Deutschland hat ein Nitratproblem. An beinahe einem Drittel aller Messstellen (27 Prozent) weist das Grundwasser im Nitratbericht 2020 Nitratgehalte über dem europaweit gültigen Grenzwert der EU-Grundwasserrichtlinie von 50 Milligramm Nitrat je Liter Grundwasser auf. Untersucht werden hier Einzugsgebiete im Einfluss der Landwirtschaft. Das Resultat des alle vier Jahre veröffentlichten Nitratberichts lautet im Jahr 2020 in Kürze: Kleine Schritte in die richtige Richtung – Ziel aber noch lange nicht erreicht.
Nitrat als Gefahr für Umwelt und Gesundheit
Stickstoff ist ein lebenswichtiger Baustein, der aber besonders durch die Zufuhr über Mineraldünger und Gülle zur Gefahr wird. Übermäßiges Nitrat wird dabei von den Pflanzen nicht aufgenommen und landet in Böden und Gewässern – und damit im Grundwasser. Die Folgen betreffen Trinkwasserqualität und Umwelt gleichermaßen. Während Wasserversorger die Trinkwasserqualität mit teilweise teuren Methoden aufrecht erhalten, versauern Böden, Flüsse, Teichgewässer und Uferbereiche. Der hohe Nitratgehalt fördert das Pflanzen- und Algenwachstum, das Milieu wird sauerstoffarm und eutrophiert, kippt also im schlimmsten Fall um – mit katastrophalen Folgen für die Lebewesen der Ökosysteme.

Die Maßnahmen
Schon seit Jahren steht für die Bundesrepublik die Androhung von hohen Strafzahlungen durch die EU im Raum. Um der hohen Nitratwerte Herr zu werden, hatte das Agrarministerium erst im Frühjahr 2020 das Düngerecht verschärft. Das ist ein notwendiger Schritt, um Nitrateinträge zu reduzieren. Aber reicht das aus? Die Landwirtschaft setzt unter anderem auf Methoden des „Precision Farming“. Hierbei soll mit Methoden der Künstlichen Intelligenz durch eine punktgenau an die Pflanze und den Standort angepasste Menge Stickstoff Überdüngung vermieden werden. Nun soll Künstliche Intelligenz darüber hinaus auch für bessere Prognosen der Nitratgehalte im Grundwasser sorgen.
NiMo 4.0
Im Förderprogramm „KI-Leuchttürme für Umwelt, Klima, Natur und Ressourcen“ unterstützt das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) das Projekt „Nitratmonitoring 4.0 Intelligente Systeme zur nachhaltigen Reduzierung von Nitrat im Grundwasser“, kurz NiMo 4.0. Das Ziel des Projekts ist es, mit Methoden der künstlichen Intelligenz, wie zum Beispiel künstlichen neuronalen Netzen, bessere Prognosen für Nitratgehalte zu erhalten. Sprich: Man will vorhersagen, wann, wo und wie viel Nitrat im Grundwasser auftritt. Das System soll dabei helfen, die Grundwassersituation besser einschätzen zu können. Potenzielle Nutzende sind hier die Landesämter, die für die Überwachung der ökologischen Gegebenheiten zuständig sind sowie Wasserversorger, deren Hauptaugenmerk ein qualitativ hochwertiges Trinkwasser ist.
Pilotgebiete in Baden-Württemberg und Niedersachsen
Das Programm startet mit zwei Testgebieten: Die Landeswasserversorgung Baden-Württemberg und der Wasserzweckverband Niedergrafschaft am Niederrhein haben sich einverstanden erklärt, ihre Datenbasis für das Projekt bereit zu stellen. Das Konsortium will die Daten aus den vorhandenen Messstationen mithilfe neuronaler Netzwerke besser auswerten. Jonas Weis vom KIT erklärt gegenüber RESET, wie das funktioniert: „Neuronale Netzwerke bestehen aus mehreren Ebenen: einer Inputschicht, einer oder mehreren verdeckten Schichten und einer Outputschicht. Gibt man Informationen auf die Inputschicht, so werden sie über die Zwischenschichten verarbeitet und über die Outputschicht ausgegeben. Dabei lernen die künstlichen Neuronen, komplexe Muster aus einer unübersichtlichen Datenbasis zu filtern.“ In diesem Fall bedeutet das etwa: An Messpunkt A wird zum Zeitpunkt X eine bestimmte Dosis Nitrat eingetragen. Der Output ist die Vorhersage der resultierenden Menge Nitrat im Grundwasser zum Zeitpunkt Y. Aus den komplexen Eigenschaften von Boden und Wasser lernen die neuronalen Netzwerke nun Schritt für Schritt und werden mit jeder Berechnung zuverlässiger. Ähnlich dem menschlichen Gehirn, das mit jeder Erfahrung dazulernt, kommen die neuronalen Netzwerke zu immer besseren Ergebnissen – zu exakteren Prognosen, wann an welcher Stelle welcher Nitratgehalt zu erwarten ist.
Und was macht man dann mit diesen Ergebnissen? Ziel ist ein prototypisches System zur Entscheidungsunterstützung. Mit diesem Tool sollen Wasserversorger und Umweltbehörden in die Lage versetzt werden, schneller und besser auf hohe Nitratwerte zu reagieren. Darüber hinaus können künftige Nitratgehalte vorhergesagt und so beispielsweise die Wirksamkeit geplanter Maßnahmen in Vorfeld untersucht werden.

An NiMo 4.0 beteiligt sind die Disy Informationssysteme GmbH, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit seinem Institut für Angewandte Geowissenschaften (AGW), das Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) und das DVGW-Technologiezentrum Wasser (TZW). Das BMU fördert das KI-Leuchtturmprojekt mit 2,5 Millionen Euro. Ergebnisse werden im Jahr 2023 erwartet.