Neuer Report will Mobilitätslösungen auf dem Land zum Durchbruch verhelfen

Während in Städten immer wieder neue Mobilitätslösungen entstehen, passiert bei der nachhaltigen Fortbewegung in ländlichen Gebieten eher wenig. Was können Regierungen und Unternehmen tun, damit Landbewohner*innen komfortabel und klimaschonend unterwegs sind?

Autor Mark Newton:

Übersetzung Mark Newton, 20.02.20

Rund um den Globus können Stadtbewohner*innen eine breite Palette an Fortbewegungsmitteln jenseits des privaten Vehikels nutzen – von Bus, Zug, Straßenbahn und U-Bahn bis hin zu Mitfahrgelegenheiten, Fahrradleihsystemen und gemeinsam genutzten elektrischen Rollern und Co. Über zahlreiche Apps ist es zudem möglich, sich auf dem schnellsten Weg von A nach B bringen zu lassen, indem sie die verschiedenen Transportmöglichkeiten navigieren.

Für Menschen, die in ländlichen Gegenden leben, ist das Reisen ohne eigenes Auto oft zu unbequem, um ernsthaft in Erwägung gezogen zu werden, da es kaum öffentliche Verkehrsmittel gibt – die zudem auf wenige Routen beschränkt sind und selten fahren.

Dieses Ungleichgewicht möchte ein von der Europäischen Union finanziertes Projekt mit dem Bericht SMARTA (Smart Rural Transport Areas) angehen, der die Herausforderungen der ländlichen Mobilität skizziert und Lösungen anbietet. Der Bericht wurde von Forschenden des SMARTA-Konsortiums erarbeitet, das aus MemEx Srl, der Universität Aberdeen, Vectos, Transport & Mobility Leuven NV und europäischen integrierten Projekten besteht. Mit dem Bericht hofft das Team, politischen Entscheidungsträger*innen und lokalen Gruppen die nötige Orientierung zu geben, um nachhaltige Mobilität und Verkehrsinfrastruktur in entlegeneren Gebieten einzuführen.

Was besagt der Bericht?

© SMARTA

In den Jahren 2018 und 2019 untersuchte das Konsortium die aktuelle ländliche Verkehrsinfrastruktur und -politik der 28 EU-Länder sowie einiger ausgewählter anderer Länder. Dabei haben sie einen Überblick über die Ähnlichkeiten und Unterschiede der verschiedenen ländlichen Gemeinden erhalten und einige Projekte untersucht, die für mehr Mobilitätsoptionen in diesen Gebieten sorgen. Ende 2019 starteten sie zudem ein Pilotprojekt, in dem verschiedene Methoden getestet werden, um mehr konkrete Daten darüber zu erhalten, welche Lösungen am effektivsten sind.

Die Forschenden identifizierten drei Hauptkonzepte – von denen viele auch in städtischen Gebieten erfolgreich waren –, die auch für ländliche Regionen modifiziert werden könnten: flexible Verkehrsdienste, gemeinsame Nutzung von Ressourcen und Mitfahrgelegenheiten.

Für flexible Verkehrsdienste muss der traditionelle öffentliche Verkehr angepasst werden; dazu gehört die Einführung von bedarfsgerechten Verkehrskonzepten (Demand Responsive Transport, DRT), die Routen und Fahrpläne nach der Echtzeit-Nachfrage organisieren. Neben der generellen Erweiterung des Angebots und der Reichweite von Bus und Bahn befürwortet der Bericht einen flexibleren Ansatz, wie zum Beispiel die Bereitstellung von „Haus-zu-Haus“- oder „Nahverkehrsoptionen“. Der Einsatz kleinerer Fahrzeuge, wie zum Beispiel Kleinbusse, könnte ebenfalls dazu beitragen, die benötigten Ressourcen zu reduzieren, während gleichzeitig Straßen bedient werden, die für größere Busse ungeeignet sind.

Die gemeinsame Nutzung von Ressourcen betrifft Dienste wie E-Bike und Carsharing, die in städtischen Gebieten bereits weit verbreitet sind. Mangelnde Rentabilität sowie praktische Probleme haben die Nutzung solcher Dienste in ländlicheren Gegenden bisher eingeschränkt. Der Bericht schlägt jedoch vor, dass ein von der Gemeinde geleitetes Sharing-Programm (das besser auf die Anforderungen und Bedürfnisse der jeweiligen Stadt oder des Dorfes abgestimmt ist) dazu beitragen könnte, diese städtischen Lösungen in eine ländlichere Umgebung zu übertragen.

Bei einer Mitfahrzentrale nutzen viele Fahrgäste das gleiche Fahrzeug, das zu ihrem Zielort oder in die Nähe des Zielortes fährt. Freiwillige Mitfahrgelegenheiten und Trampen sind bei vielen aufgrund von Sicherheitsbedenken nicht sehr beliebt, doch der Bericht schlägt vor, dass ein robuster Registrierungsdienst dazu beitragen könnte, diese Optionen mehr Menschen nahe zu bringen. Darüber hinaus sind Fahrgemeinschaften – zum Beispiel zur Arbeit – in der Regel auf Gruppen von Freunden, Kolleg*innen oder Familien beschränkt. Digitale Lösungen könnten dabei helfen, Fahrgemeinschaften über die unmittelbaren sozialen Kreise hinaus auf eine größere Gemeinschaft auszudehnen. Sammeltaxis, die flexiblen Route folgen und keinen festen Fahrplan haben, könnten dazu genutzt werden, Fahrgäste bequem abzuholen und abzusetzen. Die Koordination des Services können Apps und Technologien zur Positionsbestimmung übernehmen.

Der Bericht hebt auch verschiedene digitale Programme hervor, die bereits in einigen ländlicheren Gebieten eingeführt wurden. Hier sind einige unserer Favoriten:

Bummelbus, Luxemburg

Bei ihrer Mobilitätslösung wollte das luxemburgische Arbeitsministerium sowohl die Transportmöglichkeiten erweitern als auch neue Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für Menschen ohne Arbeit schaffen. Das Ergebnis – der Bummelbus – ist ein On-Demand-Service, der in Gebieten unterwegs ist, die bisher nicht vom öffentlichen Verkehr bedient wurden.

Bewohner*innen einer Stadt oder eines Dorfes brauchen den Dienst nur von einem Abholpunkt aus anzurufen und Zeit und Ziel im Umkreis von 35 Kilometern vereinbaren. Per SMS-Nachricht werden sie dann auf dem Laufenden gehalten, bis ihre Mitfahrgelegenheit eintrifft. Der Bummelbus kann für einmalige Fahrten genutzt werden, aber tatsächlich sind etwa 80 Prozent der Fahrten regelmäßig. Damit ist der flexible Bus zu einem wichtigen Bestandteil des Schulweges oder von Freizeitaktivitäten vieler Kinder geworden.

Bummelbus wird auf einer gemeinnützigen Basis betrieben und vom Arbeitsministerium finanziert. Der Dienst wird derzeit in 255 Dörfern im Norden Luxemburgs genutzt, und obwohl er ursprünglich als Hilfe für die traditionellen öffentlichen Verkehrsdienste gedacht war, hat er begonnen, diese in einigen Gebieten zu ersetzen.

Rezo Pouce, Frankreich

Rezo Pouce holt das Trampen ins 21. Jahrhundert mit einer Plattform, die digitale Technologie nutzt, um Reisende auf dem Land schnell, sicher und preiswert zu befördern. Statt nur eine Fortbewegungsart für rucksackbeladene Jugendliche auf dem Weg in ein internationales Abenteuer zu sein, möchte Rezo Pouce das Trampen für Menschen jeden Alters öffnen.

Die Nutzenden der Plattform – sowohl Fahrende als auch Reisende – müssen einen Lichtbildausweis vorlegen und eine Charta für gutes Benehmen bestätigen, bevor sie den Dienst nutzen können. Sie erhalten dann auch eine Smartcard, Fahrzeugaufkleber und eine Liste mit den idealen Orten für Trampen und Abholen. Dann, ähnlich wie bei Uber, suchen die Tramper*innen nach einer Mitfahrgelegenheit. Wenn ein Rezo Pouce-Fahrer oder eine –fahrerin in der Nähe ist und in diese Richtung fährt, erhalten die Reisewilligen eine Benachrichtigung und beide Nutzenden sind miteinander verbunden.

Im Durchschnitt wartet ein Rezo Pouce-Tramper etwa 5 bis 10 Minuten auf eine Fahrt. Die Plattform nutzt nicht nur den leeren Raum in den bereits auf der Straße fahrenden Autos, sondern hofft auch, den Fahrenden und Reisenden ein erhöhtes Sicherheitsgefühl zu vermitteln, so dass das Fahrten per Anhalter wieder zu einer praktikablen Fortbewegungsmethode werden.

Derzeit hat Rezo Pounce 3.043 Haltestellen in 1.305 Gemeinden und deckt etwa 20 Prozent des ländlichen Raums in Frankreich ab.

Texelhopper, Niederlande

Die zwischen den niederländischen Watteninseln gelegene Insel Texel wird nur von einer einzigen Buslinie – der Linie 28 – bedient. Obwohl sie den Großteil der Insel anfährt, ist sie immer noch auf einen traditionellen Fahrplan und eine traditionelle Route beschränkt. Wer sich auf der Suche nach einem anderen Ziel befindet, kann sich an Texelhopper wenden.

Über den Bahnsteig können Texelhopper-Reisende spätestens 30 Minuten vor der Abfahrt an einer der 130 Bushaltestellen der Insel einen Kleinbus buchen. Neben physischen Haltestellen gibt es auch „virtuelle Haltestellen“, die nur innerhalb der App existieren und von den Texelhopper-Bussen bedient werden. Innerhalb von 15 Minuten kommt ein Kleinbus an, der die Reisenden zu jedem gewünschten Punkt bringt.

Texelhopper ist eine Hybridlösung, die mit der Hauptinfrastruktur des öffentlichen Verkehrs zusammenarbeitet, aber den Einheimischen die nötige Flexibilität bietet, um auch die entlegeneren Gebiete zu erreichen. Als solcher ist es ein kostenpflichtiger Service, wobei die Bezahlung vollständig über die App abgewickelt wird.

Die Bereitstellung qualitativ hochwertiger öffentlicher Dienstleistungen , wozu auch der Transport gehört, ist der Schlüssel für die soziale und ökologische Nachhaltigkeit der ländlichen Gebiete. Und während die Städte ihre Verkehrslösungen weiterhin ausbauen, wird die Nachfrage der ländlichen Gebiete nach flexiblen und nachhaltigen Reisemöglichkeiten – die keine eigenen Fahrzeuge erfordern – im Moment einfach nicht erfüllt. Es bleibt zu hoffen, dass der SMARTA-Bericht dazu beitragen kann, nachhaltigere Verkehrslösungen auf dem Land zu fördern, die nicht nur die Umwelt schonen, sondern auch ein neues Gemeinschaftsgefühl und eine neue Verbindung innerhalb der kleiner Städte und Dörfer schaffen.

Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Sarah-Indra Jungblut. Das Original erschien zuerst auf unserer englischen Seite.
 

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