Die EU will die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen umsetzen und hat dazu verschiedene, ambitionierte Maßnahmenpakete auf den Weg gebracht. Einige dieser Maßnahmen haben wir in unserem Hintergrundartikel beleuchtet. Unser Fazit in Sachen EU-Nachhaltigkeitspolitik: Es geht zwar voran, doch es gibt noch viel Luft nach oben. Die EU ist längst nicht das Vorbild, als das sie sich selbst gern geriert. Zurecht wird kritisiert, dass nach der Formulierung ambitionierter Pläne oft an deren konsequenter Umsetzung und an Anreizen dafür bzw. entsprechenden Sanktionen hapert.
Doch es gibt auch eine Vielzahl an EU-geförderten Projekten, die konkrete Lösungswege aufzeigen und im Kleinen beweisen, was im Großen erreicht werden kann. Wir haben uns drei solcher Mut machenden Vorbilder genauer angesehen.
GrowSmarter: Digitalisierung und Vernetzung für nachhaltigere Städte
Das Projekt GrowSmarter ist ein Beispiel einer guten Zusammenarbeit zwischen mehreren Mitgliedsstaaten mit Hilfe von Fördermitteln der EU. Das Ziel des Projekts ist es, Städte „smarter“ zu gestalten, um den neuen Bedürfnissen der Bewohner*innen in einer urbanisierten Welt gerecht zu werden und gleichzeitig unterstützend zur Verkleinerung des ökologischen Fußabdrucks beizutragen. „Smarter“ beinhaltet hierbei einen Fokus auf digitalen Lösungen und Vernetzung zur Erreichung der Ziele.
GrowSmarter hat zwölf intelligente Lösungen formuliert, die sich auf die Bereiche Energie, Infrastruktur und Mobilität beziehen. Das Projekt schafft ein Netzwerk zwischen teilnehmenden Städten und Partnerunternehmen. Diese Partner entwickeln nachhaltige Technologien für die einzelnen Teilbereiche. Ziel ist es, den Übergang zu einem smarten, nachhaltigen Europa zu unterstützen. Im Mittelpunkt stehen drei sogenannte Leuchtturmstädte: Barcelona, Köln und Stockholm. Diese Vorbilder sollen durch die Verwirklichung verschiedener Projekte zeigen, wie „smart“ in der Praxis funktionieren kann und berichten in regelmäßigen Abständen von ihren Fortschritten. Die im Rahmen des Projekts entwickelten intelligenten Lösungen sollen von fünf sogenannten Follower-Cities (Graz, Suceava, Valetta, Porto, Cork) weitergeführt werden. Mittelfristiges Ziel ist dann, die Lösungen auch anderen Städten Europas zur Verfügung zu stellen und so zu nachhaltigem Wachstum in der EU beizutragen.
GrowSmarter kann heute nach einer Laufzeit von fünf Jahren bereits beeindruckende Ergebnisse vorweisen. Im Stadtteil Köln-Mülheim wurde eine in den 50er Jahren gebaute Siedlung vollständig modernisiert. Mit Hilfe von Photovoltaik-Anlagen und durch den Einsatz von intelligenten Smart-Home-Systemen sind die Gebäude nun äußerst energieeffizient. Außerdem wurden an verschiedenen Standorten in der Stadt Ladestationen an Straßenlaternen installiert. In Stockholm wurden neben Renovierungen und Modernisierungen von Gebäuden zusätzlich eine Biogas-Anlage, betrieben durch Grünabfälle sowie ein Sharing-Pool von Autos und Fahrrädern für die Bewohner*innen einer Siedlung etabliert. In Barcelona wird durch intelligente Lichtmanagementsysteme Energie bei der Straßenbeleuchtung eingespart. Diese Systeme schalten sich nach Messung des Tageslichts automatisch ein und aus und sind sogar in der Lage sich erst selbst zu aktivieren, wenn sich ein Passant nähert.
Die teilnehmenden Städte sind auf einem guten Weg, sich zu einer „Smart City“ zu entwickeln. Die Vernetzung der Standorte und ihre regelmäßigen Statusberichte tragen außerdem zu gesamteuropäischen Lerneffekten bei.
Wiltz: Ein Labor für die Kreislaufwirtschaft
In der Gemeinde Wiltz in Luxemburg ist ein weiteres von der EU gefördertes Positiv-Projekt angesiedelt. Wiltz trägt den offiziellen Titel „Kommunaler Hotspot der Economie Circulaire“. Die Gemeinde soll als „Labor“ genutzt werden, in dem verschiedene Projekte und Ideen der Kreislaufwirtschaft umgesetzt und getestet werden können. Ziel ist es, erfolgreiche Initiativen dann auch in anderen Gemeinden anzuwenden. Die Gegend eignet sich gut für ein solches Projekt, da viele alte und leerstehende Industrieanlagen vorhanden sind, die sinnvoll genutzt werden können. Um die guten Vorsätze weiter zu institutionalisieren, wurde 2018 eine „Charta für die Economie Circulaire“ unterzeichnet, die bei allen zukünftigen Projekten und Tätigkeiten angewandt werden soll, um einen positiven Fußabdruck in der Region zu fördern und so Verantwortung gegenüber nächsten Generationen zu übernehmen. Die Gemeinde hat sich so selbst zur Förderung von Projekten mit dem Ziel der Verbesserung der Kreislaufwirtschaft verpflichtet. Nach Unterzeichnung der Charta wurden schon beeindruckende Fortschritte erreicht.

Pierre Koppes, beigeordneter Bürgermeister von Wiltz und dort verantwortlich für die Umsetzung der Kreislauflaufwirtschaft, berichtet gegenüber RESET: „Aktuell haben wir mehr als 20 Projekte in unterschiedlichen Bereichen, die den Kriterien der Circular Economy entsprechen. Das sind größere Bauprojekte aber auch zum Beispiel eine Studie über den Materialfluss in unserer Gemeinde.“ Das ambitionierteste Teilprojekt ist wohl der Bau einer neuen Siedlung mit über 700 Wohneinheiten. Pierre Koppes erklärt: „Hier wird es auch um Sharing Economy gehen“. Die Siedlung soll bezüglich Kreislaufwirtschaft, gemeinschaftlicher Produktion und Organisation, sowie geringem Energieverbrauch eine wegweisende und fortschrittliche Position einnehmen. Zudem wird im Herbst ein „Circular Innovation Hub“ eröffnet werden. „Dieses Hub wird interaktiv funktionieren und auch regelmäßig Veranstaltungen respektive Weiterbildungen zum Thema Circular Economy anbieten“, so Koppes.In den nächsten Jahren soll das Hub dann zum Kompetenz- und Bildungszentrum ausgebaut werden.
Die Gemeinde Wiltz hat das Potenzial, als Vorbild für andere Gemeinden in ganz Europa zu fungieren. Durch die Förderung der EU konnte hier ein Versuchsort eingerichtet werden, von dem die europäische Gemeinschaft viel lernen kann.
NEW 4.0: Gelungene Nachbarschaftshilfe
Eine der größten Herausforderungen unserer europäischen Gesellschaft ist ohne Zweifel der Wechsel von konventionellen Energieträgern wie Kohle- und Atomkraft zu Strom aus erneuerbaren Energien. Auch dieses Ziel ist nur zu erreichen, wenn verschiedene Akteure mit innovativen Ideen an einem Strang ziehen. Ein Beispiel für eine solche Zusammenarbeit finden wir im Norden Deutschlands: Im Projekt NEW 4.0 – Norddeutsche EnergieWende 4.0 wollen 60 Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik die Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein bis 2035 vollständig mit erneuerbarem Strom versorgen.
Das Küstenland Schleswig-Holstein wäre schon heute in der Lage, sich zu 150 Prozent selbst mit erneuerbaren Energien zu versorgen, während die Metropole Hamburg durch die ansässige Industrie einen sehr hohen Stromverbrauch hat, sich selbst derzeit jedoch nur zu vier Prozent mit erneuerbaren Energien versorgen kann. Die lisogische Schlussfolgerung: die Überproduktion an Strom aus Schleswig-Holstein direkt an den benachbarten Stadtstaat weiterzuleiten. Das Vorhaben hört sich allerdings leichter an als es ist: Die Netzfrequenz muss stets gleich gehalten werden, weshalb Erzeugung und Verbrauch immer genau aufeinander abgestimmt sein müssen. NEW 4.0 will zeigen, dass dies möglich ist. Dabei bauen die Akteure auf die vierte industrielle Revolution: Die Digitalisierung der Industrie und eine intelligente Vernetzung der Systeme. Auch dieses Projekt zeigt, dass durch Vernetzung und wechselseitigem Transfer von Wissen und Expertise große Fortschritte erreicht werden können, vor allem mit Hilfe digitaler Technologien.
Wir haben das Projekt NEW 4.0 genauer unterdie Lupe genommen, hier geht’s zum vollständigen Artikel.
Fazit: Es geht, wenn Akteure zusammenarbeiten
Die drei vorgestellten Projekte sind nur ein Bruchteil dessen, was EU-weit gerade realisiert wird, um die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung erreichen zu können. Und oft scheint es insbesondere dort gut zu funktionieren, wo verschiedene Akteure aus Politik, Wissenschaft, Industrie und Gesellschaft zusammengehen. Die Europäische Union kann solche Projekte durch ihre Förderung ermöglichen oder unterstützen und den Fortschritt so beschleunigen.
Wir brauchen noch mehr Vorreiter um einen ganzheitlichen Wandel anzustoßen und umzusetzen. Hier sollte die EU weiter ansetzen und durch gezielte Förderung gute Ideen noch stärker unterstützen. Um weiter voran zu kommen, müssen alle an einem Strang ziehen.
Du willst mehr zum Thema erfahren? Hier geht’s zu unserem Hintergrundartikel: EU-Nachhaltigkeitspolitik: Wie weit sind wir heute?