Nach dem gescheiterten Militärputsch von 2016 ging die türkische Regierung hart gegen Akademiker*innen vor. Viele wurden als Terrorist*innen abgestempelt und verloren ihre Lehrtätigkeit. Ihnen wurden die Pässe abgenommen, sie erhielten Berufsverbote, und viele wurden inhaftiert.
Laut Human Rights Watch wurden bis 2018 5.800 Akademiker*innen aus ihren Positionen entfernt – aber nicht alle gaben ihre Lehrtätigkeit auf. Die sich verschärfende Krise der akademischen Freiheit in der Türkei inspirierte 2017 eine Gruppe von Wissenschaftler*innen, die Off-University zu gründen: einen Online-Bildungsraum frei von Zensur und autoritärer Überwachung.
Über ihre sichere und anonyme Online-Plattform bietet die Off-University Kurse an, die von exilierten und gefährdeten Wissenschaftler*innen aus der ganzen Welt geleitet werden. Die Kurse, die sich mit Themen wie Kolonialismus, Identität und Friedensforschung befassen, sind völlig kostenlos und stehen Student*innen aus der ganzen Welt offen.
Die Initiative wurde von türkischen und deutschen Wissenschaftler*innen ins Leben gerufen und ist in Deutschland registriert, hat aber eine internationale Ausrichtung. Viele der Professor*innen, die jetzt an der Off-University lehren, haben in ihrem Heimatland bereits ein Lehrverbot erhalten.
Das Spektrum der Lehrangebote der Universität ist zwar breit gefächert, aber der Schwerpunkt liegt auf Fächern, die am stärksten bedroht sind. In vielen repressiven Regimen werden Themen wie kritische Studien und Gender Studies oft als erstes zensiert, da viele autoritäre Regierungen darum bemüht sind, die Fähigkeit der Menschen, Machtstrukturen und den Status quo zu kritisieren, einzuschränken.
Die Off-University versucht, qualitativ hochwertige Bildung zu demokratisieren. Das Internet ist bereits voll von MOOCs (Massive Open Online Courses), doch bestehen diese Kurse in der Regel aus kuratierten Medieninhalten, die sich die Studierenden selbständig erarbeiten. Online-Kurse mit kleinen Gruppen, die tatsächlich von renommierten Akademiker*innen in Echtzeit unterrichtet werden, wie die der Off-University, sind weitaus schwieriger zu finden. Die Tatsache, dass die Kurse völlig kostenlos sind, macht sie zu einer noch begehrteren Ressource.
Sichere und offene Bildung für alle
Die Studierenden können nicht nur gebührenfrei studieren, sondern auch die an der Fernuniversität erworbenen Leistungspunkte (ECTs) für ihre Studiengänge nutzen. Die Universität arbeitet mit renommierten Universitäten zusammen, darunter die Humboldt-Universität in Berlin und die Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Die Universität bietet auch Kurse an, die vom New University in Exile Consortium veranstaltet werden, einer Gruppe von Bildungsinstituten, die Akademiker*innen im Exil auf der ganzen Welt unterstützen.
Die anonyme und sichere Lernplattform der Exiluniversität, Coworkingsquares, ist speziell für diesen Zweck entwickelt worden und bietet den Nutzenden die größtmögliche Sicherheit. Es ist möglich, Pseudonyme zu verwenden, um die Identität derjenigen zu schützen, die unter restriktiven Regimen leben.
Das aktuelle Semester läuft von April bis Juli und umfasst Module wie Gender, Religion und Macht sowie Rassismus, Kolonialismus und Raum. Die vollständige Liste der Kurse ist hier einsehbar.
Im Moment ist die Off-University ein reines Online-Projekt, aber das langfristige Ziel ist es, „eine Friedensuniversität zu schaffen, die Präsenzveranstaltungen und digitale Bildungsangebote kombiniert“.
Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Sarah-Indra Jungblut und erschien im Original zuerst auf unserer englischsprachigen Seite.