Die Corona-Pandemie hat viele Menschen weltweit vor große Herausforderungen gestellt. Die meisten von uns mussten notgedrungen ihren Alltag umstellen, um Arbeit und Kinder zu schaukeln und soziale Kontakte aufrechtzuerhalten. Dabei hat sich die kollektive Verhaltensänderung massiv auf die Digitalisierung und unsere Umwelt ausgewirkt. Was viele von uns schon geahnt haben, belegt die Kurzstudie, die das Wuppertal-Institut und Ernst & Young (EY) im Auftrag des Bundesumweltministeriums erstellt haben, nun mit Zahlen: Social Distancing und die Verlagerung der Schreibtischarbeit ins Homeoffice haben einen regelrechten Digitalisierungsschub ausgelöst und zu weniger Verkehr, mehr Datenvolumen und einem veränderten Einkaufsverhalten geführt.
Für die Datenrecherche wurden in ausgewählten Bereichen öffentlich verfügbare Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammengestellt, unter anderem aus Umfragen, Auswertungen von Social-Media-Aktivitäten, Statistiken zu tatsächlichem Kaufverhalten und Veröffentlichungen von Unternehmen und Institutionen.
Eine nachhaltige Verhaltensänderung?
Nach Angaben der Studie arbeiteten während des Lockdowns in Deutschland ein Viertel aller Arbeitnehmer*innen zumindest zeitweise im Homeoffice und berufliche Reisen wurden massiv reduziert. Das hat dazu geführt, dass der Personenverkehr – und dabei auch massiv der Flugverkehr – deutlich zurückging. Auch wenn sich in der Vergangenheit die Zahl der Flugreisen für geschäftliche und private Anlässe nach der Finanzkrise oder den SARS-Ausbrüchen immer wieder auf den ursprünglichen Wachstumstrend zurückentwickelt hat, halten die Studienautoren diesmal auch ein anderes Szenario für möglich, da die digitalen Möglichkeiten mittlerweile wesentlich besser entwickelt sind: „In Kombination mit den signifikant höheren Effekten von COVID-19 ist es möglich, dass es zu dauerhafteren Verhaltensänderungen kommt. Darauf lassen die Umfragen zu Erwartungen bei Geschäftsreisen und zur verstärkten Nutzung von Videokonferenzen schließen.“
Laut einer Umfrage erwartet rund ein Drittel der Befragten, dass Meetings auch in den kommenden Jahren durch Videokonferenzen ersetzt werden und dass weniger berufliche Reisen stattfinden werden. Die Studienautoren gehen daher davon aus, dass sich der gesamte Personenverkehr auch langfristig um bis zu acht Prozent reduzieren lasse, wenn Home-Office und virtuelle Arbeitsformen gefördert werden. Anreize dafür könnten sein, Ausgaben für das Homeoffice und Investitionen von Unternehmen in entsprechende Infrastrukturen, Weiterbildungsmaßnahmen und Trainings zu Führung und kollaborativem Arbeiten über digitale Kanäle steuerlich besser anrechenbar zu gestalten.
Ein weiteres Ergebnis der Studie ist das wenig überraschende Wachstum beim Online-Shopping. Umfragen haben neben einem generellen Anstieg der per Paket zugestellten Waren auch ein erhöhtes Interesse an regionalen Produkten nachgewiesen. Allerdings fehlt hier noch häufig der Zugang. Die Studienautoren sehen daher ein Potenzial in der Förderung regionaler digitaler Plattformen: „Seit Beginn der Eindämmungsmaßnahmen gibt es viele Initiativen des lokalen Einzelhandels und von Erzeugernetzwerken mit dem Ziel, neue Vertriebswege über lokale Onlineplattformen zu erschließen. Hier bietet sich ein Potenzial, Investitionen in regionale Wertschöpfungsketten zu verstetigen und das Momentum für einen Strukturwandel zu nutzen.“ Die Förderung regionaler Wertschöpfungsketten könnte sich dabei sowohl aus umwelt- und klimapolitischer Perspektive positiv auswirken als auch die Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit lokaler Strukturen fördern.
Während weniger Bewegung auf unseren Straßen war, sind gleichzeitig mehr Daten durch das weltweite Netz geschickt worden: Angetrieben durch Streaming und Videokonferenzen, ist das Datenvolumen während der Corona-Zeit um rund zehn Prozent angestiegen. Am 10. März wurde der höchste jemals weltweit gemessene Datendurchsatz registriert. „Mit 9,16 Tbit/s wurde am Knoten in Frankfurt ein neuer Weltrekord aufgestellt – pro Sekunde wurde eine Datenmenge übermittelt, die 2 Millionen HD-Videos oder einem 200 Kilometer hohen Stapel beziehungsweise 2 Milliarden DIN-A4-Seiten Text entspricht.“ Verantwortlich für diesen Anstieg waren nach Angaben des Betreibers DE-CIX vor allem Videokonferenzen (+120 Prozent) und eine erhöhte Nutzung von Streaming-Diensten und Cloud Gaming (+ 30 Prozent).
Diese Zahlen zeigen: Digitale Lösungen haben die Auswirkungen des Social Distancing und der Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 in vielen Fällen abgefedert. Doch natürlich bringt die massive Zunahme von Datenströmen auch einen enormen Zuwachs an Energie mit sich. Damit dieser Anstieg nicht zu höheren CO2-Emissionen führt, sind weitreichende Maßnahmen nötig.
Die Chancen der Digitalisierung für den Umwelt- und Klimaschutz nutzen
Die Stellschrauben, die Digitalisierung nachhaltig auszurichten, sind vielfältig: Wesentliche Maßnahmen sind eine nachhaltige Energieversorgung mit erneuerbaren Energien von Rechenzentren und Kommunikationsnetzwerken, die Nutzung der Abwärme und effizientere Kühlsysteme in Rechenzentren und die Entwicklung und Kennzeichnung effizienterer Hard- und Software.
Auch wenn einzelne Anbieter schon auf erneuerbare Energien setzen – viele der Tech-Giganten haben einen Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien bereits umgesetzt oder zeitnah geplant, Cloud-Services sind auch von grünen Servern buchbar – so braucht es dennoch klare politische Rahmenbedingungen, damit der CO2-Fußabdruck der Digitalisierung nicht weiter steigt. Sowohl im Rahmen des Konjunktur-und Krisenbewältigungspakets der Bundesregierung als auch in der im März diesen Jahres vorgelegten Umweltpolitischen Digitalagenda des BMU bietet sich die Chance, tatsächlich weitreichende Maßnahmen in die Wege zu leiten. „Wichtige Ansatzpunkte für die nachhaltige Entwicklung dieses Sektors sind konkrete Maßnahmen zu einer höheren Transparenz dieser kritischen Infrastrukturen. Dies ermöglicht die Weiterentwicklung und verbreitetere Anwendung ökologischer Kriterien für Energieeffizienz und Ressourcenschutz sowie die Förderung konkreter Effizienz- und Klimaschutzmaßnahmen, insbesondere in kommunalen Rechenzentren“, fordern auch die Studienautoren.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat sich zu den Studienergebnissen in einer Pressemitteilung geäußert: „Deutschland hat während des Corona-Lockdowns einen echten Digitalisierungsschub erlebt. Für die Umwelt bietet das Chancen und Risiken. Jetzt kommt es darauf an, durch kluge Politik die Chancen für den Umweltschutz zu nutzen und die Risiken zu minimieren.“
Hoffen wir, dass auf Worte auch Taten folgen! Immerhin ist Bewegung in der Sache. Die umweltpolitische Digitalagenda befindet sich derzeit in der Umsetzung und im Juli ist ein virtuelles Treffen der EU-Umweltministerinnen und -Umweltminister unter deutscher Ratspräsidentschaft zu diesem Thema geplant. Damit soll das Thema „Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ auch auf die europäische Ebene gehoben werden.