Wir treffen uns „virtuell“ und speichern unsere Daten in der „Cloud”. Das klingt danach, als wäre unsere digitale Welt quasi immateriell. Leider ist das Gegenteil der Fall: Die Geräte und Infrastruktur, die uns überhaupt erst Zugang in die Cloud und anderen digitalen Services verschaffen, sind extrem ressourcenintensiv. So wird geschätzt, dass beispielsweise eine in Frankreich lebende Person durch die Nutzung von IKT und die Herstellung von Geräten durchschnittlich 949 Kilogramm Ressourcen verbraucht und 301 Kilogramm Abfall pro Jahr erzeugt. Damit macht die Gewinnung und Verarbeitung von Materialien und die Herstellung und der Vertrieb der digitalen Produkte den größten Anteil am ökologischen Fußabdruck der Digitalisierung aus. Und natürlich geht es noch weiter mit unserem Ressourcenverbrauch, wie ein Blick auf die Gegenstände um dich herum mit Sicherheit offenbart.
Doch die Gewinnung der Materialien, aus denen unsere glänzenden, neuen Besitztümer bestehen, bedroht Regionen weltweit. Sie saugt Süßwasserressourcen ab, zerstört die Artenvielfalt, verunreinigt lokale Wasserreservoirs und treibt die CO2-Emissionen in die Höhe. Europa verschwendet die Rohstoffe unseres Planeten.
Die EU steht nun vor einem Problem, das sie selbst verursacht hat. Angesichts des wachsenden Drucks, den immensen Materialbedarf des digitalen Wandels zu bewältigen, den sie als mögliche Lösung für den Klimawandel angekündigt hatte, verabschiedete sie im Mai 2024 hastig das Gesetz über kritische Rohstoffe (CRMA). Die Ziele des Gesetzes – bis 2030 10 Prozent des jährlichen strategischen Rohstoffverbrauchs der EU zu gewinnen, 40 Prozent zu verarbeiten und 25 Prozent zu recyceln – sind klar und strategisch. Allerdings übersehen die Maßnahmen den entscheidenden Fehler in der europäischen Rohstoffpolitik: ihren ungerechten Verbrauch.
„Der Wettlauf um das, was übrig bleibt”
Die Politik der EU ist seit jeher von dem Wunsch nach „Versorgungssicherheit” geprägt. Die Union ist in erster Linie darauf bedacht, dass genügend Rohstoffe in die EU gelangen, um die Güter und Infrastruktur herzustellen, die ihre Wirtschaft am Laufen halten. Übersehen werden dabei jedoch die enormen sozialen und ökologischen Schäden, die dieser Wirtschaft zugrunde liegen. Wie der Politikwissenschaftler Michael T. Klare in seinem wegweisenden Buch „The Race for What’s Left” aus dem Jahr 2012 warnte, basiert dieses Wirtschaftsmodell darauf, die zerstörerischen ersten Phasen der Wertschöpfung in den globalen Süden auszulagern. „Die Industrieländer versuchen – über ihre transnationalen Konzerne –, die Last der zerstörerischen Rohstoffgewinnung in die Randgebiete zu verlagern, während sie sich den Großteil der Gewinne und die ‚attraktiveren‘ Segmente der Produktionskette selbst sichern.“
Mehr als ein Jahrzehnt später verdeutlichen die Zahlen das Ausmaß dieses Problems besser denn je. Die EU, die weniger als sechs Prozent der Weltbevölkerung ausmacht, verbraucht schätzungsweise 25 bis 30 Prozent der weltweiten Ressourcen. Dieser Hunger nach Rohstoffen zerstört unseren Planeten. Allein der Abbau der Rohstoffe für unsere Autos, Geräte und Batterien, ohne sie zu verarbeiten oder zu exportieren, trägt jährlich zu 4 bis 7 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen bei. Außerdem steht die Ressourcengewinnung im Zusammenhang mit großen Konflikten um Land und Wasser auf der ganzen Welt.
Die Nachfrage nach Kobalt für Elektrofahrzeuge steht in direktem Zusammenhang mit dem Einsatz von Kinderarbeit in der DR Kongo
„Die Namen Tesla, Renault und Volvo sagen Pierre nichts. Er hat noch nie von einem Elektroauto gehört. Aber wenn er jeden Morgen in der geschäftigen, staubigen Stadt Fungurume im südlichen Bergbaugürtel der Demokratischen Republik Kongo zur Arbeit geht, ist er das erste Glied in einer Lieferkette, die die Revolution der Elektrofahrzeuge und das Versprechen einer dekarbonisierten Zukunft vorantreibt.
Pierre baut Kobalt ab, eines der weltweit begehrtesten Mineralien und ein wichtiger Bestandteil der Batterien, die die meisten Elektrofahrzeuge antreiben.“
Pete Pattisson und Febriana Firdaus, The Guardian.
Die Abhängigkeit von importierten Rohstoffen bringt Europa in eine prekäre Lage
China deckt 100 Prozent des Bedarfs der EU an schweren Seltenerdelementen, die für die globale Energiewende von entscheidender Bedeutung sind. Die Türkei liefert 98 Prozent des Borbedarfs der EU, während 71 Prozent des Platinbedarfs der EU aus Südafrika stammen. Das macht Europa abhängig von einzelnen Ländern. Die Probleme, die das mit sich bringt, werden besonders deutlich in geopolitischen Krisen wie der russischen Invasion in der Ukraine im Jahr 2022.
Die Abhängigkeit von einzelnen Ländern birgt auch Risiken, wenn klimabedingte Ereignisse den lokalen Bergbau oder die Energieproduktion beeinträchtigen. Im Jahr 2021 führten starke Regenfälle in der chinesischen Provinz Shanxi zu einem Rückgang der Kohleproduktion und zwangen zu Kürzungen bei der Magnesium- und Aluminiumproduktion. Die daraus resultierenden Engpässe trafen die EU-Industrie, insbesondere den Automobilsektor, der stark von chinesischem Magnesium abhängig ist.
Eine „Rohstoffwende“
Für Michael Reckordt, Rohstoffexperte bei PowerShift, ist klar, dass das Gesetz über kritische Rohstoffe (CRMA) nicht ausreicht, wenn wir eine gerechte und ausgewogene Zukunft für unseren Planeten wollen. Die zivilgesellschaftliche Organisation PowerShift setzt sich für das ein, was sie als „Rohstoffwende“ bezeichnet.
Reckordt hat im Gespräch mit RESET drei Gründe genannt, warum das CRMA seine Ziele wahrscheinlich nicht erreichen wird. Erstens gehe sie nicht auf das Grundproblem des unverhältnismäßigen Ressourcenverbrauchs der EU ein, zu dem auch eine ungeheuerliche Verschwendung gehöre (wir meinen auch dich, E-Zigarette!). Zweitens übersehe sie das steigende Risiko von Versorgungsunterbrechungen aufgrund sozialer und ökologischer Probleme wie Protesten und Klimaereignissen. Und schließlich würde sie durch das Fehlen weltweit bedeutender Rohstoffunternehmen in der EU behindert. Hinzu käme ein Mangel an optimierten, nachhaltigen Finanzierungsmechanismen für den Bergbau, so Reckordt.
Wofür steht die „Rohstoffwende“?
Die CRMA empfiehlt lediglich, „den erwarteten Anstieg des Verbrauchs kritischer Rohstoffe zu moderieren“. Im Gegensatz dazu fordert die Rohstoffwende:
Verbindliche Verbrauchsminderungsziele: Eine messbare Verringerung des Material-Fußabdrucks der EU vorschreiben. Dazu gehört, den politischen Fokus von der Frage, wie viel gefördert wird, auf die Frage zu verlagern, wie wenig verbraucht wird.
Sorgfaltspflicht: Über schwache Zertifizierungen der Lieferkette hinaus zu fairen Handelsabkommen, die den Partnerländern wirklich zugutekommen und das Recht der betroffenen lokalen Gemeinschaften respektieren, Nein zu sagen. Die Schließung der Kupfermine in Panama im Jahr 2023, die auf Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen folgte, ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig soziale Resilienz für die Versorgungssicherheit ist.
Kreislaufwirtschaft: Fokus auf Umdenken, Reduzieren, Wiederverwenden und Reparieren, um Materialien länger im System zu halten und den Bedarf an neuen Ressourcen zu minimieren.
PowerShift argumentiert, dass eine wirklich nachhaltige Rohstoffpolitik nicht nur eine Politik ist, die die Gewinnung diversifiziert. Vielmehr ist es eine Politik, die den Bedarf an Primärrohstoffen von vornherein drastisch reduziert. Die Organisation stützt ihre Position auf eine einfache, aber politisch scheinbar komplizierte Forderung: Wirtschaftliche Aktivität muss von der Ressourcenverknappung und ökologischen Schäden getrennt werden.
Die Rohstoffwende ist dabei nicht nur ein rein aktivistischer Ansatz, sondern auch pragmatisch sinnvoll. Eine Verringerung des Verbrauchs würde eine geringere Nachfrage Europas nach endlichen globalen Ressourcen bedeuten. Das würde nicht nur den ökologischen Fußabdruck verringern, sondern auch das geopolitische Risiko reduzieren, indem es die Macht der Nationen, die derzeit die Lieferkette dominieren, schwächt.
In der Realität ist eine vollständige Umkehrung unseres Umgangs mit Rohstoffen jedoch eine immense Herausforderung. „Derzeit sind eine verbesserte Kreislaufwirtschaft und die fortgesetzte Zusammenarbeit mit Unternehmen, die bereits ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen, sicherlich politisch durchsetzbar“, erklärt Reckordt. Um Dinge über diesen überschaubaren Rahmen hinaus zu verändern, bräuchte es jedoch eine enorme Kraft. „Diese wird entweder durch Planung oder durch eine Katastrophe zustande kommen.“
Über das „Business as usual“ hinaus
Mit dem Konzept der Rohstoffwende versucht PowerShift bereits seit 2010 die Debatte von der einfachen Frage „Wie sichern wir uns mehr Ressourcen?“ zu der grundlegenderen Frage „Wie verbrauchen wir weniger und gerechter?“ zu verlagern. Die Organisation hat das Thema erfolgreich bei politischen Entscheidungsträger:innen in Berlin und Brüssel platziert und sich als Gründungsmitglied der EU-Rohstoffkoalition etabliert.
Laut Reckordt ist es jedoch noch ein langer Weg, bis die Krise wirklich verstanden wird. „Die größte Herausforderung ist das mangelnde politische Verständnis für die Endlichkeit der Metallressourcen, die Kritikalität ihrer verschwenderischen Nutzung und die daraus resultierende mangelnde politische Bereitschaft, etwas zu ändern.“
Wie sieht eine grüne digitale Zukunft aus?
Elektroschrott, CO2-Emissionen durch KI, Wasserverbrauch von Rechenzentren – aktuell scheint die ungezügelte Digitalisierung nicht mit einem gesunden Planeten vereinbar. Doch es gibt viele Lösungen für eine ökologische und faire Digitalisierung – wir haben sie recherchiert:
Das derzeitige System ist ein bürokratisches Schlachtfeld
Viele Unternehmen würden hinter verschlossenen Türen den Wert von Gesetzen wie dem Lieferkettengesetz anerkennen und darauf hinweisen, dass die gesammelten Daten „wichtig sind, um Menschenrechte und die Umwelt zu schützen“, so Reckordt. Und, was entscheidend ist, dass sie „ihnen helfen, widerstandsfähig für Versorgungsrisiken zu sein“. Diese Gesetze (einschließlich des deutschen Lieferkettengesetzes und der europäischen CSDDD) würden derzeit jedoch von Industrieverbänden und konservativen Parteien unter dem „ideologischen Slogan des ‚bürokratischen Monsters‘“ bekämpft.
Es ist also dringend nötig, dass Europa erkennt, dass der „Wettlauf um das, was übrig bleibt“ nicht einfach durch schnellere Förderung gewonnen werden kann. Der derzeitige Kurs, der mit dem CRMA im Einklang steht, sieht vor, die Genehmigungen für den Bergbau in Europa innerhalb von 27 Monaten zu beschleunigen. Damit werden die Rechte der Gemeinden im Grunde genommen ignoriert und es wird nicht einmal ein konkretes Reduktionsziel festgelegt. Damit wurden mit dem CRMA zwar klare Ziele für die heimische Rohstoffgewinnung und das Recycling festgelegt. Aber das jahrhundertealte Industriemodell, das auf der Idee basiert, dass Europa unbegrenzt Rohstoffe verbrauchen kann, besteht weiter.
Möglichst nachhaltigen Laptop kaufen: Refurbished oder recycelt?
Du brauchst ein neues Notebook, hast aber gehört, dass Computer einen großen ökologischen Rucksack haben? Wir verraten dir, wie du möglichst nachhaltig einen neuen Laptop kaufst.
Europa braucht jedoch eine Politik, die ökologische Grenzen und Menschenrechte in den Mittelpunkt der Wirtschaftsstrategie stellt, wie sie PowerShift mit seiner Rohstoffwende anstößt. Das ist nicht nur aus moralischer Sicht richtig, sondern auch realistischer. Der digitale Wandel kann und wird kein grüner Wandel sein, solange die EU kein verbindliches Ziel für die absolute Reduzierung des Materialverbrauchs festlegt. Andernfalls wird ihre Rohstoffpolitik weiterhin ein reaktiver, kurzfristiger Kampf um die Versorgung sein, der ein ungerechtes Industriemodell aufrechterhält, anstatt eine global verantwortungsvolle und nachhaltige Zukunft zu gestalten.

Dieser Artikel ist Teil des Dossiers „Digital und grün – Lösungen für eine nachhaltige Digitalisierung“, in dessen Rahmen wir Lösungen für eine ökologische und faire Digitalisierung vorstellen. Wir danken der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) für die Projektförderung!
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