Mit CargoSurfer kommen unsere Waren demnächst per Anhalter

Digitale Tools können Mitfahrgelegenheiten für Güter erleichtern – und so die Logistik auf der letzten Meile nachhaltiger aufstellen.

Autor Laura Preising:

Übersetzung Sarah-Indra Jungblut, 03.04.23

Egal, ob per Klick im Online-Shop bestellt oder im Supermarkt in den Einkaufwagen gepackt – um zu uns zu gelangen legen Waren mitunter lange Wege zurück. Die Logistikbranche trägt etwa 5 Prozent zum BIP der EU bei und bietet über 10 Millionen Menschen Arbeit.

Da die meisten Waren in der EU per Lkw transportiert werden, hat dieses wichtige System einen hohen Preis: Treibhausgasemissionen, Schadstoffe, Lärmbelästigung, Verkehrsunfälle und Staus. Gegenwärtig machen die Verkehrsemissionen mit rund 25 Prozent einen erheblichen Teil der gesamten CO2-Emissionen in der EU aus.

Mobilitätswende – Smart in Richtung Klimaneutralität

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Aber es gibt Möglichkeiten, diese Emissionen zu senken. An erster Stelle sollte es natürlich darum gehen, Warentransporten von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Und dann lässt sich auch hier einiges optimieren, zum Beispiel, wenn der Güterverkehr mit dem Personenverkehr kombiniert wird. Das Konzept ist einfach – man kann es sich wie Trampen von Frachtgütern vorstellen. Wenn in einem Personenzug ein Platz frei ist, warum sollte man ihn nicht nutzen, um Güter von A nach B zu transportieren? Auf diese Weise wird die Auslastung optimiert, die Anzahl der Fahrten reduziert, es werden Zeit und Kosten gespart und die Emissionen erheblich reduziert.

Das so genannte „Freight on Transit“ oder „FOT“ ist ein neuartiges Logistikkonzept, das uns den Weg in eine nachhaltigere Zukunft weisen könnte. Es erfordert aber auch eine gute Koordination und eine solide Infrastruktur. Dies könnte durchaus ein Hindernis darstellen.

Die Herausforderungen im Transportsektor

In weiten Teilen Europas wird der Güterverkehr hauptsächlich über Lkws abgewickelt. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass nur ein Bruchteil der Unternehmen einen Anschluss an das Schienennetz hat. In Deutschland werden derzeit nur etwa 19 Prozent der Güter auf der Schiene transportiert. Aber das war nicht immer so. Wie Allianz pro Schiene belegt, hat zwischen 2000 und 2011 die Länge der Schienen in Deutschland um rund 2.000 Kilometer abgenommen – und das, obwohl der Güterverkehr über die Schiene wesentlich weniger CO2-intensiv als über die Straße abgewickelt werden kann.

Den Schienenausbau vorantreiben

Das derzeitige Schienennetz ist überlastet und in schlechtem Zustand, was auch zu Verspätungen und Zugausfällen für Reisende führt. Die gemeinnützige Allianz pro Schiene, ein Bündnis aus Zivilgesellschaft, Verkehrsunternehmen, Gewerkschaften, Finanzdienstleister und Hochschulen, setzt sich daher für die Verbesserung des Schienenverkehrs ein. Und auch die „Beschleunigungskommission Schiene“ fordert umfangreiche Bau- und Erweiterungsmaßnahmen zur Verbesserung des Netzes, räumt aber ein, dass der Ausbau deutlich unterfinanziert ist. Ein Ausbau- und Modernisierungsfonds könnte beispielsweise aus Einnahmen aus der Lkw-Maut finanziert werden.

Hitchhiking mit dem Personenzug

Um die CO2-Emissionen im Verkehrssektor deutlich zu senken sollte also einerseits der Ausbau der Schienennetze vorangetrieben und gleichzeitig auch die Kapazität und Effizienz des Transports erhöht werden. Für große Liefernetzwerke wird dies weitreichende Veränderungen in ihrer Infrastruktur erfordern. Aber für kleine Anbieter*innen, insbesondere im Segment der kleinen Güter, könnte sich bereits eine andere Alternative auftun.

Mit einer Machbarkeitsstudie wurde im Projekt kombiBAHN untersucht, ob es möglich ist, den Schienenpersonenverkehr mithilfe digitaler Systeme in die regionale Logistik zu integrieren. Dabei ergab die Auswertung der Fahrgastzahlen ausreichende Kapazitäten für die logistische Nutzung, und die meisten der 29 untersuchten Bahnhöfe erwiesen sich als geeignet für den Güterverkehr. Dies betraf unter anderem den Zugang, die Bahnsteighöhen und mögliche Standorte für Mikro-Hubs. Allerdings müssten die vertraglichen und haftungsrechtlichen Regelungen für die logistische Nutzung der Bahnhöfe angepasst werden.

Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wurde ein digitales Konzept zur Steuerung und Sicherung der Transportprozesse entwickelt. Dieses Konzept umfasst Fahrplandaten, Routen und Hindernisse an den Bahnhöfen.

Im Anschluss an die Machbarkeitsstudie von kombiBAHN wurde das Projekt CargoSurfer gestartet, in dessen Rahmen eine Plattform für die Vermittlung von Frachtkapazitäten entwickelt und umgesetzt werden soll. Diese Plattform wird auch ein KI-basiertes Prognosetool beinhalten, dass durch die Sicherstellung von Transportverbindungen die rechtzeitige Lieferung von Gütern gewährleistet.

Wenn der Ansatz funktioniert, dann könnten die bestehende Infrastruktur wesentlich besser ausgelastet werden und auch entlegene Orte in ländlichen Gebieten in das bereits bestehende öffentliche Verkehrsnetzes integriert werden. Gleichzeitig könnten die Mitnahmemöglichkeiten für Güter auch kleineren Unternehmen, die normalerweise keinen Zugang zur Bahn haben, nachhaltigere Transport ermöglichen.

Allerdings: Auch wenn das Hitchhiking für Güter durchaus die Effizienz und damit auch die Klimabilanz der bestehenden Verbindungen erhöhen kann, wird so der Mangel an Schienenverkehrsinfrastruktur in Deutschland und darüber hinaus nicht behoben – dazu muss der Ausbau in der politischen Agenda weiter nach oben rücken. Aber das Projekt zeigt, wie intelligente Weg aussehen, um das Vorhandene effektiver zu nutzen.

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Dieser Artikel gehört zum Dossier „Mobilitätswende – Smart in Richtung Klimaneutralität“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.

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