Mit Low Tech und High Comfort zum Schulgebäude der Zukunft

Valentin Schmied
Gebäude aus Holz und Beton - Kontrast zwischen "warm" und "kalt" wirkenden Baumaterialien.

Komfortabel und klimapositiv – Architekt*innen, Ingenieur*innen und Lehrer*innen haben gemeinsam mit der Stadt Aalen ein zukunftsweisendes Schulgebäude geplant.

Autor*in Luisa Ilse, 06.09.23

Übersetzung Lana O'Sullivan:

Nähert man sich dem neuen Schulgebäude des Schubart-Gymnasiums in Aalen, dann fällt zuerst seine asymmetrische Dachform auf. In den Giebeln des nordorientierten Sheddachs befinden sich Oberlichter, die Horizontalen sind mit Solarpaneelen bedeckt. Ein Blick ins Gebäude zeigt helle Räume, die Decken und teilweise auch die Wände sind aus Holz. Was nicht sofort ersichtlich ist: Das Gebäude ist im Betrieb klimapositiv – jedes Jahr werden rund fünf Tonnen CO2 eingespart.

Die Holz-Beton-Hybrid-Konstruktion, die 2019 fertiggestellt wurde, weist einen jährlichen Primärenergiebedarf von etwa 47 Kilowattstunden pro Quadratmeter auf. Vergleichbare Standardgebäude haben üblicherweise einen jährlichen Primärenergiebedarf von rund 81 Kilowattstunden pro Quadratmeter.

Die Zahlen sind beachtlich, denn eine Schule energieeffizient zu gestalten ist eine Herausforderung. Die großen Räume müssen im Sommer gut belüftet und im Winter geheizt werden. Hunderte Schüler*innen bewegen sich jeden Tag durch die Räume und Gänge, die Türen gehen ständig auf und zu.

Low Tech und High Comfort

Unter dem Motto „Low Tech – High Comfort“ lag der Fokus der Architekt*innen von Liebel/ Architekten BDA in Zusammenarbeit mit den Klimaingenieur*innen von Transsolar bei der Planung des Schulbaus auf einer hohen Aufenthaltsqualität für die Schüler*innen und Lehrer*innen. Diese wurde beispielsweise über eine gute Raumakustik, viel Tageslicht und die sorgsame Wahl von Oberflächenmaterialien wie Holz erreicht. Dazu erklärt der beteiligte Architekt Bernd Liebel: „Wir arbeiten in der Regel von Beginn an gemeinsam mit Klimaingenieur*innen an einem Konzept, das den technischen Aufwand beim Gebäudebetrieb reduziert. Ziel ist es, mit einem geringen Energieverbrauch ein Maximum an Komfort (u. a. Thermik, Beleuchtung, Akustik) für die Gebäudenutzer*innen zu erreichen. Gleichzeitig sollen die CO2-Emissionen auf ein Minimum reduziert werden – sowohl im Betrieb als auch in der Konstruktion.“

Durch die Holz-Kastenbauweise des Daches wird gegenüber Massivholzkonstruktionen bei gleicher statischer Effizienz mehr als 50 Prozent Material eingespart. Das verwendete Holz stammt ausschließlich aus heimischen, nachhaltig bewirtschafteten Wäldern. Außerdem wurde bei der Planung sowohl Wert auf Langlebigkeit und Austauschbarkeit von Oberflächen zur Erneuerung als auch auf Nachinstallationsmöglichkeiten von Informationstechnik gelegt.

Valentin Schmied
Fenster als Oberlichter minimieren den Einsatz künstlicher Beleuchtung und senken dadurch den Strombedarf.

Der Neubau wurde als „aktives Haus“ geplant. Seine Photovoltaikanlage auf dem Dach produziert mehr Energie als das Gebäude selbst benötigt – damit können rund fünf Tonnen CO2 jährlich eingespart werden. Dies ist auch dank der optimierten Tageslichtnutzung der Klassenräume möglich. Die Oberlichter minimieren den Einsatz von künstlicher Beleuchtung und senken gleichzeitig den Strombedarf des Schulbaus. Ein Erdkanal erwärmt beziehungsweise kühlt die Zuluft. In Kombination mit einer energiearmen Schublüftung führt dies zu einer Energieeinsparung von etwa 80 Prozent gegenüber konventionellen Lüftungsanlagen.

Und das Gebäude hat noch eine Besonderheit: Bei der Planung des Gebäudes haben detaillierte Simulationen gezeigt, dass bei dem permanenten Türöffnen und -schließen zusätzliche Dämmung nur wenig Energie einsparen würde, der Kostenmehraufwand aber sehr hoch wäre. Daher wurde keine Passivhausqualität realisiert, sondern lediglich ein guter Dämmstandard. Das aktive Haus war war somit nicht teurer als ein Passivhaus.

Schulleitung und Fachlehrer*innen wurden von Anfang an bei der Planung des klimapositiven Plus-Energie-Fachklassentrakts beteiligt. Das hat dazu geführt, dass die Gestaltung des Fachtrakts für Chemie und Biologie den speziellen, didaktischen Wünschen angepasst werden konnte.

So energieeffizient ein Gebäude auch gestaltet sein mag – das Verhalten der Nutzenden hat nach wie vor einen großen Einfluss auf den tatsächlichen Energieverbrauch. Daher gab es vor Betriebsstart eine Einführung zum Lüftungs- und Energiekonzept sowie zum richtigen Nutzungsverhalten, um das fertige Schulgebäude möglichst energieeffizient nutzen zu können.

Nachhaltigkeit über den Bau hinaus

Um den Energieverbrauch des Schulgebäudes unter realen Bedingungen weiter zu optimieren, werden die einzelnen Komponenten wie Lüftung, Heizung, und Wärmetauscher weiter überwacht. Dazu ist das Gebäude mit einer Mess-Steuer-Regeltechnik ausgestattet, die übergreifend über die Komponenten auch die Störungen und Wartungsimpulse aufnimmt und dann an die zuständigen Stellen automatisiert weitergibt.

Und auch die Schüler*innen und Lehrer*innen sollen nach Fertigstellung des Funktionsbaus in den Betrieb des Schulgebäudes eingebunden werden. Zu diesem Zweck wird zusammen mit der Hochschule Aalen eine App entwickelt, die mithilfe von im Gebäude integrierten Sensoren Feedback zu den energetischen Zusammenhängen und dem Einfluss des Nutzungsverhaltens geben soll. So können die Schüler*innen und Lehrer*innen ihren Einfluss auf den Energieverbrauch sehen und davon lernen.

Gebäude sind ein CO2-Schwergewicht: Das Bauen, Wärmen, Kühlen und Entsorgen unserer Häuser hat einen Anteil von rund 40 Prozent an den CO2-Emissionen Deutschlands. Unsere Klimaziele erreichen wir nur, wenn diese Emissionen massiv gesenkt werden.

Wie aber gelingt die nachhaltige Transformation der Gebäude und welche Rolle spielen digitale Lösungen dabei? Das RESET-Greenbook gibt Antworten: Gebäudewende – Häuser und Quartiere intelligent transformieren

Die Architekt*innen von Liebel/ Architekten BDA planen verschiedenste Funktionsbauten und Wohnhäuser mit nachhaltigem Schwerpunkt. Wesentlich an den Gebäuden ist, dass – abhängig von der Bauaufgabe – unterschiedliche, energieeffiziente Technologien darin vereint werden.

Doch der Weg dorthin ist laut Liebel nicht immer leicht: „Oft stehen Normierungen und Verordnungen innovativen, nachhaltigen Lösungen, die auf Low Tech basieren, entgegen und verhindern Konzepte, die auf eine erhebliche Reduzierung des CO2-Verbrauchs abzielen. Im Bereich des zirkulären Bauens muss die Verfügbarkeit von Materialien einfacher für alle zugänglich gemacht werden – zum Beispiel wo wird was und wann zurückgebaut, was kann davon wiederverwendet werden.“

Der klimapositive Plus-Energie-Fachklassentrakt wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Bundespreis Umwelt und Bauen 2020 und der Green Solutions Awards Deutschland 2020 – 2021.

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Dieser Artikel gehört zum Dossier „Gebäudewende – Häuser und Quartiere intelligent transformieren“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.

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