bio-Produkten bei lokalen Erzeuger*innen tätigen. Die Open-Food-Network-Plattform nutzen sie, um ihre Bestellungen aufzugeben, wofür die Mitglieder einen geringen administrativen Mitgliedsbeitrag zahlen. Ein Mitglied nimmt dann die Bestellungen entgegen, verpackt sie in wiederverwendbare Behälter und stellt sie zur Abholung bereit.

Auch die Prom Coast Food Collective ist in Australien. Das Kollektiv ähnelt der Westies Buying Group, fand aber am anderen Ende der Lieferkette seinen Anfang: Lokale Landwirt*innen wollten direkt mit den Kund*innen in ihren Gemeinden verhandeln. Daraus entwickelte sich ein Online-Portal, in dem Landwirt*innen mit dem Wunsch, nachhaltig zu wirtschaften, gemeinsam ihre Produkte vermarkten. Die Genossenschaft hat Erzeuger*innen ausgewählt, deren Produkte sich idealerweise ergänzen. In den ersten zwei Wochen eines jeden Monats können die Landwirt*innen ihre Produkte online stellen, am dritten Sonntag des Monats kommen dann alle auf einem Hof zusammen, um die Produkte an die Kund*innen weiterzugeben. Jeder „Übergabetag“ wird dabei auch zu einem  Gemeinschaftstreffen, bei dem Freundschaften geschlossen und Rezepte ausgetauscht werden oder neue Partnerschaften entstehen.

Sharing is caring

Landwirt*innen, die ihre Lebensmittel nicht über einen Großhändler vertreiben wollen, stehen vor einigen Herausforderungen, denn eigene Vertriebsnetze aufzubauen und Verwaltung und Bezahlung zu organisieren ist nicht leicht. Open Food Network wurde speziell auf die Bedürfnisse von Kleinbäuer*innen, Landwirt*innen und Marktverkäufer*innen zugeschnitten und stellt die für die Direktvermarktung nötige Infrastruktur an einem Ort bereit. Die Landwirt*innen können die Plattform einfach als Online-Portal nutzen, um ihre Waren direkt an Kund*innen zu verkaufen – und dabei darf auch die ein oder andere krumme Gurke über den Tisch gehen.

Supermärkte lehnen regelmäßig Produkte ab, die nicht ihren Ansprüchen entsprechen. Kleine Äpfel und krumme Gurken landen nicht im Regal aus Sorge, dass sie von Kund*innen verschmäht werden. Open Food Network hingegen ermöglicht es Landwirt*innen, Produkte in allen möglichen Formen und Größen zu verkaufen – ein wichtiger Beitrag gegen die Lebensmittelverschwendung.

Open Food Network ist in verschiedene regionale Netzwerke gegliedert, in denen die Nutzer*innen nach lokalen Produkten suchen können. Doch die Idee geht über ein reines Online-Schaufenster für Lebensmittel-Produzent*innen hinaus. Im Mittelpunkt des Netzwerks steht die Schaffung lokaler, nachhaltiger und zirkulärer Lebensmittelketten, die von den Gemeinschaften selbst getragen werden. Daher können sich Food-Coops und Food-Hubs über die Plattform zusammenschließen, Einzelpersonen, Genossenschaften und Gruppen können darüber regelmäßige digitale Bauernmärkte mit Erzeuger*innen aus der Region organisieren. Damit werden nicht nur Zwischenhändler (in der Regel ein Supermarkt) überflüssig, sondern innerhalb der Netzwerke können auch Ratschläge und Fachwissen ausgetauscht werden und ein Gemeinschaftsgefühl entstehen.

Die Software hinter Open Food Network wurde von mehr als 600 Freiwilligen entwickelt, die gemeinsam an der Weiterentwicklung und Weiterverbreitung arbeiten. Der Quellcode steht Open Source zur Verfügung, jeder kann die Plattform weiterentwickeln – also echte Community Supported Software. Für die Entwickler*innen ist das nur konsequent, wie auf der deutschen Webseite zu lesen ist: „Wenn wir schon versuchen, Lebensmittelversorgung zu dezentralisieren – als Lebensmittelerzeuger, Bauernmarkt oder Food-Hub – warum sollten wir dann eine Software wählen, die geschlossen ist oder einem einzelnen Unternehmen gehört?“

Eine Alternative zum Supermarkt?

Im Jahr 2020 gab rund ein Drittel der kleinen US-Farmen an, dass sie mit einem Konkurs rechnen. Die größte Sorge bereiten ihnen dabei unverkaufte Produkte. Supermärkte sind in hohem Maße Schwankungen von Angebot und Nachfrage unterworfen; für die Landwirt*innen bedeutet das, dass sie ihre Produkte oft nicht loswerden. Erschwerend kommt hinzu, dass in einigen Ländern, zum Beispiel in den USA, nur eine Handvoll mächtiger Konzerne den Großhandel beherrschen. Da die Verbraucher*innen immer niedrigere Preise für Grundnahrungsmittel erwarten, werden die Gewinnspannen immer geringer, insbesondere in Bereichen wie der Milchwirtschaft. In den Preiskämpfen der Supermärkte, die zu einem raschen Preisverfall führen können, sind die Landwirt*innen oft die Hauptleidtragenden

Modelle wie das der Prom Coast Food Collective, bei denen direkte Beziehungen zwischen Erzeuger*innen und Abnehmer*innen bestehen, haben dagegen einige Vorteile: Die Landwirt*innen können ihre Preise selbst festlegen und sie wissen genau, wie viel Ware sie auf den Markt bringen müssen. Damit werden weniger Lebensmittel verschwendet und die Landwirt*innen können ihre Waren effektiver vermarkten. Zudem erzielen die Landwirt*innen über die Open-Food-Network-Plattform nicht nur höhere Gewinne, sondern sie können darüber auch ein Unterstützungsnetz schaffen und pflegen, das ihnen hilft zu überleben und zu gedeihen.

Open Food Network ist weltweit verfügbar und wird von Projekten auf der ganzen Welt genutzt, von Europa über Südafrika bis zu den USA und Australien. Und wenn sich die Idee des genossenschaftlichen Lebensmittelhandels durchsetzt, könnte sie dazu beitragen, die Praktiken der Branche vom derzeitigen System abzulösen, das zu massiver Lebensmittelverschwendung, einem hohen Verpackungsaufwand und Leid für Bäuer*innen führt.

Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Sarah-Indra Jungblut und erschien im Original zuerst auf unserer englischsprachigen Seite.

Der Artikel ist Teil des Dosssiers „Civic Tech – Wege aus der Klimakrise mit bürgerschaftlichem Engagement 4.0“. Alle Artikel des Dossiers findest du hier: Dossier Civic Tech

Der Artikel ist Teil des Dosssiers „Civic Tech – Wege aus der Klimakrise mit digitalem bürgerschaftlichen Engagement“. Alle Artikel des Dossiers findest du hier: Dossier Civic Tech

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