Ein neues Siegel für Nachhaltigkeit auf allen Wegen?

Luftaufnahme eines zentrierten Bewässerungssystems

Bio-Siegel fürs Essen sind längst etabliert. Was ist aber mit Elektrogeräten, Werkzeugmaschinen und dergleichen? Das Label „Nachhaltiges Produkt“ stellt die Hersteller auf die Probe und fordert unter anderem soziales Engagement sowie Verantwortung in globalen Lieferketten. Dieser Ansatz wirft Fragen auf.

Autor*in Paul Stadelhofer, 03.04.17

Viele verstehen ihren Einkauf als aktive Mitbestimmung an Produktion und Gesellschaft. Wer aber herausfinden will, welches Produkt mit welchem Siegel was garantiert, sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Gerade wenn es nicht um Lebensmittel geht, sind Produktions- und Lieferketten ein undurchschaubares Dickicht mit internationalen Abwegen. Dort Klarheit zu schaffen wäre schön, grenzt aber fast an Unmöglichkeit.

Ansporn zum nachhaltigen Wirtschaften

Das neue Siegel „Nachhaltiges Produkt“ der Initiative Deutschlandsiegel soll dennoch eine Hilfe sein: „Neben der Politik sind insbesondere Unternehmen gefordert, nachhaltige und transparente Produktlebenszyklen zu schaffen und Nachhaltigkeit als lebbares Selbstverständnis in den Alltag der Konsumenten zu integrieren“, so die Initiatve Deutschlandsiegel auf ihrer Internetseite. Das „verkaufsfördernde“ Label „Nachhaltiges Produkt“ soll also Unternehmen zur Entwicklung intelligenter, energie- und ressourceneffizienter Wertschöpfungsketten motivieren.

Ausgedacht hat sich das Konzept Sven Lilienström. Der Initiator der Initiative Deutschlandsiegel ist auch Inhaber der Agentur rheingewinn Marketing & Public Relations, die das Siegel vergibt. Was er unter Nachhaltigkeit versteht? „Wir definieren Nachhaltigkeit entsprechend ihren drei Dimensionen Wirtschaft, Gesellschaft und Ökologie. Dementsprechend müssen Hersteller von zertifizierten Produkten nachprüfbare Maßnahmen in all diesen drei Dimensionen messbar umgesetzt haben.“

Über 20 Indikatoren wurden dafür im Dialog mit Wirtschaft, Handel Verbrauchern und Experten sowie NGOs entwickelt, sagt Lilienström: „Ziel war es, von Beginn an alle Anspruchsgruppen einzubeziehen.“ Die Indikatoren, die nun zur Prüfung zu Rate gezogen werden sollen, sind an den G4-Richtlinien der Global Reporting Initiative (GRI) sowie an den OECD-Indikatoren für nachhaltige Produktion angelehnt.

Wie wird die Nachhaltigkeit geprüft?

Und wie sieht die Zertifizierung genau aus? „Der Hersteller füllt den zugesandten Kriterienkatalog aus und bestätigt mit seiner Unterschrift, alle Angaben wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen gemacht zu haben. Sollte es dennoch begründete Hinweise auf Abweichungen im Herstellungsprozess oder das Vernachlässigen zentraler Nachhaltigkeitskriterien seitens des Herstellers geben, behalten wird uns die Aberkennung des Labels „Nachhaltiges Produkt“ für das entsprechende Produkt vor“, erklärt Lilienström: „Überdies hinaus führen wir umfangreiche Stichproben in den zertifizierten Unternehmen bundesweit durch.“

Die Lizenzgebühr für das Siegel beträgt knapp 1.000 Euro pro Produkt. Eine Re-Zertifizierung ist nach 36 Monaten Voraussetzung für die weitere Verwendung des Labels. Die Kosten dafür betragen etwa 100 Euro pro Produkt.

Ein Problem – eine Lösung?

Positiv scheint an dem Siegel „Nachhaltiges Produkt“, dass ein ganzheitlicher Ansatz im Dialog mit Unternehmen, NGOs und anderen Akteueren gewählt wurde, der neben der ökologischen auch die soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit berücksichtigt. Für Lilienström ein einzigartiges Kaufargument. Dennoch bemerkt er kritisch: „Wichtig für jedes Label sind eine transparente Kostenstruktur und nachprüfbare Auszeichnungskriterien. Es muss für den Konsumenten nachvollziehbar sein, warum ein Produkt ausgezeichnet bzw. zertifiziert wurde. Was wir sicherlich nicht brauchen, ist ein reines Marketing-Siegel ohne jegliche Substanz und Tiefe.“

Das Problem: Wird nach dem Kriterienkatalog des Siegels beispielsweise der Umgang mit Mitarbeitern oder Kinderarbeit abgefragt, ist nicht klar, wie der gegen den CO2-Ausstoß bei der Produktion oder Nutzung abgewogen werden soll. Je komplexer die Kriterien, desto mehr Konflikte treten schließlich auf. Die Lösung sieht Lilienström ebenfalls im Dialog mit Kunden, Zulieferern und Nicht-Regierungs-Organisationen, die einen Bezug zum Unternehmen haben. Das heißt: „Die Auswertung der Kriterien erfolgt anhand einer Bewertungsmatrix, die wir gemeinsam mit Umweltgutachtern im Rahmen der Multistakeholderbefragung erarbeitet haben. Anhand einer Wesentlichkeitsanalyse mit den Stakeholdern des zu zertifizierenden Unternehmens werden vor dem Ausfüllen des Kriterienkatalogs die als wesentlich erachteten Indikatoren festgelegt“, so der Initiator.

Für die Zertifizierung mit dem neuen Label liegen derzeit Anmeldungen von 16 Herstellern vor. Eine rechtliche Anerkennung des Siegels ist nicht gegeben. „Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Schließlich gibt es uns erst seit wenigen Monaten“, sagt Lilienström.

Fazit

Was das Siegel wirklich nutzt, ist so lange offen, bis die ersten Produkte geprüft wurden und eventuell auch Beschwerden eingegangen sind. Mehr noch: Auch wenn die Global Reporting Initiative, die Hauptquelle der angeführten Indikatoren, international anerkannt ist, ist die genaue Gewichtung der Indikatoren sowie die generelle Messbarkeit der Nachhaltigkeit fraglich. Werden Produkte zertifiziert, ist beispielsweise nicht klar, warum der Carbon Footprint kein verpflichtender Teil des Prozessaudits ist, wenn doch alle den Klimawandel fürchten? Da das Siegel auch explizit für Produkte ist, die auf globalen Wegen gefertigt wurden, helfen die Prüfungen in Deutschland wenig.

Insgesamt wirft das Siegel momentan mehr Fragen auf, als es Antworten für verantwortungsbewusste Konsumenten bietet. Bereits etablierte Siegel, wie der Blaue Engel, sind derzeit wahrscheinlich eine bessere Orientierung beim Einkauf.

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